Suizid in den Medien – ein Blick auf den Umgang mit Suizid in der (Pop)Kultur

 

Suizid in den Medien – ein Blick auf den Umgang mit Suizid in der (Pop)Kultur

Suizid in den Medien – ein Blick auf den Umgang mit Suizid in der (Pop)Kultur


TW: Suizid


Kann man durch eine Serie oder ein Buch die Jugend hinreichend zum Thema Suizid sensibilisieren? Das ist die Frage, die den Produzierenden der Serie „Tote Mädchen lügen nicht“ gestellt wurde. Und tatsächlich ist es fragwürdig, inwiefern die Serie das umsetzt, was sie sich selbst zuschreibt. Statt auf die Folgen von Mobbing hinzuweisen, wird man als Zuschauer*innen mit grausigen Bildern ohne jegliche Warnung (in der ersten Staffel) konfrontiert.


Hallo und herzlich willkommen im Büchnerwald!

Heute möchte ich mit euch über ein wichtiges Thema sprechen: Suizid. Denn heute am 10.09 ist der Welttag der Suizidprävention. Im Rahmen einer größeren Aktion, angestoßen von der lieben Babsi von BlueSiren, haben ich und einige weitere Blogger*innen uns zusammengeschlossen, um euch heute und in den nächsten Tagen passende Beiträge zu liefern.

Mein Artikel dreht sich um den Umgang von Medien mit dem Thema Suizid am Beispiel der/dem problematischen Serie/Buch Tote Mädchen lügen nicht.

Ein Buch für Jugendliche – oder nicht?

2007, als ich im Teenageralter war, kam das Buch heraus, auf dem die Serie basiert. Ich erinnere mich daran, wie ich beim Lesen hin- und hergerissen war. Einerseits verstand ich die Protagonistin zu gut. Auch ich wurde gemobbt und war als Jugendliche lange in psychologischer Behandlung. Wäre dem nicht so gewesen, wäre ich jetzt vermutlich nicht mehr hier. Denn wirkliche Rückendeckung in der Familie fehlte mir und auch Freund*innen hatte ich keine.

Ich erinnere mich gut, wie ich als junges Mädchen dasaß und mir überlegte, wen ich wohl auf meine „13 Gründe warum“-Liste schreiben würde. Dann wurde mir klar, dass man so etwas nicht machen kann. Dass es nicht die Schuld jener wäre, die heute mal nicht nett zu mir waren oder mich einfach nicht mögen. Ebenso wenig, wie es die Schuld meines Vaters wäre, der 10 Stunden am Tag arbeitet, um mir und meinen Geschwistern ein gutes Leben zu ermöglichen.

Aber ich hatte Hilfe. Ich hatte meine Psychologin, die mit einer Engelsgeduld vor mir saß und sich damit abgefunden hatte, dass ich mich an manchen Tagen eine volle Stunde lang über meine Mitschüler*innen echauffierte und an anderen Tagen nicht ein Wort herausbrachte. Hannah, die Protagonistin des Buches und der Serie hat dies nicht. Und ich frage mich bis heute, wieso das als Hauptproblem nicht beim Namen genannt wurde.

Hannah steht nicht komplett alleine da. Sie hat Freund*innen und eine Familie, die ihr Hilfe besorgen könnte. Trotzdem tun Buch und Serie so, als wäre ihr einziger Ausweg der Suizid. Ich kann verstehen, wieso ein Teenager so denken würde. Aber die Erwachsenen hinter dem Ganzen müssen einen weiteren Blick haben und sehen, was sie für eine Nachricht senden. Suizid als notwendiges Übel und danach die Menschen, die die „Schuld“ tragen ankreiden und ihr Leben ruinieren, weil sie ja das eigene ruiniert haben. So funktioniert die Welt nicht. Es graust mir davor, dass Jugendliche abends auf ihrem Bett wütend eine Liste erstellen mit „Schuldigen“ und sich danach großartig fühlen, weil sie es den Betreffenden ja so richtig schön zeigen werden.

Die Serie sagt von sich, dass sie jungen Menschen helfen soll. Aber sie verbreitet ein ekelhaftes Bild von Opfern, statt auf vorbeugende Maßnahmen zu verweisen und zu zeigen, dass Suizid erstens keine Lösung ist und zweitens nur die Schuld der Person, die sich umbringt. Schon in den Anfängen der Serie wird Hannah von einer Jugendlichen, die keinen Ausweg wusste, zur Antagonistin, die die Schuld allen anderen zuschiebt. Und das, obwohl sie eigentlich wirklich Opfer war.

Online wird die Serie als „Teenie Drama“ abgestempelt. Doch dies passt schon lange nicht mehr. Dass das Buch für Jugendliche ist, ist keine Frage. Die Serie jedoch greift weiter um sich und zieht auch Erwachsene in den Bann. Im Internet wird darüber diskutiert, ob sie denn nun hilfreich und wichtig, oder toxisch und gefährlich sei. Besonders Betroffene sprechen sich gegen diese Darstellung von psychischer Krankheit und Suizid aus. Caro von timeandtea hat eine tolle Liste, der Probleme erstellt, Marit Blossey hat für das Online-Magazin Mit Vergnügen einen Artikel über die Gefahren der Serie geschrieben und sogar der Spiegel sieht die dramaturgische und romantisierte Darstellung von Suizid kritisch, so schrieb Marc Pitzke Anfang des Jahres.

Trotzdem wird die Serie angeschaut und erreicht jeden Tag mehr Popularität. Aber warum ist das so? Wieso interessieren wir uns so dafür, einem jungen Mädchen faktisch dabei zuzuschauen, wie ihr Leben zerstört wird?

Die Antwort findet sich in unserer Psyche. Es ist bekannt, dass viele Menschen sich von Grauen angezogen fühlen. Schon im antiken Griechenland wurde Grauen auf der Bühne dargestellt, um den Zuschauer*innen so Erleichterung über ihre ‚niederen‘ Gefühle zu verschaffen. Eine Praxis, die von Schiller 2000 Jahre später noch immer angewendet und verfeinert wurde. Wieso ist es in diesem Fall problematisch, wenn Darstellungen von Grauen und Leid schon seit tausenden von Jahren in der Literaturwelt auftreten und durchaus eine Daseinsberechtigung haben?

Das Problem, das ich auch oben schon angerissen habe, ist, dass auf solche populären und romantisierten Darstellungen der sogenannte Werther-Effekt folgt. Junge Menschen sehen, wie sich ein Mädchen aufgrund von Mobbing umbringt. Ihr Leben wird tragisch und doch vorbildhaft präsentiert, ihr Leiden ausgeschlachtet. Sie verfolgen ihre Reise mit, sehen sich in ihr und ahmen nach. So wie ich auch mal dasaß und mir überlegte, wie meine Liste wohl aussehen würde. In der Serie sucht sich Hannah nie wirklich professionelle Hilfe und so wird dies auch keine Option derer, die zuschauen. Ihre Hilflosigkeit wird zur Hilflosigkeit der Zuschauer*innen.

Ähnliches ließ sich beim Namensgeber, dem Werther aus Goethes Die Leides des jungen Werther (1774), aber auch bei jüngeren Todesfällen wie dem von Kurt Cobain (1994) beobachten.

Dabei muss die Darstellung von Suizid nicht toxisch sein und auch aus einem realen Todesfall, kann mehr als nur Tragödie und Drang zur Nachahmung werden. Das beste Beispiel hierfür bietet Chester Bennington. Der Sänger der Band Linkin Park beging Ende Juli 2017 Suizid. Was folgte, war eine Welle aus Trauer – und Positivität. Fans, Teile seiner Band und andere Bands sowie Leute, die sich nie wirklich für die Musik interessierten, aber dennoch helfen wollten, schlossen sich zusammen gegen Suizid und für Hilfe. Sein Tod wurde nicht romantisiert als Liebesakt, Verzweiflungstat oder krasses Ende einer stressigen Musikkarriere.

Bennington wurde zum Symbol für das Hilfesuchen und offen über Probleme sprechen. So wie es eigentlich sein sollte. Gerade heute, kann man sich dank Internet schnell und anonym jederzeit über Hilfe informieren und in ganz dringenden Fällen auf Seiten wie 7CupsOfTea mit Menschen sprechen. Unter dem Hashtag #MakeChesterProud wird auf Twitter auch heute noch, über ein Jahr nach seinem Tod, für das Hilfesuchen plädiert.

Unser Umgang mit Suizid in den Medien sollte mehr so sein, wie der der Linkin Park Fans. Wir sollten für das Hilfesuchen Werbung machen, statt die verzweifelte Tat einer Jugendlichen unreflektiert auf die Welt loszulassen und uns dafür auf die Schulter zu klopfen.

Heute ist Welttag der Suizidprävention (World Suicide Prevention Day #WSPD). Ich und einige andere Blogger*innen haben uns zusammengeschlossen, um euch heute und in den nächsten Tagen Beiträge zum Thema zu liefern. Organisiert hat das die liebe Babsi von BlueSiren. Eine Sammlung zu allen Beiträgen findet ihr unter diesem Beitrag, ebenso wie auf Babsis Blog.

Bevor ich euch die anderen Links zusammenfasse hier eine Liste mit Hilfestellen. Falls du oder jemand aus deinem Umfeld darüber nachdenkt sich umzubringen, bitte wende dich an eine dieser Hilfestellen. Suizid ist keine Lösung, es gibt Hilfe für jede Lebenslage.

Telefon-Hotline (kostenfrei, 24 h), auch Auskunft über lokale Hilfsdienste:

0800 – 111 0 111

0800 – 111 0 333 (für Kinder / Jugendliche)

Deutsche Gesellschaft für Suizid-Prävention

Weißer Ring – Für Kriminalitätsopfer:

116 006 (kostenfrei, anonym und bundesweit erreichbar)


Andere Beiträge zum Thema findet ihr bei diesen BloggerInnen:

Babsi von BlueSiren

Laura von skepsiswerke

Nadine/Caytoh von Buchstabenmagie

Vivka von A Winter Story

Helen auf ihrem Youtubekanal Helen Fischer

Jenny von colored cube

Anna von Ravenclaw Library

 

Autor: Michelle Janßen

Michelle Janßen ist eine süddeutsche Bloggerin, Journalistin und Autorin. Sie studiert deutsche Literaturwissenschaft und Geschichte. Auf Büchnerwald bloggt sie medienkritisch über Politik, Geschichte und (online) Medien.

7 Kommentare zu „Suizid in den Medien – ein Blick auf den Umgang mit Suizid in der (Pop)Kultur“

  1. Danke liebe Michelle für diesen ausführlichen und gut recherchierten Beitrag!
    Ich persönlich konnte die Serie zu 13 reasons why bis heute nicht zu Ende schauen. Das Buch fand ich als Teenager sehr gut, wohl weil ich es einfacher fand mit dem Finger auf andere zu zeigen und es ihnen heimzuzahlen. Heute schaudert es mich bei dem Gedanken.

    Die Solidarität und die wundervollen Nachklänge nach Chesters Tod hingegen waren Balsam. So viel Liebe und Hoffnung, das Konzert, das mich zu Tränen rührte. Das starke Auftreten seiner Frau Talinda.
    Klar gab es auch die Sensationsgeilheit, aber sie war nicht so stark, nicht so widerlich feilschend wie bei anderen Promis.

    Vielen Dank, dass du über dieses Thema geschrieben hast.
    Viel Liebe! ❤
    Babsi

  2. Liebe Michelle,

    was für eine tolle Aktion! Natürlich wäre es schöner, wenn es keinen Suizid gäbe und der Welttag der Suizidprävention somit „überflüssig“ wäre. Aber es ist schön, dass sich Bloggerinnen zusammentun und auf das Thema Suizid bzw. psychische Erkrankungen aufmerksam machen. Ich werde deinen Beitrag kommende Woche auf einer Seite verlinken :-).

    Ein Angebot für Kinder und Jugendliche bietet auch die Mailberatung [U25]. Hier können sich junge Erwachsene bis 25 Jahren per Mail melden und werden von Peerberatern beraten. Der Link zur Website: https://www.u25-deutschland.de/helpmail/

    Wenn ihr wieder eine ähnliche Aktion plant, möchte ich mich sehr gerne mit einem Beitrag beteiligen. Die Woche der seelischen Gesundheit wäre hier beispielsweise eine gute Idee.

    viele Grüße

    Emma

  3. Hallo Michelle,

    danke für den tollen Artikel! Ich habe die Serie nie gesehen und kann mir daher kein eigenes Urteil bilden, aber ich finde deine Kritik sehr gut argumentiert. Der Umgang mit Benningtons Tod war wirklich beispielhaft und hilft sicherlich auch dabei, die Stigmatisierung irgendwann zu beenden. Wobei ich mich gerade frage, ob die Vorstellung eines Idealablaufs bei Suizidgedanken nicht zu realitätsfern wäre und auch wieder Probleme mit sich bringt… es bleibt schwierig, aber eines ist sicher: wir müssen darüber reden.

    LG, Jenny

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