Der Tod als Frau II – Die Amerikas, Afrika, Asien, Ozeanien

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Der Tod als Frau II

Eine historisch-medienkulturelle Analyse

Die Amerikas, Afrika, Asien, Ozeanien

Teil 1 | Teil 3


TW: Tod, Kindstod, Sklaverei, Suizid


Disclaimer: Alle Beispiele in diesem Text wurden exemplarisch für die jeweilige Region gewählt, es herrscht keinesfalls ein Anspruch auf Vollständigkeit. Aufgrund der teilweise sehr vielen/wenigen Literatur, kann es zu Unstimmigkeiten kommen. Sollte sich ein Fehler einschleichen bitte ich darum diesen respektvoll in den Kommentaren anzumerken. Alle Kommentare, die die in diesem Text genannte Kulturen und Religionen angreifen/beleidigen, werden gelöscht.

Im Folgenden wird der Tod als weiblich gelesene Figur diskutiert, da in der Literatur und den Quellen zu den Kulturen/Religionen generell von ‚Frauen‘ die Rede ist, wird dies hier übernommen. In einzelnen Fällen gibt es geschlechtsfreie/nicht binäre Entitäten, die (sofern dies aus den Quellen abzulesen ist) dementsprechend benannt werden.


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Nordamerika


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Haida totem pole, Museum of Archeology and Antropology Cambridge


Haida

In der Haida-Mythologie ist Tia die Göttin des friedlichen Todes, die ihrem männlichen Gegenpart (der den gewaltvollen Tod verkörpert) gegenübersteht.

Inuit

Bei den Inuit gibt es die Göttin Akna, die für Fruchtbarkeit steht und damit auch für den Tod, sowie die Göttin Pinga, die die Jagd, Medizin und ebenfalls Fruchtbarkeit verkörpert.

Narragansett

Die Narragansett haben die Fee/den geschlechtslosen Geist Chepi, der die Seele einer/s Toten verkörpert. Der Geist übermittelt Wissen zwischen den Lebenden und den Toten und kann als Rachegeist beschworen werden, um einen Feind zu zerstören.

Vodou

Vodou (Voodoo) kennt viele Geister und Figuren des Todes, Maman Brigitte ist ein Geist des Todes (Loa) und besonders Teil des haitianischen und louisianischen Vodous. Ihr Tierzeichen ist der schwarze Hahn. Sie ist dafür bekannt zu fluchen und Rum mit scharfen Gewürzen zu trinken. Maman kann mit ihrem Mann die Loa-Gruppe Ghede erschaffen, indem sie die Seelen Verstorbener aus den Wassern des Stroms des Vergessens zieht und sie benennt. Im Rahmen der Versklavung/Christianisierung Haitis und der Amerikas wurde sie mit der irischen Heiligen Brigida gleichgesetzt. 

Maman Brigitte ist die Herrin der Friedhöfe, Gräber und Grabsteine. Sie wacht über alle Gräber, die ein Kreuz auf dem Grabstein haben. Ihr wird das erste Grab einer Frau auf jedem neuen haitianischen Friedhof geweiht. Sie wird angerufen, wenn man die Toten beschwören will oder ein/e durch Magie Erkrankte/r geheilt werden soll.


Zentralamerika


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A figure of a cihuateotl, the spirit of an Aztec woman who died in childbirth


Mexiko

Mexiko ist ein Sammelplatz für zahlreiche alte (und neue) Todbringer*innen und Legenden. Von dort aus verbreiten sie sich über Zentralamerika und in den Süden. Nuestra Señora de la Santa Muerte, kurz Santa Muerte genannt, ist eine dieser Legenden. Eigentlich eine männliche Figur, wird sie seit unbestimmter Zeit als weibliche Skelettfigur dargestellt, die in der Regel eine Sense und/oder einen Globus bei sich trägt.

Santa Muerte kommt aus der präkolumbianischen Zeit der mexikanischen Kultur, die ein spezifisches Verhältnis zum Tod aufzeigt, was besonders in Mexiko auftritt (Day of the Dead). Sie ist eine im mexikanisch-katholischen Glauben/Kult auftretende Personifikation des Todes, die sich im 21. Jahrhundert nach langer Verbannung durch die Kirche, einer wachsenden Beliebtheit erfreut. Mittlerweile steht sie für alle anderen Skelettfiguren der Totenkulte in Zentral- und Südamerika.

Taíno

Die Taíno bezeichnen die Ureinwohner*innen der Karibik, die im 15. Jahrhundert den Großteil der Population Kubas, der Dominikanischen Republik, Haitis, Jamaikas, Puerto Ricos, der Bahamas und den Nördlichen Antillen ausmachten. Ihr System ist auf ein Matriarchat ausgelegt, die Mütter tragen die Familie und ihre Geschichte mit sich. Dies ist wichtig, da die Taíno die Geister ihrer (weiblichen) Vorfahr*innen anbeten, die sie Zemís nennen. Die wichtigste hiervon ist Atabey. Sie ist für Fruchtbarkeit, den Mond und frisches Wasser zuständig. Tod und Seuche, sowie Wassermangel werden ihr unter dem Namen Guabancex ebenfalls zugesprochen. Dieser negative Teil von ihr kann unter anderem Naturkatastrophen beschwören.

Atabey/Guabancex sind für Leben und Tod verantwortlich; sie halten die Welt der Taíno im Gleichgewicht.

Maya

Ix Tab ist die Mayagöttin des Suizids durch Erhängen. Ihre Rolle ist es, die Verstorbenen in den Himmel zu führen. Xtabay ist ein weiblicher Dämon des Mayaglaubens, der Männer hasst. Sie wartet in Wäldern, um Männer mit ihrer Schönheit vom Weg abzubringen und sie in den Tod zu führen. Eine Version ihres Mythos wurde 1998 neu veröffentlicht in dem Buch Diez Leyendas Mayas (Jesus Azcorra Alejos).

Azteken

In der Azteken-Mythologie gibt es drei Entitäten des Todes. Zwei davon drehen sich um Frauen bei der Geburt und/oder um verstorbene Mütter, Kinder, schwangere Frauen und Frauen, die bei der Geburt sterben. Bei den Azteken nimmt eine schwangere/gebärende Frau den Status einer Kriegerin ein, die eine Schlacht bestreitet. Die Geistergruppe Cihuātēteoh repräsentiert die Seelen der bei der Geburt verstorbenen, so wie es eine Gruppe für die in der Schlacht verstorbenen Männer gibt. Diese Geister sind oft negativ und böse, sie nehmen den Geist ihrer ebenfalls verstorbenen Kinder auf, als wären sie ihre Gegner in der Schlacht.

Die Cōātl īcue, auch Tēteoh īnnān genannt, ist die Mutter der Götter. Sie gebar den Mond, die Sterne, den Gott der Sonne und den des Krieges. Auch steht sie für die Göttin Tocih (eine großmütterliche Figur) und Cihuacoatl (die Schlangengöttin). Alle diese Göttinnen repräsentieren die Schutzgöttinnen der Frauen, die während der Geburt sterben.

Mictēcacihuātl ist die Königin der Unterwelt Mictlān. Ihr Name bedeutet übersetzt ‚Königin der Toten‘. Ihre Aufgabe ist es, die Knochen der Toten zu bewachen und die traditionellen Festivitäten für die Toten zu schützen. Etwas was mittlerweile mit dem Day of the Dead verschmolzen ist. Der Legende nach wurde sie direkt nach der Geburt geopfert. In Auftreten, Ikonografie und Aufgaben ist sie der Santa Muerte sehr ähnlich.


Südamerika


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Mama Ocllo, San Antonio Museum of Art (~1840)


Inka

Die Inka haben mehrere Göttinnen, die oft einen männlich gelesenen Gegenpart besitzen. Copacati ist die Göttin der Seen, die zusammen mit Mama Qucha (See-Mutter, Göttin der Gewässer und Fische) alle Ertrunkenen bewacht. Mama Allpa und Mama Ocllo sind die Fruchtbarkeitsgöttinnen, die auch für den Tod verantwortlich sind. Mama Ocllo wurde als Mutter und Göttin abgelehnt und vertritt den negativen Part. Mama Pacha ist Mutter Natur, die den Kreislauf des Lebens und das Schicksal der Menschen bestimmt. Sie ist auch für Erdbeben und deren Zerstörungskraft verantwortlich. Mama Sara ist die Göttin des Korns und des Hungers.


Afrikanische Legenden und Religionen


Westafrika


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Ani, the mother of the Igbos, X


Igbo/Ibo

In (Süd) Nigeria gibt es den Glauben von Ala/Ani, der Göttin der Erde, des Todes, der Fruchtbarkeit und der Kreativität. Sie ist die Schutzfigur der Frauen, herrscht in der Unterwelt (bzw. hält sie die Toten in ihrem Mutterleib, sie ist also die Unterwelt) und gilt als wichtigste Göttin im Glauben, da sie für die Erde steht. Sie ist die Mutter aller Igbo und ihre letzte Ruhestätte. Aller Boden ist für die Igbo heilig, da sie in ihm steckt. Sie personifiziert den Tod und stellt damit auch die Richterin zwischen guten und schlechten Taten dar. Ihre Manifestation (neben der Erde) ist die Python (Igbo: éké). Als Wächterin der Unterwelt und Göttin der Moral führt sie Gericht über die guten und schlechten Taten der Menschen und entscheidet, wer wie bestraft wird.

Ikonografisch wird sie als Mutter mit einem Kind auf ihrem Schoß dargestellt, manchmal mit einem Schwert in ihrer rechten Hand. Sie sitzt auf einem Thron, umgeben von ihrer Familie.


Nordafrika


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A woman (Isis), in a pose of mourning; 1400/1500 v. Chr., Louvre


Ägypten

Die Schwestern Isis und Nephthys nehmen beide eine wichtige Rolle im ägyptischen Pantheon ein. Isis, die Frau von Osiris, half – dem Mythos nach – ihrem Mann dabei, die Seelen Verstorbener in die Unterwelt zu führen. Sie belebt ihren Ehemann wieder und verschmilzt mit ihm zu einer Gottfigur, die über die Lebenden und Toten wacht. Sie ist die göttliche Mutter des Pharaos und steht für Heilung, Fruchtbarkeit und Mutterschaft. Ihre Rolle ist besonders für Beerdigungen wichtig, sowohl bei regulären, als auch denen der Pharaonen. Sie stellt im Neuen Reich (die heute bekannteste Phase Alt-Ägyptens ~1550-1070) die „moderne“ Version von Hathor dar, der Göttin „früherer“ Zeiten (was viel aussagt, wenn man bedenkt, dass der Isismythos über 4000 Jahre alt ist). Passend dazu übernahm sie Hathors Kopfbedeckung: Einen Sonnenscheibe zwischen den Hörnern eines Stiers und ihre Aufgaben. Als Ägypten von den Ptolemäern regiert wurde, nahm sie die Doppelrolle als Persephone ein.

Ihre Schwester Nephthys steht in Beerdigungs- und Grabmalereien oft neben ihr. Sie beschützt die Mumien, während Isis die Seelen in die Unterwelt führt. Nephthys steht neben ihrer Funktion als Tempelgöttin auch für den Moment des Todes und personifiziert den Schmerz und die Trauer eines Sterbenden.

Die beiden Schwester werden künstlerisch gleich dargestellt: Eine große Frau mit einer thronhaften Hieroglyphe auf dem Kopf. Nachdem Isis die Rolle der Hathor zugesprochen wurde, differenzieren die Darstellungen der Schwestern.


Die asiatische Mythologie

Ostasien


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Searching the Seas [天瓊を以て滄海を探るの図 ], Kobayashi Eitaku (1880-90)


Korea

Prinzessin Bari ist eine Figur/Göttin aus dem koreanischen Schamanismus. Sie ist die siebte Tochter eines Königs, der keine Söhne hat. Aufgrund ihres Geschlechts wurde sie nach ihrer Geburt ausgesetzt und reist als Jugendliche in die Unterwelt, um ein Lebenselixier zu erhalten. Damit wird sie als Göttin in eine neue Welt geboren, in der sie die Rolle Bootmanns Charon, der die Seelen in der griechischen Mythologie über den Styx bringt, einnimmt. Sie ist Teil der schamanischem Folklore Koreas, in der sie laut des Mythos Barigongju beschworen werden kann, um Rituale rund um den Tod zu vollziehen. (Komplette Geschichte und Folklore (engl.): x)

2007 wurde die Geschichte von dem südkoreanischen Autor Hwang Sok-yong neu aufgeschrieben. In seinem Roman „Princess Bari“ wird die Geschichte modernisiert und stellt Bari als feministische Frau in einer patriarchalen Welt dar.

Japan

In der japanischen Mythologie (bzw. dem Glauben Shinto) ist Izanami-no-Mikoto die Göttin der Kreation und des Todes. Sie ist der weibliche Counterpart zu Izanagi. Beide wurden von den ersten Göttern (Kunitokotachi und Amenominakanushi) geschaffen und damit beauftragt das erste Land zu schaffen. Dieses ist laut des Mythos Onogoroshima, gleichsam auch die Heimatinsel der beiden Gottwesen.

Zur Göttin des Todes wurde sie, als sie Menschen den Tod gab und schließlich selbst starb, während sie Kagu-tsuchi (Gottheit des Feuers) gebar. In Kojiki, der ältesten Chronik japanischer Geschichte, steht, wie sie in die Unterwelt (Yomi) kam und das Essen dort aß, was bedeutete, dass sie für immer dort bleiben musste. Eine Entwicklung, die ihr Mann nicht gut fand, aber akzeptieren musste, nachdem er sie in der Unterwelt besuchte. In der zweitältesten Chronik Nihonshoki wurde die Göttin statt in die Unterwelt auf die Insel Awaji in einen Tempel verwiesen.

Es gibt zudem in spezifischen Teilen der japanischen Religion und Kultur die Shinigami, Götter und Inkarnationen des Todes oder Geister, die Menschen in den Tod begleiten. Die geschlechtlosen (bzw. entweder männlichen, weiblichen oder nichtbinären) Wesen sind ursprünglich Teil des Buddhismus (in Form des Mrtyu-mara). In Shinto werden sie oft in Form von Izanami-no-Mikoto dargestellt, da diese den Menschen den Tod gab.

In der späten Edo-Perode (1603-1868) waren Shinigami ein beliebtes Popkultur-Phänomen. So etwa in der Geschichte Shinigami von Shunsensai Takehara im Ehon Hyaku Monogatari („Bilderbuch mit hundert Geschichten“), einem Sammelband mit Monstern und Wesen der japanischen Folklore aus dem Jahr 1841, als bloßer Spirit eines Toten beschrieben. Später in der gleichen Epoche (1850) erschien das Essay Shōzan Chomon Kishū von Miyoshi Shōzan, dass die Besessenheit von Shinigamis weiter untersuchte. In der Geschichte beeinflusste ein Shinigami im Körper einer Prostituierten einen Mann dazu, Suizid zu begehen. 1868 erschien das Kabuki Mekuranagaya Umega Kagatobi von Kawatake Mokuami, in dem ein Shinigami menschliche Gedanken beeinflusste und ihnen all das Schlechte in ihrem Leben aufzeigte, bis sie sterben wollten. Die Beliebtheit der Shinigami in japanischer Horrorliteratur zeigt sich bis zum Ende der Edo-Periode, bzw. dem Beginn der Meiji-Periode. Weitere Auftritte hatten sie z. B. auch in den Rakugo von San-yūtei Enchō, ein Programm wurde von ihm sogar Shinigami genannt.

Es gibt noch zahlreiche weitere Phasen japanischer Kultur, in der die Shinigami Auftritte erlangen. Das Ende der Edo-Periode ist jedoch bis in das 21. Jahrhundert hinein das, mit der größten Menge an Werken. Dank der japanischen Mangaserie Death Note (auch als Anime und Spielfilm verfügbar) von Tsugumi Ohba sind die Shinigami wieder einmal Fokuspunkt zahlreicher Popkulturelemente, diesmal erstmals nicht nur in Japan, sondern international.


Süd(ost)asien


Dhumavati

Mahavidya Dhumavati, Ajit Mukharjee collection (1926)


Indien

Mara ist im Hinduismus die Göttin und Personifizierung des Todes. Ihr Name bedeutet wörtlich „Tod“.

Es gibt zudem Dhumavati, eine der zehn Mahavidyas (Tantra-Göttinnen). Sie steht für die Angst und das Unangenehme in der Religion, weshalb sie als Krähe während des Chaturmas auftaucht und oft auf oder in der Nähe vom Shmashānas (Kremationsorten) dargestellt wird. Auch wenn sie den Tod und das Verderben darstellt, gibt es auch positive Eigenschaften von Dhumavati, sie kann beispielsweise endloses Wissen vermitteln, übernatürliche Kräfte verleihen und die innere Wahrheit des Lebens offenbaren.

In Tantra gibt es weitere Göttinnen, die als Mutterwesen auftreten und damit für Schöpfung und Sterben verantwortlich sind. Neben der Mahavidyas gibt es die sieben Matrikas, sowie Chamunda, Kali und Durga. Tantra vereint verschiedene Strömungen in der indischen Religion und Philosophie und ist zwischen Hinduismus und Buddhismus verortet. Seit den Ursprüngen des Tantra (200 n. Chr.) und besonders nach der Verbreitung der Lehren (700-800 n. Chr.) ist die Anbetung dieser weiblichen Gottheiten zentraler Bestandteil des Glaubens. Die generelle Anbetung weiblicher Lebens- und Todesgöttinnen im heutigen Indien gab es bereits in der altvedischen Zeit (1750-1200 v. Chr.). Weibliche Todesdarstellungen in Indien wurde also von der Vedischen Religion zur Tantra zum Hinduismus weitergegeben. Zusammen mit dem ägyptischen und japanischen Glauben zählt dies zu der ältesten Darstellung weiblicher Todesgöttinnen.

Myanmar

Shingon, direkt übersetzt „Frau Buckel“) ist eine von 37 Nats (Spirits) im birmanischen/burmesischen Nat-Pantheon der Bamar, der indogenen Bevölkerung von Myanmar. Sie war eine Gehilfin des Königs Thihathu von Ava (heute Inwa) (1394–1425 n. Chr.), die ihm in eine Schlacht folgte und starb. Sie nimmt in der Reihe der Nats eine Sonderrolle für den Tod ein.

Ansonsten stehen alle Nats des Pantheons für den Tod, da sie fast alle einen gewaltvollen Tod starben. Nats allgemein sind unterteilbar in hohe und niedere Geister, je nachdem ob sie einen Namen haben oder nicht. Die hohen Nats bevölkern die sechs Himmel. Menschen werden nach dem Tod zu Nats nach einem ähnlichen Prinzip, wie eine christliche Heiligsprechung. Die Möglichkeiten Nat zu werden sind je nach Ort unterschiedlich und oft nur der lokalen Bevölkerung bekannt. Jedes Dorf hat einen lokalen Nat, ebenso wie viele Familien; die Geisterwesen fungieren in diesem Fall als Schutzgeister. Nats die einen Namen haben sind in männlich und weiblich einteilbar, Nats ohne Namen geschlechtlos.

Philippinen

In den Philippinen gibt es zahlreiche weibliche/weiblich gelesene Monster und Geister, die allesamt für den Tod stehen und/oder ihn bewirken. Seit 2018 erscheinen zahlreiche Horrorfilme auf Netflix, die die Geschichte der Wesen erzählen. Neben diesen Legenden, die allesamt örtlichen und zeitlichen Schwankungen unterliegen, gibt es zwei dezidiert weibliche Todesfiguren im philippinischen Glauben. Magwayen ist die Göttin des Jenseits und die erste Ozeangöttin in der visayanischen Mythologie. Sie sammelt die Seelen der Toten ein und bringt sie mit ihrem Boot nach Sulad.

Die zweite weibliche Todesfigur ist keine Göttin, sondern eine Geisterfigur in der Mythologie der Ilonggo/Hiligaynon, einer Untergruppierung des visayanischen Glaubens. Mama Guayen ist dafür verantwortlich, die Seelen zum Ende der Welt zu bringen.


Zentral-, West- und Nordasien


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Shrine of Bixia, Mount Tai, Shandong


Turkvölker

Gun Ana ist die Sonnengöttin zahlreicher Turkvölker in Zentralasien (darunter Teile der Bevölkerung der Türkei, Aserbaidschans, Kasachstans, Kirgisistans, Chinas und Usbekistans) dementsprechend gibt es für sie zahlreiche Namen wie Gün Ana (türk.)/Күн Ана (kasach.)/ Күн Эне (kirg.)/ Nap Anya (ungar.). Sie ist eine der mächtigsten Gottheiten und steht für das Leben und den Tod, die Fruchtbarkeit, Wärme und Gesundheit; ihre Legende ist Teil der frühsten Schriften der türkischen Mythologie, wo sie mit Ay Ata (dem Mondgott) verheiratet ist.

Zusammen mit Umay, der Fruchtbarkeitsgöttin im Tengriismus (Zentralasiatische Schamanen-Religion), ist sie der Schutzgeist von Kindern und Frauen, besonders wenn diese vom Tod berührt wurden (Waisen, Witwen und Frauen, die ihre Kinder verloren).

China

Das Glaubenssystem in und um China herum ist sehr komplex und in viele Religionen und Subkulturen untergliedert. Eine Gemeinsamkeit ist die Anbetung der Muttergöttinnen, die besonders im Norden Chinas bis heute wichtig ist. Insgesamt gibt es neun Hauptgöttinnen, die allesamt eine Manifestation der großen Muttergöttin Bixia darstellen. Sie wird auch Houtu genannt, wobei diese Gottheit nicht spezifisch weiblich  ist, oder (von den Taoist*innen) mit der älteren Göttin Xiwangmu gleichgestellt. Es gibt noch weitere Variationen, doch alle diese Namen und Göttinnen stehen für dasselbe: eine Gottheit, die die Erde und Mutter von allem darstellt und für das Leben und den Tod steht. In Tempeln wird sie mit zwei weiteren Göttinnen dargestellt, darunter oft die Dame des Sehens und die Dame des Nachwuchses.

Es gibt noch zahlreiche lokale Göttinnen mit mütterlichen Eigenschaften, die für den Tod und das Leben stehen, so wie Canmu im Norden und Mazu an der Ostküste und in Taiwan. Ein Titel den alle Göttinnen, die diese Eigenschaften innehalten, tragen, ist Königin des Himmels. Diese kosmischen Göttinnen sind Manifestationen des Todes allgemein und besonders des Todes von Kindern, Müttern und Frauen bei der Geburt.


Weibliche Todesdarstellungen in Ozeanien


Maori


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Hine-nui-te-pō and Māui, National Library of New Zealand


Hine-nui-te-pō, geboren als Tikikapakapa, ist die Maori-Göttin der Nacht, zu der die Menschen gehen, wenn sie sterben. Die Tangata Whenua, eine neuseeländische Untergruppe der Maori, glauben, dass das Himmelsrot am Abend von ihr kommt. Ihre Mutter Hine-ahu-one war die erste Menschenfrau, die Tāne Mahuta, der ursprünglich geschlechtsloser Gott der Harmonie und Vögel (ein Kind von Rangi und Papa), der sich später für ein Geschlecht entschied, aus roter Erde schuf, um sie zu heiraten. Tikikapakapas Name wurde kurz nach ihrer Geburt zu Hine-au-tauria geändert. Sie heiratete, ohne es zu wissen, ihren Vater und gebar ihm Kinder. Als sie erfuhr, wer ihr Vater war, brachte sie sich aus Scham um. Sie ist der erste Suizid in der Maori-Geschichte. Mit ihrem Tod wurde sie zur Göttin der Unterwelt, Hine-nui-te-pō, die die Seelen der Toten fängt, bevor ihr Vater Tāne sie ins Licht führen kann.

In der Maori-Mythologie versucht der Halbgott Māui Hine-nui-te-pō zu töten, da sein Vater Makeatutara, ebenfalls ein Gott der Unterwelt, ihm verspricht, dass es keinen Tod gibt, wenn Hine-nui-te-pō stirbt und Māui somit ewig leben wird. Sein Plan ist es, als Wurm durch sie hindurch zu kriechen und sie somit von innen zu zerstören. Die schlafende Unterweltgöttin wird jedoch von einem Vogel geweckt und tötet den Halbgott, der damit der erste Mann in der Maori-Geschichte wird, der stirbt.


Literatur

  • Laennec Hurbon: Voodoo. Search for the Spirit. (1995)
  • Irving Rouse: The Tainos. Rise and Decline of the People Who Greeted Columbus. New Haven. (1993)
  • Adela Fernández: Dioses Prehispánicos de México. (1996)
  • Matsumae Takeshi: Izanagi and Izanami. (2005)
  • Paul Gäbler: Vedische und brahmanische Religion. (1959)
  • Hla Thamein: Thirty-Seven Nats. (2006)
  • Tara Yap: Lin-ay, symbolic of Iloilo’s history & culture, unveiled. (2012)
  • C. E. Bosworth/Muhammad Seyfeydinovich Asimov: History of civilizations of Central Asia. (2000)
  • Hüseyin Özcan: Gün Ana. (2010)
  • B.G. Biggs: Maori Myths and Traditions. (1966)

Online Grenzen aufbrechen? Ein Blick auf Uni-Twitter

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Online Grenzen aufzubrechen?

Ein Blick auf Uni-Twitter


Disclaimer: Es handelt sich bei dem folgenden Meinungsartikel um eine persönliche Beobachtung, die keinen Anspruch auf Objektivität und Vollständigkeit hat. Im Folgenden wird vor allem über die Geisteswissenschaft gesprochen, nicht über andere wissenschaftliche Gruppierungen, die sich eventuell ebenfalls online austauschen.


Online-Uni auf Twitter – ein Experiment

Schon bevor im letzten Semester (Sommersemester 2019) mehrere Dozierende an deutschsprachigen Universitäten Seminare zum Thema ‚Relevante Literaturwissenschaft‘ anboten, sammelten sich auf dieser Plattform zahlreiche (Uni-)Persönlichkeiten: Studierende im Bachelor, Master, älteren Studiengängen und im Staatsexamen, (Post-)Doktorand*innen, Lehrende, Lehrer*innen, Professor*innen, Aussteiger*innen, Quereinsteiger*innen und Beobachtende. Ein bisschen fühlte es sich an, als säße man mit einigen hundert Leuten in einem Saal und alle sind Gasthörende. Vorne steht jede Woche, nein jeden Tag, nein jede Stunde, nein jede Minute eine andere Person, die über ihr Fachgebiet, ihre Expertise und/oder ein Forschungsprojekt spricht. Hat man Interesse, dann bleibt man, wenn nicht, kann man weiterscrollen und jemand anderes bietet etwas an.

Twitter ist schnelllebig. Das wird oft als negative Eigenschaft genannt, wenn man es im Hinblick auf Kommunikation und Nutzen für die Universität betrachtet. Auch die Ansammlung an Menschen, die alle einen anderen Hintergrund und Bildungsgrad haben, wird gerne kritisch betrachtet. Aber genau das macht den Reiz aus: Alle sind gleichauf. Es wird nach Interessen getrennt diskutiert, nicht zwingend nach Hierarchie (obschon es in der Hinsicht oft gewisse Tendenzen gibt).

Ich glaube nicht, dass irgendjemand erwartet, dass eine Plattform wie Twitter jemals Seminare ersetzen oder einen ähnlichen Zweck wie Vorlesungen erfüllen wird – es geht vielmehr um interessante Ergänzungen/Angebote. Die Grenze zwischen der festen Institution Uni und der wissenschaftlichen Blase in sozialen Medien wurde mit den Seminaren überschritten. Studierende hatten nun (je nach Seminar) die Aufgabe mitzumischen und diese Umgebung für sich zu nutzen. Es war ein Experiment, was laut offiziellen Stimmen und Erfahrungsberichten (von Studierenden und Lehrenden zugleich) gut lief.

Gemeinsam Grenzen aufbrechen?

Das Ziel war es, je nach Seminarthema, Grenzen aufzubrechen. Dozierende führten ihre Studierenden durch die Grenzen zwischen Skandal und Ethik, Gesellschaft und Literatur, digitaler und analoger Sichtweise. Dazwischen sammelten sich Außenstehende, wie ich etwa, die passende Vorlesungen in einigen Tweets zusammenfassten, mit den dazugekommenen Studierenden diskutierten und/oder weiterhin ihre Projekte und Texte zu ähnlichen Themen veröffentlichten. Literaturbetrachtung im digitalen Zeitalter ist interdisziplinär – das lernten nicht nur die Studierenden in den letzten Monaten.

Zwischen Blogs/Twitter und dem ‚offline‘ Seminar entstand eine Lücke, die nicht alle Seminarteilnehmer*innen in dem Zeitraum des Semesters schließen konnten und das ist absolut verständlich. Chancen aufzeigen ist das eine, aber in wenigen Wochen nicht nur über literarische Themen sprechen, sondern gleichsam auch einer Gruppe (junger) Menschen diese Online-Welt erklären und nahebringen, ist eine doppelte Belastung für alle Beteiligten.

Zumal die Studierenden auf eine Wand trafen, die erst langsam abgebaut werden musste. Eigene Zurückhaltung und die generelle Überforderung (durch die schnelle Natur der Online-Wissenschaftler*innen bedingt) kombinierten sich und viele blieben still, was schade ist, aber nachvollziehbar. Es ist schon schwer genug die inneren Kreise aufzubrechen, wenn man seit Monaten dabei ist. Als Neuling auf einen so große Anzahl an Menschen zu treffen, die sich alle (lose) kennen und wie gewohnt ihre Projekte/Gedanken vorstellen und diskutieren, ist – mir fällt kein besseres Wort ein – krass. Zumal man nebenbei noch die Ansprüche des Seminars erfüllen möchte und man nur wenige Wochen Zeit hat, um in diese ‚Blase‘ einzudringen.

Die Grenzen des Twitter-Seminars

Trotz all des Lobs ist das Projekt nicht perfekt und es stechen negative Aspekte hervor, über die man sprechen muss, wenn man diese Art von Projekten weiterführen möchte: die Überforderung, der Arbeitsaufwand, der nicht immer als solcher gesehen wird, weil wir soziale Medien eigentlich als Pause betrachten und die etablierten Strukturen, die nicht immer Platz für Neulinge bieten, um nur einige zu nennen.

Eine Sache, dir mir auffiel, ist, dass Dozierende oft nicht die Grenze ziehen, zwischen Seminar und sozialen Medien. Das Ziel ist es unter anderem, beides zu verbinden, aber das geht nicht immer. Seminarsitzungen enden regulär nach ein paar Stunden, Twitter endet nicht. Die Diskussion wird weitergeführt, ob man da ist oder nicht. Das ist auf Dauer sehr anstrengend, wenn einem gewisse Softskills fehlen. Einschätzen, wo man ‚erwünscht‘ ist, wo man Pausen einlegen kann, den Zwang dahinter abbauen – Universität mit einer Freizeitaktivität verbinden geht nicht ohne Weiteres. Vor allem, da die Dozierenden zwischen intellektuellen Tweets und – ich sage mal ~anderen~ Tweets (wie Insider und unsinnige/spaßigen Tweets) – hin und herwechselten, wie sie es gewohnt sind – ohne daran zu denken, dass Menschen, die neu auf Twitter und eigentlich nur für die Uni dort sind, dem nicht direkt folgen können/wollen und sich dadurch vielleicht auch ausgeschlossen fühlen. Die Softskills, die es braucht um zwischen Spaß und Uni auf einer Plattform wie Twitter fließend zu wechseln, muss man sich aufbauen. Das ist nicht bei allen vorausgesetzt. Ich spreche hier über neurodiverse Menschen, aber auch über Studierende in frühen Semestern, die nicht zwingend bereit sind, ihre Dozierenden so privat und nah kennenzulernen.

Eine weitere Beobachtung ist, dass oft oberflächlich inklusiv gesprochen und gehandelt wird – alle können mitmachen, jede Stimme ist erwünscht – aber die Strukturen dahinter nicht so offen sind, wie man es online gewohnt ist. Feminismus, Anti-Rassismus, Anti-Faschismus – soziale Medien sind politisch. Seminare an der Universität können nicht immer politisch sein und widersprechen aufgrund von alten Strukturen oft diesen Prinzipien. Man spricht auf Twitter über Sexismus oder die Vermeidung von Slurs, wie dem N-Wort oder den problematischen Bezeichnungen für Sinti und Roma – und dann liest man an der Uni Werke/Sekundärliteratur, die diese Wörter beinhalten oder sexistisch sind, weil die Literatur an Universitäten (schon alleine aufgrund ihres häufig fortgeschrittenen Alters) in fast allen Fällen nicht politisch korrekt ist und es den Anspruch auf Kritik daran nicht in jedem Seminar gibt.

Für die Seminarleitenden ist es zusätzliche Arbeitslast, diese beiden Entwicklungen parallel zu behandeln, das anzusprechen und da kritisch genug für Twitter zu sein. Auch weil Kritik an Strukturen der Uni selbst sowie an den Büchern und Aufsätzen von wichtigen Wissenschaftler*innen und Kolleg*innen nicht immer möglich ist. Das macht man in der Universität nicht – auf Twitter hingegen schon. Diese Plattform, bekannt dafür, dass man Probleme ankreidet und offenlegt, lässt sich nicht mit den Regeln der Universität vereinen.

Für wen ist das Ganze eigentlich?

Am Ende des Experiments steht für mich die Frage im Raum, wer daran eigentlich profitiert. Natürlich haben die Studierenden etwas dabei gelernt, zumindest nehmen wir das jetzt einfach mal an – sei es nun über die Seminarinhalte oder im Bezug auf Uni-Twitter. Aber die, die wirklich etwas aus dem Experiment ziehen, sind doch die Lehrenden, oder?

Die Meinung von Kolleg*innen ist mehr wert, als die von Studierenden – das ist normal. Und dieses Projekt bot eine Plattform, um sich online für alle Kolleg*innen sichtbar zu profilieren; sich einen Namen zu machen, in dem man Grenzen überschreitet und zu testen, inwiefern man die etablierten Strukturen auf Twitter zur Lehre nutzen kann. Ich sage nicht, dass das schlecht ist – aber dass ich mir da mehr Transparenz wünschen würde. Was sich Dozierende an diesen Seminaren erhoffen, interessiert sicher nicht nur mich und das man sich als Nachwuchswissenschaftler*in profilieren und herausstellen will/muss ist allen klar.

Genderbias und Privilegien – die Chancen und Probleme der ‚Twitter-Seminare‘

Zu den positiven Auswirkungen und Chancen zählt, dass sich eine große Gruppe an Menschen online bildet und austauscht und Studierende da mehr mitmischen sollten. So werden die elitären Gruppierungen aufgebrochen und es bleibt inklusiver für alle Beteiligten, auch die ohne Doktortitel. Dazu passt auch, dass es vor allem junge Menschen auf diese Plattform zieht und sich so Studierende mit jungen Wissenschaftler*innen austauschen – es herrscht eine gemeinsame Basis. Man muss nicht lange über den Nutzen von sozialen Medien diskutieren, weil beide Parteien diese bereits für sich entdeckt haben. Man kann also einen Stufe weiter oben ansetzen und das tut, gerade wenn man an den Unis viel im ‚für-mich-lohnt-sich-das-nicht-mehr‘-Ton über soziale Medien spricht, einfach gut.

Durch die Gruppen an Menschen, die oben genannt wurden, werden Studierende mit Personen konfrontiert, die andere Fächer studieren und lehren, ausgestiegen sind, später eingestiegen sind, etc. Der Pool der Erfahrungen und Themen ist groß, die Grenzen der Uni-Hierarchie werden abgebaut und vor allem sehen sie, was man alles werden kann, wenn man eine Geisteswissenschaft studiert. Jede*r hat eine andere Werdensgeschichte und man wird nicht so schnell entmutigt, wenn man mal eine schlechte Note hat oder ein Ziel nicht erreicht. Es gibt immer jemanden, der einen ähnlichen Weg hat(te) und einen versteht und stützen kann.

Das wohl wichtigste Argument für mich ist aber, dass Twitter die alteingesessenen Akedemiker*innenfamilien-Strukturen aufrüttelt. Durch akademischen Austausch auf sozialen Medien kann jede*r Kontakte knüpfen, die sonst einer elitären Schicht vorbehalten waren. Berufs- und Bildungschancen, Mentor*innen, Praktikumsstellen – der Austausch führt zu einer Annäherung an Chancengleichheit zwischen Arbeiter- und Akademiker*innenfamilen. Es gibt selbstredend viele weitere Privilegien, die Arbeiter*innenkinder an Unis nicht haben, aber Twitter öffnet das System zumindest an dieser Stelle ein wenig.

Einer der negativen Aspekte an diesem Experiment ist – ironischerweise – die ständige Öffentlichkeit. ‚Unnötige‘ Fragen und Missverständnisse, wie sie bei Studierenden auftauchen dürfen, werden online auf eine Bühne gestellt, die nicht nur einschüchtert, sondern auch verhindert, dass diese Fehltritte verschwinden. Sie sind auch nach der Seminarsitzung noch da und werden nicht so schnell vergessen, wie mündliche Sprechbeiträge. Gerade wenn man auf Twitter mit ‚ausgewachsenen‘ Wissenschaftler*innen schreibt, traut man sich nicht, Fragen zu stellen oder offen Unwissen zuzugeben, weil man sich nicht bloßstellen will. Das heißt aber auch, dass man eine Lern-Gelegenheit verpasst. Seminare sind, gerade in frühen Semestern, eine kleine Safespace, in der man scheitern darf – sogar muss – und gemeinsam lernt. Auf Twitter kann es passieren, dass man die einzige Person in der Unterhaltung ist, die etwas nicht weiß. Man ist als Studierende*r teilweise alleine und das ist sehr einschüchternd.

Die Hierarchie, die man aus der Uni kennt, verschwindet zudem auch auf Twitter nie ganz. Man steht noch immer irgendwie außen vor, weil die Dozierenden sich alle kennen und gemeinsam twittern und das ist normal – es ist immerhin ein soziales Netzwerk – aber das macht es nicht weniger deprimierend, weil man weiß, dass man nicht wirklich dazugehört. Zumindest geht es mir so und ich bin schon lange dabei. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man komplett neu dazukommt und diese Mechanismen noch nicht kennt. Die Grenze zwischen Freundschaft und Hierarchie verschwimmt und man muss aufpassen, dass man keine Linie überschreitet, die man als Student*in nicht passieren darf. Twitter ist offen für alle, das stimmt, aber es bilden sich Freundschaften, aus denen man ausgeschlossen wird, wenn man als Student*in den eigenen Dozierenden gegenüber steht. Es ist schwer, manchmal nicht enttäuscht zu sein, wenn man realisiert, dass man eben doch in der Rolle der Studierenden festsitzt.

Das zieht sich in Bereiche, in denen man über das Privatleben schreiben will, über eine schlechte Note, eine Enttäuschung, etwas außerhalb der Uni – Dinge, für die soziale Netzwerke eigentlich herhalten – und dann realisiert man, dass die Dozierenden mitlesen. Diese Uni-Struktur auf Twitter macht die Safespace jener kaputt, die es neben dem Unikram auch zum Zeitvertreib nutzen. Man möchte nicht, dass die eigene Uni (Dozierende und Kommiliton*innen) das sehen. Die Grundprämisse sozialer Medien wird dadurch dezimiert.

Schließlich sind soziale Medien generell gut für die Inklusion, bringen aber neue Problematiken mit sich. Frauen und weiblich Gelesene können auf Twitter beispielsweise nicht immer so offen schreiben, wie Männer. Viele soziale Netzwerke haben einen Genderbias, der auch in der Uni vorkommt und so bedingen sich diese beiden Mechanismen sehr gut. Als Dozierende*r muss man ein Auge darauf haben, was wieder zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet.

‚Fazit‘

Ich will kein wirkliches Fazit schreiben, weil ich nicht direkt bei dem Projekt mitgemacht habe. Ich bin lediglich eine Studentin, die seit einigen Monaten diese Twitter-Entwicklung beobachtet und mitgestaltet (zumindest rede ich mir das ein). Ich weiß auch ehrlich nicht, was überwiegt – das Positive oder das Negative. Uni-Twitter hat sehr gute Auswirkungen auf mich, schlägt aber auch schnell das Selbstbewusstsein an und treibt einen in den Zweitaccount, weil man ein Outlet benötigt, aber vor den ganzen schlauen Menschen nicht zugeben will, dass es einem schlecht geht.

Meine Hoffnung ist es, dass dieser Artikel zukünftige Seminare in eine Richtung beeinflusst, die es Studierenden einfacher macht, in die Uni-Twitter-Welt einzusteigen. Ich will hiermit aber vor allem auch eine kritische Stimme bilden, die, bei all dem Lob, auch die Problematiken der letzten Monate aufgreift und hervorhebt.

Jungfräulichkeit in der westlichen Kultur

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Jungfräulichkeit in der westlichen Kultur


TW: Sexuell explizite Bilder, sexuell explizite Sprache, sexualisierte Gewalt, Rassismus, Sklaverei (nur Nennung), Heteronormativität, Transmisia, Antisemitismus, Gadje-Rassismus, Nationalsozialismus, Genitalverstümmelung (nur Nennung).


Dieser Blogtext wird euch kostenfrei zur Verfügung gestellt, falls ihr mich und meine Arbeit unterstützen wollt, könnt ihr das hier: Paypal.


Disclaimer: Im folgenden Text soll das Phänomen der Jungfräulichkeit in der westlichen Medienlandschaft und (Pop)Kultur diskutiert werden, dafür muss sich leider an einigen Stellen auf heteronormative und transexkludierende Sprache/Forschung berufen werden. Es wird sich bemüht, diese als problematisch zu kennzeichnen und – wenn irgendwie möglich – auf sie zu verzichten. Leider ist die Forschung und die Sprache in diesem Bereich nicht weit genug, um zu 100% auf solche menschenfeindlichen Darstellungen und Sprachmuster zu verzichten. Dafür entschuldige ich mich im Voraus.


Gibt es eine historische Jungfräulichkeit?

Denkt man an Jungfräulichkeit, so ist die erste Assoziation (zumindest aus kunsthistorischer Sicht) die Jungfrau Maria und ihre unbefleckte Empfängnis. Maria, die dafür bekannt ist, als Jungfrau ein Kind bekommen zu haben. Jungfräulichkeit wird im christlichen Glauben (und damit auch in der stark von ihm beeinflussten westlichen Kultur) spätestens seit Maria mit Reinheit und Erhabenheit gleichgesetzt. Doch Jungfräulichkeit als Motiv ist sehr viel älter als Maria und historisch heteronormativ.

ggIn der Frühantike gab es das Statuenmotiv der ‚tiefgegurteten Nymphe‘, das in der hellenistischen Hochphase der Antike weiter bearbeitet und ausgebaut wurde. Diese Abbildung weist auf eine Art Jungfrauengürtel hin, der für die Keuschheit der jeweiligen Frauen steht. Der Begriff ‚Nymphe‘ bezeichnet sowohl Halbgöttinnen als auch junge Frauen ab der Pubertät bis zu ihrer Hochzeit und noch spezifischer eine Braut an ihrem Hochzeitstag. Mit dem (halb)göttlichen Part wird vor allem Fruchtbarkeit assoziiert, die auf die jungen Frauen übertragen wird, die ab der Pubertät Reproduktionsfähigkeit besitzen. Bei einer Hochzeit wurde der Nymphe als Hochzeitsgöttin etwas geopfert – in der Zeit davor werden die jungen Frauen und Nymphen generell tiefgegürtet dargestellt. Der Gürtel symbolisiert ihre Reinheit, Unschuld und – am wichtigsten von allem – ihren Glauben. Auch die Tempeldienerinnen waren jungfräulich und ihre ‚Verunreinung‘ durch lüsterne Götter macht mehrere Kapitel in der griechischen und römischen Mythologie aus. Religion fungierte über Jahrhunderte hinweg aber auch als Schutz für Frauen, wie Elizabeth Castelli in Virginity and Its Meaning for Women’s Sexuality in Early Christianity schreibt. Wie effektiv dieser Schutz war/ist, ist jedoch in Frage zu stellen, wie sich an den jüngeren Skandalen in der katholischen Kirche zeigt.

Jungfräulichkeit und Religion stehen seit Jahrtausenden in direkter Korrelation. Diese religiös-motivierte Ambivalenz zwischen gut und böse, rein und unrein, jungfräulich und sexuell aktiv besitzt einen Genderbias, der an dieser Stelle nicht außen vor gelassen werden darf. Der erste große Hinweis auf ein geschlechterbasiertes Ungleichgewicht ist das Wort ‚Jungfrau‘, beziehungsweise ‚Jungfräulichkeit‘ – beides Begriffe, die wir im modernen Kontext auch für Männer/männlich Gelesene verwenden, obwohl sie sich historisch und sprachlich auf ‚junge Frauen‘ beziehen. Von Männern wird (je nach Zeit/Kultur/Stand) erwartet, bereits vor der Ehe sexuell aktiv zu werden – beziehungsweise wird es mindestens nicht sanktioniert oder zwingend auf ihre Mangel an Religion und Charakter zurückgeführt. Die Frage ist: Wenn von jungen Frauen erwartet wird bis zur Ehe zu warten, wo sollen junge Männer dann eine Partnerin finden? Dieses System setzt sexualisierte Gewalt, Untreue und/oder Sexarbeit voraus, wobei es jedoch den weiblichen Part in dieser Gleichung automatisch abwertet. Weibliche Sexualität muss existieren, um die Anforderungen an Männer zu erfüllen, wird gleichsam jedoch als unmoralisch und unrein konnotiert.

Sexuelle Inaktivität wird, in ihren Wurzeln, schon immer auf Frauen/weiblich Gelesene reduziert und zugeschnitten. Wann immer (im historischen Kontext) auf eine sexuell inaktive Person hingewiesen wird, geschieht dies mit Verweis auf deren weiblich konnotierte Geschlechtsmerkmale. Auch, wenn die Person männlich ist/gelesen wird. Ist ein Mann sexuell (noch) nicht aktiv, so ist er eine ‚Pussy‘ oder ein ‚Mädchen‘ oder wird mit ähnlichen weiblich konnotierten Beleidigungen konfrontiert. Dies beginnt bereits im Mittelalter, bei Werken wie der mittelhochdeutschen Versnovelle Helmbrecht von Wernher dem Gärtner (zwischen 1250 und 1280). Aber auch aktive Sexualität wird von weiblich konnotierten Geschlechtsmerkmalen und Reifemerkmalen abhängig gemacht. So ist Sexualität immer von dem Eintritt der Periode bestimmt, erst dann kann historisch gesprochen geheiratet werden, denn erst dann ist es möglich Kinder zu zeugen. Das Alter und die Reife des Mannes sind nicht wirklich entscheidend. Jungfräulichkeit wird an das Hymen geknüpft, was nur in weiblich gelesenen Körper existiert und weibliche Sexualität darf in historischem Kontext nur dann existieren, wenn daraus Kinder entstehen können, alle anderen Formen sind tabuisiert.


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Lilith, John Collier (1892)


Blut und Schmerzen – ein toxischer Mythos

Jungfräulichkeit als Konzept tritt in vielen Muster auf. Besieht man sich die weibliche Entjungferung, so trifft man auf Bilder und Informationen, die Angst hervorrufen und Sexualität als etwas Schmerzhaftes konnotieren. Diese Motive haben einen gemeinsamen Nenner: das Hymen, auch Jungfernhäutchen genannt.

Die Vorstellung vieler (gerade junger) Menschen ist, dass diese ‚Haut‘ bei der ersten Penetration einreißt und dabei Schmerzen verursacht, die die Person mit Vagina ertragen muss, da dies eben ’natürlich‘ und ’normal‘ sei. Doch ist man sich in der Forschung seit Jahrzehnten bewusst, dass dies ein gefährlicher Mythos ist:

Abundant myths exist in different cultures portraying hymen as the icon of spotlessness obligatory to be cracked at the first night of marriage but the reality discloses it as a very subtle mucosal tissue lining the vaginal opening procuring different shapes and may be thin, elastic, thicker and less stretchy. […]

Some [people with hymens] contemplate that this tissue must break at the first penile penetration but this ‚first time‘ belief is a myth. […] In some […] a small amount of this tissue may break out but this may not necessarily happen for the very first time. Sexual intercourse must occur when [the person with the hymen] is aroused, relaxed, lubricated where the penetration must be done slowly if it is the first time as in such cases question of bleeding can be ignored. Forceful penetration may upshot in bleeding however, some women bleed due to non-flexible nature of their hymen.

(Dr. Navodita Maurice, Hymen and Virginity: A Social Humiliation, 2015)

Bevor man sich mit der Umsetzung in Medien und Kultur beschäftigt, muss man zunächst diese Mythen adressieren und widerlegen. Denn was Dr. Navodita Maurice schreibt, ist leider nicht so bekannt, wie es sein sollte. Hymen sind keine magischen Vagina-Siegel, die bei dem ersten sexuellen Kontakt automatisch brechen. Sie sind dehnbar und reißen oft gar nicht oder durch Aktivitäten, die nichts mit Sex zu tun haben, wie bei generellem Sport, Reiten, Fahrradfahren, etc. – ein Grund, warum Frauen in manchen Zeitabschnitten verboten wurde, diese Aktivitäten auszuüben.

Der Mythos einer schmerzhaften Entjungferung ist etwas, was bis heute als Allgemeinwissen gilt. Heteronormativer Sex muss für Menschen mit Vagina, zumindest die ersten paar Mal, wehtun – so heißt es. Das ‚erste Mal‘ wird von Medien, populärer Kultur und über Generationen weitergegebenes Halbwissen so spezifisch als unangenehm und schmerzhaft definiert, dass viele es erst später in ihrem Leben hinterfragen. Die Schmerzen kommen, wie Maurice in ihrem Rechercheartikel festhält, von erzwungener Penetration oder fehlender Vorbereitung. Die Idee, dass Sex etwas ist, was Menschen mit Vagina im jungen Alter nicht mögen können (und dürfen) wird durch Jahrhunderte des Patriarchats gefestigt. In diesem wird die Unterdrückung von weiblicher (bzw. als weiblich gesehener) Sexualität durch ebensolche Mythen erreicht. Hinzu kommt, dass die Schmerzen als Grundlage für die Entjungferung ein Weltbild stützen, in dem die Person mit Vagina gegen ihren Willen entjungfert wird – etwas was besonders in Medien, die an das Mittelalter angelehnt sind, gerne aufgegriffen und als Fakt verkauft wird.

Auch das Bluten bei der Entjungferung ist Teil dieser Darstellung und wird, gerade in der Serie Game of Thrones, deutlicher noch in den Büchern dazu, zu etwas stilisiert, was Grauen und Ekel, aber auch Faszination hervorrufen soll. Dies läuft unter zwei Annahmen:

  1. Wenn die Person nicht blutet, hatte sie schon Sex.
  2. Blut ist ein Anzeichen dafür, dass der Sex nicht einvernehmlich ist.

Die erste ist, wie in diesem Beitrag nun geklärt wurde, nicht wahr. Nicht alle Menschen mit Hymen bluten beim ersten Mal, das Hymen kann beim Sex gar nicht reißen oder bereits zuvor gerissen sein.

Hinter der zweiten Annahme steckt etwas, was nicht einfach als falsch gedeutet werden kann. Denn ja, das generelle Konzept von Schmerzen und Blut bei der Entjungferung kommt aus dem Gedanken, dass Sex für Menschen mit Vagina beim ersten Mal nicht angenehm sein kann/darf und die Person dabei bluten wird. Die automatische Verknüpfung von Gewalt/Schmerzen und Blut ist trotzdem nicht gerechtfertigt, denn auch wenn die sexuelle Handlung angenehm und einvernehmlich ist, kann es, je nach Körper, zu leichten Blutungen kommen. Diese dürfen nicht mit dem gewalttätigen Unterton solcher Szenen gleichgesetzt werden.


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Three Ladies Adorning a Term of Hymen, Joshua Reynolds (1773)


Der westliche Zwiespalt

Die Tatsache, dass wir Jungfräulichkeit an die Existenz eines kleinen Häutchens knüpfen, was nur Menschen mit Vagina haben, ist lächerlich, wenn man genauer darüber nachdenkt. Nicht-westliche Kulturen haben einen traditionell anderen Umgang mit Sexualität und Jungfräulichkeit, der im Zuge der Kolonialisierung an westliche Standards angepasst wurde – eine negative Entwicklung für Menschen mit Vagina in diesen Bereichen der Welt. So schreibt Eric Julian Manalastas über Jungfräulichkeit in den Philippinen, dass junge Frauen für ihre Sexualität bestraft werden, wohingegen junge Männer darin bestätigt werden – dieses Konzept von sexueller Männlichkeit und asexueller Weiblichkeit kommt aus der westlichen Kultur und wurde in die ganze Welt exportiert. Neben der Tatsache, dass es ganze Kulturen beeinflusste und das Bild von weiblicher Sexualität global veränderte sorgt es auch dafür, dass sexualisierte Gewalt normalisiert wird, denn die Frau/Person mit Vagina als passiver Teil und der Mann/die Person mit Penis als aktiver (sich etwas nehmender) Teil kommt genau aus diesem Weltbild.

Respekt und Jungfräulichkeit werden traditionell miteinander verbunden und gerade im westlichen Mittelalter entwickelten sich Strukturen, die jungfräuliche Frauen (und generell Menschen mit Vagina) als besonders rein – und begehrenswert kennzeichneten. Hier wurde die Jungfrau von einem Symbol für Reinheit zu einem Sexsymbol. Der Reiz des frischen, ‚reinen‘ und (noch) nicht eroberten Körper brachte gefährliche Konsequenzen mit sich. Ein Zwiespalt entwickelte sich: Einerseits wurde die sexuell inaktive Frau als Reinheitssymbol der Religion gefeiert, andererseits wurden nun aber alle Frauen, die begehrenswert erschienen, als Jungfrau stilisiert und tatsächliche Jungfrauen zum Sexsymbol erklärt.

Um es deutlich zu sagen: Jungfrauen wurden sexuell begehrt, verloren aber in der Sekunde, in der sie diesem Drang nachgaben (oder dazu gezwungen wurden) ihren Status und ihren Reiz. An dieser Entwicklung wurde ihnen dann selbst die Schuld gegeben.

Die Glorifizierung von Jungfrauen kann anhand von bekannten weiblich gelesenen Persönlichkeiten in der Geschichte verfolgt werden, wie etwa Joan of Arc und Königin Elizabeth I. Ob diese wirklich jungfräulich waren, ist im Endeffekt egal, denn die Menschen ihrer Zeit und alle, die folgten, begannen Zölibat, ‚Asexualität‘ und Verweigerung der Heirat in ihre ‚Marke‘ zu integrieren und es zu einem wichtigen Teil ihrer Persönlichkeit zu stilisieren, der historisch betrachtet nicht zwingend auf Fakten beruhen muss. Gerade historische Frauenfiguren, die sich Gott verschreiben und auf Sex verzichten, verkaufen sich gut – so schlimm es auch klingt. Schriftsteller*innen, Geschichtsschreiber*innen, Journalist*innen, Regisseur*innen, und weitere Medienproduzent*innen, die unser Bild von Kultur und Geschichte prägen, wissen, was Menschen lesen/hören/sehen wollen. Geschichten von Frauen, die sich widersetzten und rebellierten, sind ohne die sexuelle Komponente einfach nicht interessant genug. Es braucht einen Skandal oder eine Verweigerung, um weiblich gelesene Persönlichkeiten berühmt zu machen.

Dieser westliche Zwiespalt übt(e) sich negativ auf junge (weiße) Frauen aus, aber wie eigentlich immer in unserer Geschichte, traf es andere wesentlich härter. Denn die Reinheitsvorstellungen führten dazu, dass im Zuge des Kolonialismus alle weiblich gelesenen, die nicht weiß waren, automatisch als unrein gesehen wurden; auch der religiöse Schutz fiel weg – sie waren also der sexualisierten Gewalt seitens der Kolonialmächte ausgeliefert, ohne dass jemand dafür bestraft werden konnte. Sie konnten aus dem westlichen Weltbild heraus nicht weiter verunreinigt werden, erhielten keinen Schutz aus der christlichen Religion und waren für Ehen ungeeignet, womit also auch keinem zukünftigen Mann etwas weggenommen wurde. Die Sexualisierung von nicht-weißen Frauen und weiblich Gelesenen spielte ebenfalls in diese Sichtweise hinein und ihre Ausläufer können wir bis heute sehen. Menschen, die sexualisierte Gewalt erleben, wird eher geglaubt, wenn sie weiß sind und die sexuelle Selbstbestimmung von weißen Frauen gilt als schützenswerter als die von BIWoCs.


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Au Salon de la Rue des Moulins, Henri de Toulouse-Lautrec (1894)


Die Rolle der populären Kultur

In der populären Kultur wird seit dem 18. Jahrhundert ein gewisser Standard evoziert, der Jungfräulichkeit zu einem eigenen Thema macht. Der Keuschheitsgürtel ist ein gutes Beispiel hierfür. Historisch gesehen war der Gürtel ein Schutz vor sexuellen Übergriffen, der nur sehr selten tatsächlich genutzt wurde. Durch mediale Darstellung in der populären Kultur ab etwa 1750 (besonders in der Mittelalterromantik ab 1800) wurde er zu einem Zeichen der Überwachung und des „Auf-die-Ehe-Wartens“. Der strenge Vater, der die Sexualität seiner Tochter kontrolliert und dabei versagt wurde zu einem Symbol im Bürgerlichen Trauerspiel. Die Jungfräulichkeit als Tauschgut, als Wert der jungen Frauen, setzte sich fest in der Gesellschaft ab. Vermutlich noch fester, als wir es vom Mittelalter erwarten. Die Neuzeit war es, die diese Symbolik auf ein neues Level hob.

Diese Vorstellungen wurden in den 20ern teilweise aufgebrochen, als die (weibliche) Avantgarde-Literatur (Marieluise Fleißer) begann, mehr über sexuelle Stigmata zu schreiben und die Schande, die jungen Frauen/weiblich Gelesenen aufgelegt wurde, zu entpacken. Dies wurde nach dem Zweiten Weltkrieg lange verdrängt und erst in den 80ern wieder ausgepackt (Elfriede Jelinek).

Dazwischen begannen öffentliche Medien wieder auf alte Stereotypen zurückzugreifen, wie etwa sexuelles Erwachen bei jungen (unschuldigen) Frauen, die sexuell aktive Frau als böse/verrucht und mehr. In modernen Serien gibt es einen Zwiespalt zwischen altbackenen Mittelalterdarstellungen (wie Game of Thrones) und sexistischen Untertönen in eigentlich diversen Serien (Atypical (Darstellung der Frau als Mittel zum Zweck (Sex)), How to get away with murder (Jungfräulichkeitspackt, „Test“ zur Feststellung von Jungfräulichkeit, Slutshaming)). Selbst Serien wie Black-ish, die eigentlich solche Dinge entpacken, sind nicht immun gegen schlechte Recherche und Slutshaming gegenüber jungen Frauen. Wo der Sohn für sein erstes Mal gefeiert wird, bricht der Vater in Tränen aus, wenn er erfährt, dass seine erwachsene Tochter Sex hat.

Wenn in Serien wie Game of Thrones eine Vergewaltigung dazu führt, dass die Frau keine Jungfrau mehr ist, ihren Wert verliert und als „unrein“ gilt (Sansa Stark), aber einvernehmlicher gleichgeschlechtlicher Sex zwischen zwei Frauen nicht denselben Effekt hat (Margaery Tyrell) sendet das essenziell die Nachricht, dass eine Vergewaltigung eher als sexuelle Handlung akzeptiert wird, als Sex zwischen zwei Frauen.

Populäre Kultur spiegelt heteronormative und veraltet-sexistische Bilder von Sexualität wider und beeinflusst damit unser Denken und unsere Einstellungen – ohne dass wir es aktiv bemerken. Statt die Chance zu nutzen eine diverse Bandbreite von Jungfräulichkeit und Sexualität darzustellen, beruft sich die populäre Kultur auf sexistische, veraltete Standards. Wir haben kein Problem damit die sexuelle Erwachung von einer Vierzehnjährigen darzustellen oder sexualisierte Gewalt zu zeigen, aber Asexualität oder eine gesunde Beziehung von zwei Menschen, die nicht cis-hetero sind, geht zu weit. Wenn es in den Medien mal eine asexuelle Figur gibt, dann ist diese dick und weiblich – alles andere wäre ja „Verschwendung“. Und wenn es mal eine LGBTQ+ Figur gibt, so ist diese nicht geoutet oder wird gemobbt/verfolgt.


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The Flirtation, Eugen de Blaas (1904)


Männliche Jungfräulichkeit

Weiblich Gelesene stehen zwischen den Stühlen, wenn es um ihre Jungfräulichkeit geht; sie können es niemanden wirklich recht machen. Männlich Gelesene hingegen haben nur ein Ziel, wenn man den Medien glaubt: Sex. Die Vorstellung, die wir von jungen Männern haben ist, dass sie möglichst schnell sexuell aktiv werden wollen.

Ihnen wird abgesprochen, dass sie asexuell sein können oder auf die Ehe/richtige Person warten wollen. [Eines der wenigen Positivbeispiele ist Todd aus Bojack Horseman.] Damit schädigen wir nicht nur ihre Sicht auf Sexualität, sondern auch ihre Rolle in der Gesellschaft. Denn wenn wir – heteronormativ gesprochen – jungen Frauen beibringen, dass sie ja keinen Sex haben sollen, junge Männer aber dazu zwingen früh Sex zu haben, bleibt ihnen kaum eine andere Möglichkeit, als den weiblichen Part dazu zu überreden oder – im schlimmsten Fall – zu zwingen.

Männliche Jungfräulichkeit in den Medien dreht sich entweder darum, schnellstmöglich keine Jungfrau mehr zu sein oder – in seltenen Fällen – um religiösen Zölibat. Ansonsten spielt sie keine wirkliche Rolle. Wir nehmen bei jungen, männlich gelesenen Menschen einfach an, dass sie entweder bereits sexuell aktiv sind oder es sein wollen. Dementsprechend gibt es endlos viele Darstellungen von „coolen“ Teenagern, die ihre Freundin dazu überreden Sex mit ihnen zu haben, andere Jungen dafür auslachen noch Jungfrau zu sein oder ihre Freundin betrügen, weil sie „Triebe“ haben und diese sie nicht erfüllen wollte.

Diese „Triebe“ beruhen ebenso auf Pseudobiologie, wie der Umgang mit dem Hymen. Blue Balls wird als Begriff genutzt, um Frauen zu shamen, die einem Mann den Sex verweigern. Sein Sexualtrieb wird über die körperliche Selbstbestimmung der Frau gestellt.

Der Druck auf junge cis Männer möglichst früh sexuell aktiv zu sein schadet ihnen, übt sich jedoch ebenso negativ auf junge cis Frauen aus. Ihnen wird die Rolle des „Mittels zum Zweck“ zugeschrieben. Sie verlieren ihren „Wert“, damit der cis Mann seine Triebe erfüllen kann. Was sie wollen und welche negativen Auswirkungen dies auf sie haben kann rückt dabei in den Hintergrund.

Sex wird als etwas dargestellt, was vom Mann ausgeht. Die Frau erträgt es ihm zuliebe nur. Dabei ist es besonders wichtig, dass wir jungen Menschen zeigen, dass Sex mehr ist als Penetration und dass es immer mindestens zwei Personen benötigt, die es gleichermaßen wollen und sich der Konsequenzen bewusst sind. Verhütung spielt hierbei ebenfalls eine Rolle, denn cis Männer können nicht schwanger werden, was ihnen einen einfachen Ausweg aus der Diskussion um Verhütung ermöglicht. Die Konsequenzen sexueller Handlungen müssen von allen getragen werden, die an der Handlung beteiligt waren. Diese Grundsätze müssen vor allem jungen cis Männern klargemacht werden, bevor sie sexuell aktiv werden.

Wenn wir cis-männliche Jungfräulichkeit entpacken und die toxischen Zwänge ablegen wollen, müssen wir sie mit Verantwortung und Sexualkunde ersetzen, die Sex als etwas definiert, was Konsequenzen hat, nicht zwingend einen Penis beinhalten muss und nur stattfinden kann, wenn sich alle auf Augenhöhe begegnen und bereit sind eventuelle Konsequenzen gemeinsam zu tragen.


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La mort de Socrate, Jacques-Louis David (1787)


Heteronormativität und Jugendkultur

Die heutige populäre Kultur ist sehr sexorientiert. Alle Serien/Filme benötigen irgendeine Form der Sexualität. Dabei haben wir ein sehr definiertes Bild von Sexualität, in dem nicht alles gleichwertig ist. Wir wissen genau wann Sex passiert und warum – alles dreht sich um cis-männliche Triebe.

Bei Game of Thrones reicht eine Vergewaltigung, um einer Frau ihre Jungfräulichkeit zu nehmen. Dabei ist sexualisierte Gewalt nicht dasselbe wie Sex – die Frau muss keinen Sex haben, um als sexuelles, „verdorbenes“ Wesen gesehen zu werden. Wir wissen, dass wenn ein cis Mann Sex will, das auch passiert. Egal ob mit einem anderen cis Mann oder mit einer cis Frau. Der Penis ist der Fokus unseres Sexualitätsverständnis. Gleichgeschlechtlicher Sex zweier Frauen führt nicht dazu, dass sie im Sinne unseres Verständnisses ihre Jungfräulichkeit verlieren. Auch die sexuelle Erwachung von cis Frauen dreht sich in der Regel um einen cis Mann, der ihnen ihre „verruchte/schmutzige“ Seite zeigt. Der cis Mann ist der Held, die cis Frau verliert ihre Unschuld und ist nun ein sexuelles Wesen. Diese Darstellung kennt man aus Filmen, Serien, Büchern, Fanfiktions – sogar aus Videospielen.

Dabei ist Jungfräulichkeit nicht an einen Penis geknüpft! Penetration ist nicht das, was sexuelle Handlungen ausmacht. Ebenso wie das Hymen einer Person mit Vagina nicht bestimmt, ob sie „rein“ oder „unrein“ ist. Diese pseudo-medizinische Ansicht sorgt dafür, dass jedes Jahr mehr und mehr junge Menschen genital verstümmelt werden, um zu verhindern, dass sie ihre Jungfräulichkeit verlieren. Auch „Virginity-Testing“ existiert und hat furchtbare Ausmaße. Die Forscherinnen Benita de Robila und Louise Vincent untersuchen „Virginity-Testing“ in Südafrika und schreiben über die Konsequenzen für junge Menschen mit Vagina, die den Test nicht bestehen.

Sexualität dreht sich so sehr um traditionell männlich gesehene Geschlechtsorgane, dass junge Menschen nicht lernen, was Sex ist und was nicht. Sexualisierte Gewalt ist kein Sex. Sex ohne Penis ist Sex. Niemand muss Sex haben, um einen gewissen „Status“ zu erreichen, aber wenn jemand Sex haben will ist das alleinig die Verantwortung von ihnen den jeweiligen Partner*innen. Dem cis Penis wird in sexuellen Beziehungen alle Macht zugesprochen, dabei geht es um so viel mehr, als nur cis-männliche Befriedigung.

Die Heteronormativität sorgt dafür, dass wir weiblich gelesene Jungfrauen in Gruppen einteilen. Die einen sollen unbedingt Jungfrau bleiben und werden unter grausamen Methoden dazu gezwungen – die anderen sollen unbedingt heteronormativen Sex haben, da nichts anderes sie aus ihrer Rolle der Jungfrau herausheben kann. Es steht uncool aber unschuldig versus cool aber weniger wert.


Jungfräulichkeit wird in der LGBTQA+ Community anders definiert und ist um einiges Komplexer, als der westlich-heteronormative Standard. Hier einige Links zu Jungfräulichkeit/Sex bei trans Personen, Asexuellen und in der restlichen LGBQ+ Community.


Die heutige Jugendkultur ist sehr viel offener gegenüber diverser Sexualität, was oft dazu führt, dass der „neuen“ Generation eine Hypersexualität zugesprochen wird. Dem ist nicht so. Wir sind heute nicht sexueller als Generationen vor uns, wir haben nur die Chance unsere Sexualitäten offen zu leben. Ganz gleich welche Sexualität wir haben und inwiefern wir uns dazu entschließen sexuell aktiv zu werden.


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Punning visually on the lute in this brothel scene, Gerrit van Honthorst (1625)


Pornografie und (früh) Sexualisierung

Ein Grund für diese Öffnung ist Pornografie.

Pornografie wird generell tabuisiert, dabei ist es das einzige Medium, in dem Sex wirklich eine Rolle spielen muss – anders als in Serien/Filmen/Büchern/Videospielen ist die Grundprämisse eine einvernehmlich sexuelle Handlung zwischen zwei erwachsenen Menschen. Selbst wenn die Handlung nicht als solche dargestellt wird – legale Pornografie funktioniert nur, weil die Schauspieler*innen dahinter diese Ansprüche erfüllen.

Der richtige Umgang mit Pornografie kann jungen Menschen viel über Sex beibringen. Die Absprache hinter der Kamera, die Verhütung und vor allem die gemeinsame Grundlage, dass alle mit den geplanten Handlungen einverstanden sein müssen.

Die (berechtigte) Angst vieler Erwachsenen ist, dass Pornografie ein Bild von Sex vermittelt, was nicht der Realität entspricht. Dem ist auch oft so, allerdings werden junge Menschen so oder so mit diesen Bildern konfrontiert. Der Unterschied ist, dass wir die Darstellung von sexualisierter Gewalt in Serien wie Game of Thrones nicht verurteilen, die in Pornografie jedoch schon. Die Frühsexualisierung von Jugendlichen geschieht in der medien-definierten Welt des 21. Jahrhunderts, ob wir es wollen oder nicht. Pornografie hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber Serien/Filmen – sie befasst sich aktiv mit dem Thema, statt es nur als leeren Plot-Device zu nutzen.

Viele Pornodarsteller*innen arbeiten aktiv daran, ein Bild von Sexualität zu entwerfen das zeigt, dass jede Handlung (egal wie sie aussieht) nur okay ist, wenn alle Partner*innen damit einverstanden sind. Ganz gleich, ob es um heteronormativen Sex, nicht-heteronormativen Sex oder Fetische geht. Es gibt Pornografie, die Sexualitäten als Fetisch darstellt und das ist zu verurteilen, aber gleichsam steht hinter jedem legalen pornografischen Inhalt (der nicht gezeichnet ist) ein Team an Menschen, die alle freiwillig und aktiv dabei sind. Durch Pornografie werden alle Arten von Sexualität gezeigt – es gibt Genres für alle Sexualitäten und Präferenzen – ohne Verurteilung. Junge Menschen sehen ihre Sexualität in diesen Medien, nicht die heteronormative Filterung Hollywoods.

Erotische Medien (wie Pornografie, erotische Literatur, etc.) erfüllen eine wichtige Rolle in der Medienlandschaft. Sie umfassen die Themen, die es auch in anderen Medien gibt, und machen sie zum Fokus. Über diese Darstellungen können wir als Gesellschaft aktiv die Bilder steuern, die junge Menschen in dieser Hinsicht prägen. Ein offenes Gespräch über Pornografie und die Hintergründe von legaler (und illegaler) medialer Sexarbeit sind ein wichtiger Grundstock für das Verständnis von Sexualität und Jungfräulichkeit junger Menschen.


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Le déjeuner sur l’herbe, Édouard Manet (1863)


Fazit

Jungfräulichkeit wird in den (westlichen) Medien als ein fast ausschließlich cis-weibliches Thema dargestellt. Die heteronormativen Bilder evozieren ein Verständnis von Sexualität, was seit Jahrhunderten existiert und im 21. Jahrhundert langsam aufgebrochen wird. In der Antike gab es ein teilweise offeneres Verständnis von Homosexualität, was jedoch nicht so modern ist, wie gerne angenommen und spätestens durch das Mittelalter komplett aus der medialen Darstellung verschwand.

Nicht-heteronormativer Sex wurde lange auf cis Frauen beschränkt und galt nicht wirklich als sexuelle Handlung, sondern vielmehr als Fetisch, der besonders cis Männern als Sex-Fantasie diente (und teilweise bis heute dient). Das Verständnis von Sexualität geht so weit, dass sogar sexualisierte Gewalt eher als sexuelle Handlung gilt, als gleichgeschlechtlicher Sex ohne einen Penis.

Junge Menschen werden mit einer Darstellung von Jungfräulichkeit und Sexualität konfrontiert, die im Mediengedächtnis der letzten Jahrhunderte eine feste Form annahm. Diese dreht sich um cis-männliche Befriedigung und Schande für den cis-weiblichen Part. Die Heteronormativität wird im 21. Jahrhundert langsam abgebaut, findet sich jedoch trotzdem noch in den Medien – selbst in eigentlich offenen und diversen Serien/Filmen.

Der gemeinsame Nenner hinter diesen medialen und kulturellen Traditionen ist die primär-westliche Religion, genauer das Christentum. Die Unterdrückung weiblicher Sexualität wird nur von Darstellungen gebrochen, die sexuelle Aktivität als Statussymbol darstellen. Junge, weiblich gelesene Menschen stehen zwischen den Stühlen und müssen sich entscheiden zwischen zwei Rollenvorgaben, die beide positive und negative Konsequenzen mit sich bringen. Männlich Gelesene hingegen werden so aktiv darauf trainiert, sexuelle Aktivität als Lebensziel zu sehen, dass Respekt und Verantwortung dabei vernachlässigt werden. Die LGBTQA+ Community kämpft darum, wahrgenommen zu werden und die pseudobiologischen Annahmen rund um Sexualität und Jungfräulichkeit in den Medien abzubauen.

Wir haben als Gesellschaft noch einen langen Weg vor uns, Sexualität zu enttabuisieren und Jungfräulichkeit als Konzept abzuschaffen. Nur wenn wir es schaffen, das Konzept komplett zu vergessen, wird es für alle Menschen möglich, ihre Sexualität frei von Stigmata und toxischen Vorstellungen auszuleben – ganz gleich, ob sie überhaupt sexuell aktiv sein wollen und wenn ja wann und mit wem.


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Illustration für den Erotikroman ‚Aphrodite‘ von Pierre Louÿs, Maurice Ray (1931)


Linksammlung und Fachliteratur


Nochmals als Disclaimer: Leider schließt fast alle Fachliteratur die Existenz von trans Menschen und der generellen LGBA*-Community aus. Darauf sollte beim weiteren Nachlesen geachtet werden. Die Literatur ist fast ausschließlich auf Englisch, da im internationalen Raum mehr dazu geforscht wird.


  • Dr. Navodita Maurice: Hymen and Virginity: A Social Humiliation. (2015)
  • Dr. Iklim Goksel: Rhetorics of Virginity in Turkish Modernity. (2009)
  • Dr. Corinne Harol: Enlightened Virginity in Eighteenth-Century-Literatury. (2006)
  • Eric Julian Manalastas: Valuation of Women’s Virginity in the Philippines. (2018)
  • Terry P. Humphreys: Cognitive Frameworks of Virginity and First Intercourse. (2013)
  • Miriam Robbins Dexter: Indo-European Reflection of Virginity and Autonomy. (1985)
  • Elizabeth Castelli: Virginity and Its Meaning for Women’s Sexuality in Early Christianity. (1986)
  • Dr. Hannelore Winkler: Zur Jungfräulichkeit in der Antike: Die tiefgegürteten Nymphen. (2014)
  • Benita de Robila: ‚Girls‘ and virginity: Making the Post-Apartheid Nation State. (2009)
  • Louise Vincent:  Virginity testing in South Africa: Re-traditioning the Postcolony. (2006)
  • Jonas Eriksson/Terry P. Humphreys: Development of the Virginity Beliefs Scale. (2014)
  • Paige Averett: Virginity Definitions and Meaning Among the LGBT Community. (2014)