
Umbrüche, neue Identitäten und Revolutionen – Eine kleine Literaturgeschichte II
1786 – 1848
Wiederholung und die Französische Revolution – was musste geschehen, um die Klassik und die Romantik zu ermöglichen?
Im ersten Teil dieser kleinen Literaturgeschichte wurde das 18. Jahrhundert in einzelne Strömungen heruntergebrochen, die sich allesamt zur Aufklärung zählen lassen oder zumindest daraus entsprangen.
Die deutsche Literaturlandschaft wurde ab den 1720er zu einer moralischen Zone, in der sich Vernunftbegeisterung mit neuen Regelung vereinte. Die beiden Strömungen (im ersten Teil zu Gellerts Morallehre und Lessings neuer Dramenpoesie vereinfacht) standen der Empfindsamkeit unter La Roche und Klopstock gegenüber. Aus diesem Zwiespalt entwuchs der Sturm und Drang. Gleichzeitig brachte Winckelmann den Klassizismus nach Deutschland, der wenig später von Teilen der Sturm und Drang Bewegung (vor allem Goethe und Schiller) übernommen wurde.
Ein Einschnitt in die deutschsprachige Kulturszene stand ab Mitte der 1786er kurz bevor. Frankreich, Nachbarland und zu diesem Zeitpunkt kulturelles Epizentrum der Aufklärung, sowie Paradebeispiel für moderne Literatur und Philosophie, haderte bereits seit Anfang des Jahrhunderts mit dem Absolutismus. In den Jahren vor der Französischen Revolution 1789 zeigen sich bereits erste Änderungen, die auch im damals noch in verschiedene Machtbereiche zerteilten Deutschland zu spüren waren.
Literat*innen im ganzen deutschsprachigen Bereich wurden auf die politischen Umbrüche aufmerksam. Die Stimmung war ambivalent, stand die Französische Revolution in ihrer Anfangsphase (bis 1791) doch vor allem für Freiheit, aber eben auch gegen alte Machtstrukturen. Etwas, dass deutsche Politiker*innen und Literat*innen, die fast ausschließlich einer höhergestellten Gesellschaftsschicht angehörten, nicht unbedingt gefallen wollte.
Die gewaltsamen und diktatorischen Züge, die die Revolution in den Folgejahren annahm beschäftige wohl jeden, der im damaligen Deutschland literarisch und/oder politisch gebildet war. Als Ausgleich wurde die Flucht in den Süden und die Altertumskunde unternommen. Sie wurde zum Nährboden für die Weimarer Klassik.
Mit dem Enden der Französische Revolution begann auch das Aufatmen der Deutschen. Diese hatten über 10 Jahre hinweg beobachten müssen, wie sich ein Land direkt neben ihnen, welches dazu üblicherweise als Vorbild in literarischen und philosophischen Dingen galt, selbst zerstörte. Die Jahrhundertwende brachte frischen Wind und einen Umbruch für die neue Generation der Dichter*innen, von denen viele nicht wussten, zu welcher Strömung sie nun gehörten. Diese Ungewissheit, die mit Napoleons Auf- und Abstieg wenig später nur noch verstärkt wurde, wurde zum Antrieb und Aushängeschild der (Früh)Romantiker.
Die Weimarer Klassik – eine Freundschaft wird zur Epoche
Die Weimarer Klassik wird gerne an Goethes Italienreise und seiner Freundschaft zu Dichterkollegen Friedrich Schiller festgemacht. Das sogenannte ‚Viergestirn‘, welches aus eben jenen beiden, sowie Johann Gottfried von Herder und Christoph Martin Wieland, bestand, machte den literarischen Kern dieser Bewegung aus.
Goethe als Auslöser dieser Literaturepoche ist jedoch in mehrerer Hinsicht fragwürdig. Seine Krise als Minister am Hof der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach und ihrem Sohn Carl August, für den sie lange Zeit mitregierte, dauerte zum Zeitpunkt der berühmten Italienreise schon beinahe 10 Jahre. Frustration aus der (mehr oder minder) unerwiderten Liebe zu Charlotte von Stein, einer lange andauernden Schreibblockade und seinem politischen Schaffen in einer Zeit, die kurz vor einem der größten Umbrüche der Neuzeit stand, führten ihn in den Süden. Was oft als Flucht beschrieben wird, war tatsächlich Frucht einer langwierigen Planung. Seine Abwesenheit vom Hof wurde nur gewährt, wenn er dafür gewisse Leistungen erbrachte. Eine Abmachung, die Goethe auf mehreren Ebenen brach, was ihm von der Geduldigen Anna Amalia und dem Rest des Hofes jedoch immer wieder verziehen wurde.
Klassizismus wie er von Winckelmann in die deutsche Literaturkultur eingeführt wurde, brachte die Antike zurück in aller Munde – obschon es zu Hinterfragen gilt, ob sie jemals aufhörte, zentraler Bestandteil der Literatur (in Deutschland) zu sein. Was sich tatsächlich veränderte war die Art und Weise, wie über die Antike gesprochen wurde.
Statt einer reinen Rezeption antiker Dichtungen fand eine Erhöhung des antiken ‚Lebensgefühls‘ statt. Kunst, Architektur, Literatur und eben jenes Lebensgefühl sollten emuliert und in die moderne Denkweise übertragen werden. Dies geschah zum einen durch Übersetzungen und Rezeption bei Herder und Wieland, auf besondere Art und Weise jedoch bei Schiller und Goethe.
Der Grund, warum die Freundschaft der beiden Schriftsteller als eigene kleine Weimarer Klassik gesehen werden kann, ist, da sie die Umsetzung von Winckelmanns Forderungen mit einem gewissen Humor annahmen. Zwischen den ernsten theoretischen Schriften Schillers und der Iphigenie Goethes ging es beiden um mehr, als das. Sie brachten das Lebensgefühl ins später 18. Jahrhundert, in dem sie die lockere Sichtweise auf Dinge, die der Antike zugesprochen wurde, für sich übernahmen und den Literaturkanon der Zeit mit ironischen Bemerkungen und üblen Verrissen traditioneller SchriftstellerInnen aufmischten.
Einer der Schriftsteller*innen, der sich in dem Umbruch zur Klassik unwohl fühlte, war Gottfried August Bürger. Die polemische Art und Weise, wie Goethe und Schiller sich über den Literaturtrieb lustig machten (man denke nur an Schillers Zeitschrift Die Horen (1795–1797) oder die Antwort der beiden auf Kritik an eben dieser Zeitschrift in den Xenien (1796)) missfiel ihm und anderen Autor*innen. Als ehemaliger Autor des Sturm und Drang gehörte Bürger zu jenen, mit denen Goethe recht harsch den Kontakt abbrach. Er entwickelte sich eher in die moralisierende Richtung, statt in die experimentell-klassizistische.
Bürger war als Dichter unter dem Volk sehr beliebt, konnte im kollegialen Umfeld jedoch nicht viel beisteuern. Das offene Geheimnis um das Zusammenleben mit seiner Frau und ihrer Schwester, sowie seiner sonstigen sexuellen Eskapaden half seiner Reputation auch nur dahingehend weiter, als dass sich die üblichen Verrisse seiner Veröffentlichungen nun auch auf sein Liebesleben bezogen. Den Umgangston musste er sich, ironischerweise, gefallen lassen. Ironischerweise deshalb, da die Kritiker*innen oft ebenfalls skandalös lebten, es jedoch besser versteckten oder – in Goethes Fall – sogar vermarkteten.
Die Strömungen nach 1815 – Biedermeiner, Hochromantik und Revolution
Die Weimarer Klassik endete für viele Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Tod Schillers, spätestens aber mit Goethes Ableben 1832. Napoleons Einfluss auf Deutschland, sowie die Eingliederung Preußens in den Deutschen Bund 1815 veränderten die Art und Weise, wie Deutsche sich selbst sahen. Die Restaurationspolitik griff um sich und der politische Vormärz begann. Es entstand eine Identitätskrise, die die RomantikerInnen zu lösen versuchten.
Pathetische Beschreibungen von Leben und Tod, wie sie etwa Georg Philipp Friedrich von Hardenberg aka. Novalis vornahm, Romane, die die eigene Position im Literaturtrieb reflektierten, theoretische Schriften zum Erhabenen und der Kulturpolitik im deutschen Sprachraum (besonders gut bei den Schlegelbrüdern Friedrich und August Wilhelm zu beobachten) bildeten einen Ausgangspunkt für die Hochromantik. Diese macht es sich dann zur Aufgabe gegen den Klassizismus zu rebellieren (ein generelles Phänomen der Romantik) in dem sie eine neue deutsche Identität zu schaffen suchte, die sich nicht von französischen und italienischen Einflüssen abhängig macht.
Die Idee war es, das Mittelalter als deutsche Hochzeit zu stilisieren und mit großflächig erfundenen Sagen (wie Clemens Brentanos Lorelay) einen Wohlfühl-Ort für frühe deutsche Nationalist*innen zu erschaffen. Mit diesem künstlich kreierten Kulturerbe sollten es deutsche Literat*innen nicht mehr länger nötig haben, sich auf ausländische Kulturen zu berufen. Die Ironie eine Sirene, ein antikes Symbolbild der Verführung, als deutsches Kulturerbe zu nutzen, war auch für Zeitgenossen ein wichtiger Kritikpunkt. Ein weiterer war die versuchte Einführung einer einheitlichen Sprache durch die Grimms, da sie Dialekte und Soziolekte innerhalb Deutschlands vom Literaturtrieb ausschlossen.
Die Romantik teilte sich in mehrere Phasen auf und war teils stark Ortsgebunden. Als Hauptvertreter*innen lassen sich jedoch Novalis, die Schlegels, die Grimms, Joseph von Eichendorff, Ludwig Tieck, Goethe und Brentano, sowie Bettina und Achim von Arnim und Karoline von Günderrode nennen. Der große Umfang der Vertreter*innen lässt bereits darauf schließen, dass es nicht die eine Romantik gab. Die Romantiker*innen waren so zersplittert, wie der Rest der Literaturszene auch.
Heinrich Heine und Heinrich von Kleist sind zwei Autoren, an denen sich die Ungewissheit der Zeit gut darstellen lässt. Neben der Romantik als Hauptströmung existierten Anfang des 19. Jahrhunderts noch die Ausläufer der Weimarer Klassik und die Weiterentwicklung der moralisch-traditionellen Literatur: den Biedermeier, der von Autor*innen wie Annette von Droste-Hülshoff und Franz Grillparzer angeführt wurde. Dazu kamen ab 1825 das Junge Deutschland mit Heinrich Laube und Theodor Mundt, sowie der Vormärz unter Georg Büchner, Louise Aston und Annette von Droste-Hülshoff (sie stand literarisch ebenfalls zwischen den Stühlen), die auf die Revolutions-Stimmung eingingen und für liberale Politik und Emanzipation kämpften.
Heine wird oft zwischen Romantik und Jungem Deutschland verortet, da er als junger Dichter zwar Teil der romantischen Strömung war, sich jedoch eher über die Romantik lustig machte. Zudem sind seine romantischen Schriften in der Rezeption zwar bekannt, für ihn jedoch nicht weiter bedeutend, wenn man sich sein Lebenswerk als Dichter des Jungen Deutschland und Vormärz ansieht.
Kleist dagegen war sich selbst nie so ganz sicher, wozu er überhaupt gehören wollte. Als Außenseiter im Literaturtrieb hatte er sein ganzes Leben lang mit finanziellen und persönlichen Problemen zu kämpfen. Die zahlreichen negativen Rezensionen seiner Werke und die Ablehnung Goethes, sowie der beständiger Wechsel seines Hauptberufes trugen stark dazu bei. Er wird zwischen Weimarer Klassik und Romantik verortet, gehörte jedoch keiner der beiden Strömungen jemals wirklich an.
Die Rebell*innen des 19. Jahrhunderts, also die AnhängerInnen des Jungen Deutschlands und Vormärz, gewannen gegen Ende der Romantik immer mehr an Zuspruch. Statt die neue Identität auszubauen, wollten sie politischen Wandel und Moderne. Vieler ihre Ideen und Ideale übernahmen sie von der Julirevolution 1830 in Frankreich, bei der die letzten Überbleibsel der Bourbonen, sowie der reaktionären Politik von König Karl X. in Frankreich gestürzt wurden und die erneute Machtergreifung des Bürgertums in einem liberalen Königreich endete. Der Novemberaufstand von Polen gegenüber Russland 1830/1831, auch Kadettenaufstand genannt, übte ebenfalls Einfluss aus.
Die Karlsbader Beschlüsse von 1819 wurden aufgestellt, um revolutionäre Freiheitsbewegungen einzuschränken, die besonders in studentischen Burschenschaften aufkeimten. Studierenden, darunter viele Literat*innen, versuchten demokratische Grundsätze durchzusetzen. 1832 veranstalteten sie das Hambacher Fest, 1833 scheiterte eine deutschlandweite Revolution beim Frankfurter Wachensturm. Über fast ein halbes Jahrhundert hinweg entwickelte sich aus den Beschlüssen genau das, was eigentlich verhindert werden sollte: eine liberale, nationalistische Revolution. Diese wuchs dank Pauperismus, Weberaufstand, zunehmend schlechteren Ernten und weiteren Problemen an, bis sie schließlich zur 48er Revolution, also zur Märzrevolution wurde
Ausblick – die Revolution ist gescheitert, was kommt jetzt?
Nach den ernüchternden Ergebnissen der Revolution setzte der Realismus ein. Sowohl im Alltag, als auch in der Literatur. Realismus und Naturalismus bilden bis zur Jahrhundertwende die bestimmenden Grundpfeiler der Literatur. Es dauert ein halbes Jahrhundert, bis der Expressionismus die klaren, geregelten Ausdrucksformeln durchbricht.