Sexualität in der Literatur [Rezension zu NSA]

Sexualität in der (Unterhaltungs)Literatur

Sexualität in der Literatur

[Rezension zu NSA]


Tw: Sexualität, sexuell explizite Sprache, Darstellungen und Beschreibungen sexueller Gewalt, Antisemitismus, Sexismus.


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Disclaimer: Diese Rezension ist bewusst in einem polemischen Ton verfasst. Es finden sich zahlreiche Spoiler für den Roman im Text.


Sexualität ist ein Thema, dass seit Beginn der uns bekannten Erzählungen ein Teil der Literatur ist. Der Umgang mit dem Sujet und allem, was dazugehört, wandelte sich parallel zum allgemeinen Verständnis von Sexualität. In der heutigen (Unterhaltungs-)Literatur zeichnen sich Trends ab, die dem generellen, modernen Verständnis in einigen Dingen nachstehen.

Ein Beispiel für diese, unvorsichtig ausgedrückt, rückständigen Darstellungen von Sexualität bietet der Roman NSA von Andreas Eschbach.


NSA – Sex, Gender und… Nazis?

Der Roman NSA – Nationales Sicherheits-Amt erschien Ende September 2018 bei Bastei Lübbe. Es ist der 16. Unterhaltungsroman (für ein erwachsenes Publikum) von Andreas Eschbach.

Eschbach erschafft eine alternative Realität, in der sich die Computer-Technik, im Buch „Komputer-Technik“ genannt, sehr viel schneller entwickelte. Wir begleiten die  beiden Protagonist*innen Helene Bodenkamp und ihren Vorgesetzten Eugen Lettke. Neben der Hauptstory, die sich im Weimar des Jahres 1942 abspielt, werden die Vorgeschichten beider Figuren weitläufig erläutert.

Neben dem enthusiastischen Nutzen des Wortes „knorke“, einigen „Heil Hitlers“ und ein paar heiteren Witzen über KZ-Lager (wie die Nazis das früher halt so gemacht haben) zeichnet sich der Roman dadurch aus, dass die Geschichte des Zweiten Weltkriegs zu Teilen neu-, beziehungsweise nacherzählt wird. Nur eben mit mehr Technik und Überwachung – wie es sich schon beim Buchtitel andeutet.

Dabei werden fragwürdige Geschlechtsbilder, noch fragwürdigere Darstellungen von Sexualität und Nationalsozialismus miteinander kombiniert. Was hängen bleibt ist ein bitterer Nachgeschmack.

Sex! – und die anderen Plotpunkte

Die schmerzhaft naive Hauptfigur Helene arbeitet für die NSA und hilft im Verlauf des Buchs dabei, sowohl Anne Frank, als auch die Weiße Rose dingfest zu machen. Sie ist sich dabei bewusst, dass das, was sie da macht, falsch ist. Schon in der Jugend hat sie bemerkt, dass Juden unter dem Nationalsozialismus nicht gut wegkommen. Ihr schlechtes Gewissen, ihre geflüchtete Kinderfreundin Ruth – ja selbst ihr geliebter Onkel Siegmund, der im Buch für einige Zeit in einem Arbeitslager landet, bringen sie nicht davon ab, mit dem weiterzumachen, was sie so tut. (Vielleicht liegt es auch daran, dass sie bei jeder dieser Szenen lediglich spürt, wie ihre Hände etwas tun, ohne dass sie das aktiv tun wollte – wer weiß?)

Helene ist eine ‚Daten-Strickerin‘. Programmieren wird bei Eschbach zur Frauenarbeit und – sehr… treffend? – mit Stricken gleichgesetzt. Männer, so erfährt Helene bereits in frühem Alter, können das zwar auch, bei ihnen sei jedoch immer eine „Art Imponiergehabe“ (S. 141) im Datensatz zu spüren. Hurra! Frauen sind gut in technischen Dingen! Aber halt nur, weil sie sich eher zurücknehmen können als Männer. Ansonsten gibt es noch sogenannte „Männertechnik“ (S. 246) die weder lange ausgeführt, noch sonderlich gut von der Frauentechnik abgegrenzt wird. Man kann aus dem Kontext nur vermuten, dass es sich um Technik handelt, bei der intensives Imponiergehabe erwünscht ist. Das erzählt ihr derselbe Onkel Siegmund, der später im Arbeitslager landet.

Die Programmiererin beschäftigt sich viel mit der Zeit, in der sie lebt und hat dabei durchaus Kritikpunkte am Regime. Sie kann zum Beispiel keinen verhüteten Sex haben. Kondome sind streng verboten, damit genug Kinder gezeugt werden. Ihre gute Freundin Marie findet das super und freut sich darauf, als Brutkasten zu fungieren. Helene hingegen begibt sich im späteren Buchverlauf auf eine sehr ausführliche Suche nach Kondomen, die sie in einige brenzlige Lagen bringt.

Grund für die Hinnahme des Risikos ist Arthur. Helene versteckt den desertierten Exsoldaten und kümmert sich hingebungsvoll darum, dass er nicht erwischt wird. Das Schicksal all jener, die sie sonst so ausfindig macht, ist ihr mehr oder weniger egal. Aber vielleicht liegt das an den Wundern, die Arthur im Bett verbringt.

Nach Jahren, in denen Helene sich unweiblich (S. 138) fühlte, weil kein Mann sich für sie begeistern konnte, kommt Arthur daher und- nun, was genau er macht, wird nicht ausgeführt (die einzigen expliziten Sexszenen sind Vergewaltigungen, dazu später mehr), aber es scheint welterschütternd zu sein. Zumindest für Helene. Nachdem wir erfahren, dass Arthur ebenso wenig Ahnung von dem Ganzen wie sie hat, da er nie zu Bordellen ging („Arthur hatte gemeint, so tief habe er nicht sinken wollen“ S. 326), ist die Qualität der Welterschütterung doch eher zweifelhaft. Helene ist fasziniert davon, wie versessen Arthur von Brüsten ist (S. 327) und sieht ihre Jungfräulichkeit eh nur als Anzeichen dafür, dass sie unattraktiv ist (S. 340). Die Kondome hat sie auch gestohlen – was also steht dem Happening noch im Weg?

Religion, wie sich herausstellt. Helene muss erst ein sehr langes (und sehr unnötiges) Gespräch mit Marie darüber führen, dass es okay ist vor der Ehe Geschlechtsverkehr zu haben, weil man ja alles beichten kann und dann wird das vergeben. Sie schläft mit Arthur und stellt fest, dass ein richtiger Männerkörper nicht dasselbe ist, wie ein medizinisches Holzmodell. Nach dieser wahrlich schockierenden Erkenntnis folgt eine ganze Seite darüber, wie schön es ist, wenn man „[h]interher“ noch ganz „verschmolzen“ ist (S. 348) und wie toll sie seine Narben und seine Brustbehaarung findet. Auch ist Arthurs Geruch der vermutlich beste Geruch der Welt und langsam fragt man sich, ob er wirklich so ein junger Gott ist – oder ob Helenes Ansprüche einfach niedrig angesetzt sind. Die hocherotisch aufgeladene Szene wird von dem Satz „[e]inmal können wir noch“ abgeschlossen, mit dem klar wird, dass die zwei Kondome, die Helene bislang ergaunern konnte, definitiv nicht genug waren. Und das uns noch mehr solcher Szenen erwarten. Oh Freude.

Der Morgen danach illustriert nochmals, welche Superkräfte Arthur – oder zumindest gewisse Teile von ihm – zu haben scheinen. Helene wacht ganze zwei Minuten vor (!) dem Wecker auf und fühlt sich absolut wunderbar. Die Vögel singen, die Luft ist warm und sie will richtig glücklich sein – darf das aber leider nicht, weil sonst alle erfahren würden, dass sie Arthur versteckt. Sie inspiziert „die bewusste Stelle“ (S. 351) und stellt fest, dass alles so ist wie vorher. Eine krasse Erkenntnis für sie. Es hat natürlich wehgetan, aber das muss ja so, richtig? Und es war eh trotzdem alles perfekt und super und so.

Dieses Glück zu verstecken scheint ihr unmöglich, so großartig wie die letzte Nacht war – dann schafft sie es aber doch und macht sich für fast 100 Seiten auf die Suche nach neuen Kondomen.


An dieser Stelle beginnt die Betrachtung der anderen Seite des Romans. Ich möchte vorab nochmals deutlich auf die oben ausgesprochene Triggerwarnung hinweisen. Im Folgenden werden zur Illustration sehr harte, brutale und widerwärtige Passagen zitiert.


Eugen, der zweite Protagonist, hat ein etwas anderes Verständnis von Sex. Als Jugendlicher schon auf eine gruselig sexuelle Art daran interessiert, in das Privatleben von anderen Menschen einzudringen (S. 82) wird er bei einem Kartenspiel von vier Mädchen erniedrigt und von einem männlichen Mitschüler ausgenutzt. Letzteres ignorierend, schwört der „Sohn eines Kriegshelden“ (dieser Spruch findet sich gefühlt auf jeder zweiten Seite) Rache an den Frauen. Wohl auch, weil er kurz zuvor von einem anderen Mädchen (mit blonden Zöpfen) einen Korb bekam.

Er gewinnt (wieder durch ein Kartenspiel) Macht über das erste der Mädchen und nutzt dies aus, um sie zu einem Blowjob zu zwingen, denn „verloren ist verloren“ (S. 96), auch wenn die Karten gezinkt waren. Dass sie dabei heult, turnt ihn nur noch mehr an. In dieser Szene wird ein Monster geboren.

Wenige Seiten später findet er das zweite Mädchen, welches er vor Zeugen brutal vergewaltigt. Diese halten ihren schreienden Freund fest, wollen aber nicht selber ran, was Eugen aber nicht sonderlich stört.


„Sie stopften ihm ein Geschirrtuch in den Mund, so fest, dass ihm die Augen aus dem Kopf quollen, während Lettke es seiner Freundin besorgte. Er nahm sie hart, brachte sie zum Schreien, und es war ihm egal, ob sie vor Schmerz schrie oder vor Lust. Das hörte sich ohnehin beides gleich an.“ (S. 111)


Eschbach schreibt, dass Eugen es dem Mädchen ‚besorgte‘. Der Erzähler differenziert nicht zwischen der Sicht des Täters und der tatsächlichen Tat. Dass man als Leser’in nie so wirklich darauf hingewiesen wird, dass das eine Vergewaltigung ist, ist verunsichernd. Zahlreiche Verteidiger*innen des Buches weisen immer wieder gerne darauf hin, dass man sich das ja denken kann. Aber kann man das? Es gibt genug Beispiele, wo „sie hat ja gesagt, damit wir xyz nicht machen“ oder „der Mann hat eine schwere Vergangenheit“ als legitime Verteidigungsstrategien durchgehen.

Aber weiter im Text, das ist nämlich alles noch Vorgeplänkel. Eugens Vorhaben ist zur Hälfte abgeschlossen. Er fühlt sich danach merklich befreit, ihm ist, als würde ihm „eine zweite Wirklichkeit sichtbar“ (S. 112). Sein guter Kumpel Ludwig fand die Szene krass. Also krass gut. „Was du mit der gemacht hast… wie du’s der besorgt hast…!“ (S. 112) sagt er und Eugen fühlt sich wie der geilste Stecher des Planeten, statt wie das, was er wirklich ist: ein Vergewaltiger.

Sein Machtkomplex wird schlimmer, als er beginnt mithilfe seiner Position bei der NSA Informationen über Frauen herauszufinden, mit denen er diese dann zu sexuellen Handlungen zwingt. Das „herrliche Gefühl der Macht“ (S. 164) turnt ihn an.


„Weil er wusste, konnte er die Frauen zwingen, konnte alles von ihnen verlangen, mussten sie ihm gehorchen, obwohl sie es nicht wollten!
Ha, gestern! Er wälzte sich mit wohligem Lächeln herum. Mittendrin hatte ihr Telephon geklingelt. Ihr Ehemann, ein Handelsreisender, der gerade in Aachen war. Lettke hatte ihr befohlen, den Anruf anzunehmen und mit ihrem Mann zu reden, während er sie von hinten nahm. Wehe, sie verriet ihn mit einem Wort, hatte er ihr eingeschärft. Dann wäre sie schon im Lager, ehe ihr Mann zurückkam! Und so hatte sie sich anstrengen müssen, nicht zu verraten, was vor sich ging, nicht zu keuchen oder dergleichen, und um es noch spannender zu machen, hatte er es richtig klatschen lassen (…).“ (S. 164)


Eugen macht es spannend. Wird die Frau sich verraten? Sind die Geräusche, die er bei der Vergewaltigung macht, laut genug, um sie ins Lager zu schicken, weil sie keine passende Ausrede findet? Nein – sie schafft es! „Was für ein Spaß!“ (S. 165.) Natürlich macht Eugen noch auf derselben Seite klar, dass er ja ein „Ehrenmann“ sei und sie nicht ins Lager schicken würde. Auch wenn er die Aufzeichnungen über das, was die Frau ‚verbrochen‘ hatte behält – nur für den Fall.

Er macht außerdem ein schlimmes Problem deutlich, was er hat. Letztens hatte er eine, die sich „wie eine brave Nonne“ anzog und schminkte (sich wie einen Nonne schminken – eine Kontradiktion vom feinsten). Die hat aber fast keinen Widerstand geleistet. Die hatte sogar – so kommt es ihm vor – Spaß dabei. Ekelhaft. Also hat er mittendrin aufgehört und die Informationen, die er über sie hatte, offen gelassen, damit die Frau  auch schön dafür bestraft wird.

Eine letzte Szene noch, dann reicht es mit den Beispielen. Auch wenn man die Liste ohne Probleme noch weiterführen könnte. Eugen reminesziert über eine seiner besten ‚Eroberungen‘, wie er sie nennt.


„Sie hatte sich heulend vor ihm ausgezogen, als er es ihr befohlen hatte, und alles Weitere schluchzend über sich ergehen lassen. Sie war so eng und trocken gewesen, dass er viel Spucke gebraucht hatte, um überhaupt hineinzukommen, und dabei hatte sich herausgestellt, dass sie noch Jungfrau gewesen war: Sie hatte aufgeschrien vor Schmerzen und das ganze Bett vollgeblutet. Er hatte ihr hinterher befohlen, ihm ihr Blut abzuwaschen, und so hatte er sie dann zurückgelassen.

Ja, von diesem Abend hatte er lange gezehrt. Aber allmählich wurde es Zeit für eine neue Eroberung -“ (S. 315)

Der Grund, warum die Zitate in diesem Beitrag aufgeführt werden, ist, dass die rohe, brutale Gewalt in den meisten Rezensionen untergeht. Dort wird das Setting gelobt und alles andere ignoriert oder als ‚faszinierend und augenöffnend‘ beschrieben. Aber das ist es nicht. Es ist unnötige Gewalt an Frauen. Beidseitig gewollter Sex wird kaum beschrieben, höchstens erwähnt. Auch dort muss es natürlich ein bisschen wehtun. Das gehört sich halt so, in Eschbachs Welt. Und das ist unfassbar widerlich.

Eugen versagt später dabei, seinen Rachefeldzug abzuschließen, weil ihn die letzte Frau auf der Liste auslacht. Er wird festgenommen und versucht sich umzubringen. Seine Geschichte endet in einem Krankenhaus, in dem er – mehr oder minder hirntot – als Samenspender für deutsche Frauen ‚genutzt‘ wird – es gibt ja kaum noch Männer. Eine der ‚Kundinnen‘ hat blonde Zöpfe!

Eine Krankenschwester wird dazu gezwungen Eugen mehrfach am Tag Samen ‚abzuzapfen‘ und er liegt happy im Bett und murmelt etwas von ‚Mama‘. Zwischen einem treffenden Ende für Eugen und einer weiteren Art von Entschuldigung für sein Verhalten (neben Erniedrigung als Jugendlicher kommt nun auch ein Mutterkomplex ins Spiel) endet sein Leben damit, dass er das Mädchen, was ihn früher ablehnte, schwängert und eine Frau permanent dazu genötigt wird, ihn zu befriedigen.

Helene hingegen muss nach dem Tod Arthurs jemanden heiraten, den sie nicht liebt. Sie plant ihre Abschiebung nach Auschwitz, was ihr gelingt. Ihr Narrativ endet damit, dass sie lieber im Lager ist, als mit dem Mann verheiratet zu sein. Ein schrecklicher, naiver Endgedanke, der den realen Opfern gegenüber respektloser kaum sein könnte.

NSA geht mit Sexualität um, wie es Bücher auf keinen Fall tun sollten. Neben den unfassbar grafischen, für mich persönlich fast traumatisierenden, Darstellungen von zahlreichen Vergewaltigungen, die als spannend und krass und geil dargestellt werden, gibt es keinerlei Positivbeispiele. Der reguläre Geschlechtsverkehr wird kaum dargestellt, euphorisiert und tat natürlich trotzdem weh.

Zudem wirft Eschbach einige negative Kommentare zur Homosexualität in den Mix (S. 224), stellt Sex als Karriereboost für Frauen dar (S. 225) und baut zwischen den schlechten Sexszenen und Vergewaltigungen noch ein paar tiefgründige Gedanken zum Thema Geschlechterbilder ein. Wie etwa diese scharfsinnige Beobachtung: „Männer können im Prinzip ja auch Geschirr spülen“ (S. 141). Sie machen es nicht, weil sie Angst um ihre Männlichkeit haben. Dies bestätigt auch Eugen, der nach der Lektüre eines Eltern-Kind-Buches ernsthaft Angst hat, ihm würden Brüste wachsen (S. 219).

In Eschbachs alternativer Welt ist Technik 100 Jahre im Vorsprung, E-Mails heißen Elektrobrief, nur die hässlichen Männer sind Nazis und KZs scheinen halb so schlimm – aber als es bei der Buchplanung um Geschlechterrollen ging, fehlte dem Autor wohl die nötige Fantasie.


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Der Raub der Proserpina, um 1650


Ist das Sex oder kann das weg?

Sexualität ist seit Jahrhunderten, nein, Jahrtausenden ein Thema in der Literatur. Und wie es mit den meisten Dingen in diesem Bereich der Fall ist, war der Umgang nicht immer sensibel. Gerade das Sujet der Vergewaltigung ist teils als Schreckelement, teils als zu akzeptierender Teil des Lebens immer wieder auffindbar. Beispiele zeigen sich von den Mythen der Antike (ich sage nur Zeus) über die mittelalterliche Literatur (Minnelyrik), die Renaissance und den Barock (Gryphius, Lohenstein und Co.), die frühe Moderne (Fontane) und das 20. Jahrhundert (besonders im Theater) bis heute.

Das Problem mit Büchern wie NSA ist, dass sie sich (bewusst) in die Reihe problematischer Literatur eingliedern. Dies ist in der heutigen Gesellschaft einfach nicht mehr möglich. Zumindest nicht, ohne mit einer dementsprechenden Reaktion rechnen zu müssen.

Der Umgang mit Sex als Drang- und Druckmittel an sich ist nicht das, was an NSA stört. Es ist die Darstellung von ’schlechtem‘ Sex versus ‚gutem‘ Sex, die problematisch ist. Die Stellen im Text, die positiv konnotiert sein sollen, sind kaum vorhanden, unfassbar unerotisch geschrieben und beinhalten trotz allem Spuren von Gewalt. So, wie das, mittlerweile als falsch bewiesene, „Wissen“ darum, dass Sex für die Frau halt einfach manchmal wehtun muss.

Die wirklichen Sexszenen im Buch sind die von Gewalt geprägten. Wann immer der Akt an sich beschrieben wird, ist es eine Vergewaltigung. Und das findet nie so wirklich jemand schlimm oder verwerflich. Im Gegenteil. Die Sprache ist erotisiert, die Wortwahl verschleiert die Gewalttat als geil und großartig. Die Tatsache, dass man als Leser*in immer und immer wieder durch dieselben, grausamen Szenen blättern muss, ist ein einziges Plädoyer dafür, das Buch an dieser Stelle wegzulegen und nie wieder anzufassen.


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Vergewaltigung in Heinrich Zilles Hurengespräche, 1919


Die Kunst der Sexualität

Was Sexualität alles nicht kann, ist nun klar – aber welche positiven Elemente und Chancen gibt es? Auch wenn es schnell so wirkt, als wäre Sexualität in der erzählenden und unterhaltenden Literatur immer unrealistisch und Mittel zum Zweck, so muss das natürlich nicht sein.

Das Spiel mit Sexualität kann Literatur auch erweitern und interessant, beziehungsweise vielseitig gestalten. Gerade bei Jugendromanen, wenn es um die Entdeckung der eigenen Sexualität geht, wird viel richtig gemacht. Aber auch abschreckende Darstellungen, ja sogar sexuelle Gewalt, kann ein Buch positiv beeinflussen. Wenn es richtig eingebaut und als problematisch gekennzeichnet wird. Sex als Fetischisierung von Gewalt, rein pornografische Darstellungen oder platte, beinahe lakonisch beschriebene Erfahrungen verlieren jeden Reiz. Schon allein, weil er ohne wirklichen Sinn eingesetzt wird.

Dem gegenüber steht der bewusste Umgang mit Sexualität und den verschiedenen Facetten davon. Alle Beschreibungen von Sexualität haben ihren Platz in der Literatur – so sie denn mit Vorsicht eingesetzt werden. Eschbachs Einsatz von Sexualität wirkt wie eine Mischung aus Provokation, Untermalung der Grausamkeit seiner fiktiven Welt, unterschwelliger Fetischisierung und dem (meiner Meinung nach nicht gelungenen) Versuch der Nachahmung einer weiblichen, sexuellen Erwachung.

Er mischt Elemente, die mit größter Vorsicht und nur mit einer gewissen Expertise behandelt werden sollten, in seinen Roman hinein, als wäre Vergewaltigung ein regulärer Racheakt, sexuelle Erniedrigung und Nötigung ein fast schon akzeptierter Teil der Gesellschaft und beidseitig gewollter Geschlechtsverkehr eine Mischung aus Jahrmarkt und achtem Weltwunder.


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Otto Müller – Liebespaar, 1914


Fazit

Nicht alles, an dem Roman NSA ist schlecht. Auch wenn diese Buchbesprechung, beziehungsweise Rezension, sehr negativ klingt. Tatsächlich steckt hinter all dem Grauen eine Nachricht, die auch wirklich durchkommt. Man ist als Leser*in permanent schockiert und das ist im Umgang mit Nationalsozialismus eigentlich eine gute Sache.

Eigentlich. Denn zwischen der furchtbaren Naivität der Protagonistin, der Respektlosigkeit den tatsächlichen Opfern (wie Anne Frank, der Weißen Rose und allen, die in den 40ern in Auschwitz waren) gegenüber, der abstrusen Einstellung, dass irgendwie alle unschuldig waren, weil sie halt schon ein schlechtes Gewissen hatten und ja nur ihren Job gemacht haben und dem widerwärtigen Umgang mit Sexualität, bleibt nicht viel des eigentlichen Textes übrig.

Eschbach will einen Antagonisten schaffen und die einzige Art, wie er dies erreichen kann, ist durch Gewalt an Frauen. Das ist nicht zeitgemäß und – tut mir leid – auch einfach keine gute Figurenbildung. Von einem Autor, der so viele Bücher geschrieben hat wie Eschbach, kann man mehr erwarten.

Er schafft es, dass man ein Buch über Nationalsozialismus liest und die Nazis nicht das Schlimmste am Text sind. Das ist, für sich betrachtet, eine echte Leistung.


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