Elitäre Gruppenbildung in den Online-Geisteswissenschaften

Elitäre Gruppenbildung in den Online-Geisteswissenschaften

Elitäre Gruppenbildung in den Online-Geisteswissenschaften


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Twitter als Online-Raum für geisteswissenschaftlichen Austausch ist aktuell wohl eines der häufigsten Themen in meiner Timeline. Dabei fühle ich mich als Studierende oft nicht mitgemeint, wenn beispielsweise über Literatur gesprochen wird.

Da mich die Chancen von Twitter als offener Raum für Bildung und (literatur)wissenschaftliche Diskussionen interessieren und ich bisher noch keine studentische Sichtweise auf das Ganze entdecken konnte, habe ich mich zu einer kleinen, persönlichen (!) Betrachtung der Lage entschlossen.

Die Ausgangssituation als Studierende

In den letzten Monaten bin ich zunehmend in die Literaturwissenschaftliche-Twitterblase abgerutscht. Ursprünglich war ich als Autorin im Internet unterwegs, dann begannen sich Leute für meine Zusammenfassungen von Uni-Seminaren und Hausarbeiten zu interessieren. Irgendwann wurden aus den ursprünglichen Leser*innen (sprich anderen Studierenden, Autorenkolleg*innen und Freund*innen von mir) Wissenschaftler*innen. Meine Timeline änderte sich. Jetzt bin ich Teil einer regen Gruppe an Literaturwissenschaftler*innen und genieße das sehr.

Man fühlt sich als noch Studierende/r, beziehungsweise Laie/Laiin besonders, wenn man mit Doktorand*innen, Dozierenden und Professor*innen über Themen diskutiert, die alle gleich spannend finden und wo jede Stimme (theoretisch) gehört wird.

Dafür ist mein eigenes Profil jedoch wesentlich leerer geworden und das ist Leuten aufgefallen. Wo früher Threads zu Burgen oder über meine Hass-Liebe (mehr Hass als Liebe) zu Brecht standen, finden sich jetzt nur noch Retweets zur Diskussion anderer. Und das stört mich. Ebenso wie es mir erklärt, warum ich so wenig andere Studierende in den Diskussionen entdecke.

Viel zu oft passiert es, dass Menschen aus Diskussionen ausgeschlossen werden, weil ihnen die nötige (Fach)Sprache oder das absurd große, aber eben geforderte Wissen fehlt.

Mein Blog ist sehr still (und fast leer), weil die bloße Idee zwischen all diesen gebildeten Menschen einen pseudo-wissenschaftlichen, beziehungsweise „minderwertigen“ Bericht über etwas zu veröffentlichen, mir Bauchschmerzen bereitet.

Seit ich (mehrfach) darauf angesprochen wurde, frage ich mich, ob diese ganze Entwicklung wirklich so gut ist, wie ich dachte. Ich hatte mal Spaß daran, Leuten auf lockere Art und Weise von den Inhalten meines Studiums zu berichten. Nun traue ich mich kaum, über Literatur zu schreiben. Weil in meiner Timeline jeden Tag Diskussionen über die Literaturszene stattfinden und Menschen, die ihr Studium lange hinter sich gelassen haben und nun Forschung betreiben und lehren, die Unterhaltung führen.

Woher kommt das und wie kann man entgegensteuern?

Mein Problem als Studierende

Ich bin ehrlich, ich trage zu dieser Spaltung bei. Ich traue mich nicht mehr, einfache Dinge zu schreiben, weil ich Angst habe, Leute, die sich wirklich auskennen, zu nerven oder als „ungebildet“ dazustehen.

Das Ziel (für mich) ist es demnach, mich durch Wissensdefizite nicht an literaturwissenschaftlichen Diskussionen hindern zu lassen und wieder mehr Platz für „laienhafte“ Artikel und Tweets zu schaffen. Nicht alles wissen, Dinge vereinfachen – und sich nicht dafür schämen, weil auf der Timeline gerade wieder mit Begriffen und Namen um sich geworfen wird, von denen man noch nie gehört hat.

Wo zwischen Laiin und Literaturwissenschaftlerin habe ich als Studierende meinen Platz? Wo darf ich mitreden, wo ist es unerwünscht, weil Dozierende und Forscher*innen unter sich sein wollen? Welchen Sinn haben kleine Berichte aus meiner wesentlich ungebildeteren Perspektive? Wie mache ich mich nicht lächerlich, wenn ich so etwas schreibe?

Diese Fragen halten mich davon ab, weiterhin über mein Studium zu schreiben.

Und ein großer Teil davon liegt an der Sprache. Hier wird die Sache größer. Sie betrifft nicht mehr nur mich und meine Probleme mit der aktuellen Lage.

Die Sprache als Trennwand

Literaturwissenschaftler*innen, mit denen ich mich austausche, versichern mir gerne, dass auf Twitter die Hierarchien der Universitäten heruntergebrochen werden. Und das stimmt auch, so lange man als Studierende/r oder Laie/Laiin mithalten kann.

Aber es sind dieselben Menschen, die tagtäglich in einem unfassbar anspruchsvollen, bildungssprachlichem Wortschatz schreiben, die mir versichern, dass ich ja gerne mitdiskutieren darf.

Wenn ich mal ehrlich bin, muss ich sagen: Ich traue mich nicht.

Studierende und solche, die nach dem Studium nicht in die Forschung gingen, sind von der Konversation ausgeschlossen. Nicht nur, weil wir uns nicht trauen, sondern weil wir von der Ausdrucksweise innerhalb der bestehenden Gruppen direkt ausgeschlossen werden. Ganz zu schweigen von Außenstehenden, die außer ehrlichem Interesse keinerlei Qualifikationen vorzuweisen haben.

Das ist per se nicht schlimm. Diskussionen im eigenen Fachgebieten bringen grundlegend eine elitäre Grundstimmung mit sich. Jene, die sich nicht auskennen, können nicht mithalten. Das ist zu einem gewissen Grad normal.

Aber Twitter wird gerade von Geisteswissenschaftler*innen als Plattform oft dafür gelobt, dass man wissenschaftliche Diskussionen öffentlich und erreichbar für alle führen kann.

Ich frage mich nun, ob das wirklich so gewünscht wird. Oder ob die Diskussionen nicht doch eher denen gleichen, die Dozierende an der Universität über die Köpfe ihrer Studierenden hinweg führen.

Ein gutes Beispiel sind Unterhaltungen über Studierende selbst. Wo kann ich, als „Betroffene“ sozusagen, mich einschalten, wenn über die Art, wie man mich und meine Kommiliton*innen am besten für Literatur begeistert, diskutiert wird?

Ebenso mit fachlichen Gesprächen über Texte, die in einer Sprache geführt werden, die an ein gedrucktes Buch erinnert. Ich werde zu diesen Diskussionen eingeladen, kann jedoch höchstens am Rand stehen und beobachten. Denn zwischen mir und dem Rest stehen die Mauern, die Twitter doch eigentlich herunterbrechen sollte.

Wie kann man einen Mittelweg finden, zwischen Diskussionen von und für Dozierende/Forschende und Diskussionen, an denen sich auch andere beteiligen können, ohne jedes zweite Wort und jeden dritten Namen nachschlagen zu müssen.

Das Problem liegt in der Geisteswissenschaft, nicht bei Twitter

Elitäre Gruppenbildung als Teil der Geisteswissenschaften

Twitter bietet als Plattform eine ideale Grundlage, um die Unterhaltung über Literatur zu öffnen. Um diese elitäre Gruppenbildung zu zerschlagen und jedem die Chance zu geben, sich zu äußern.

Das Problem liegt in den Geistenwissenschaften.

Elitäre Sprache und Abgrenzung von Außenstehenden sind Krankheiten der Literaturwissenschaft, die es seit Jahrzehnten für alle unnötig schwer machen, die von außen dazukommen. Arbeiterkinder die Zuhause nicht über Geisteswissenschaften sprechen (können), Menschen die einen (direkten) Migrationshintergrund und/oder eine Einschränkung haben – Geisteswissenschaften schließen alle aus, die länger brauchen, um ihre Defizite in Literaturwissen und Fachsprache aufzuholen.

Das hat (leider) auch Twitter erreicht. Interesse als gemeinsamer Faktor bringt Menschen, die mitsprechen wollen, nur so weit, wie ihr Fachwissen reicht. Und das ist oft einfach nicht weit genug.

Es wirkt zu Teilen fast so, als würden auch junge und moderne Lehrende/Forschende auf Twitter ihre Sprache gezielt einsetzen, um Studierende und jene, die nicht seit über 10 Jahren im Fachgebiet tätig sind, auszuschließen.

Auf einer Plattform wie Twitter entspricht dies einem enormen verschenkten Potential. Denn auch wenn Menschen wie ich nicht immer alles verstehen, wäre es schön, mitangesprochen zu werden. Zumindest wenn über uns gesprochen wird.

Warum muss man dieses Problem der Geisteswissenschaften auf ein neues, frisches Medium wie Twitter übertragen, statt die Chance zu nutzen, die Diskussion zu öffnen?

Diskussion statt Anklage

Diese Betrachtung soll mehr als ein Unterhaltungsstarter dienen, statt als „Anklageschrift“ für/gegen geisteswissenschaftliche Diskussionen auf Twitter. Die Sicht der Studierenden und Außenstehenden ist etwas, was meiner Meinung nach in der Debatte um Online-Geisteswissenschaften fehlt.

Gerade als Studierende nehme ich mich nämlich nicht aus, wenn ich über elitäre Sprache und Inhalte spreche. Es macht Spaß einfach mal zu fachsimpeln oder sich als gebildeter Mensch in einem Bereich zu profilieren. Aber die langfristige Motivation für eine Diskussion geht mir verloren, wenn ich aktiv von etwas ausgeschlossen werde, von dem ich wirklich gerne Teil wäre.

Habe ich das Fachwort hier richtig verstanden? Darf ich mich hier überhaupt einschalten oder wollen die „Profis“ unter sich bleiben? Nerve ich?

Zwischen Insiderwitzen, Ironisierungen von Diskursen und Fachwörtern, dem (vermutlich unterbewussten) Abschätzen von Studierenden (ich rede hier beispielsweise von der Diskussion: was müssen Studierende können) und mehr, fühlt man sich als noch studierende Person am falschen Platz.

Ich frage mich fast zu oft, ob ich unerwünscht bin. Ob ich die Timeline nicht lieber meiden sollte, weil meine studentische Meinung eh niemanden so wirklich interessiert. Davon kommt viel aus der eigenen Unsicherheit, dass will ich gar nicht bestreiten. Aber der Einstieg in bestehende Gruppen, die Sprache nutzen, um sich zu profilieren und abzugrenzen, ist wahnsinnig schwer. Ich frage mich, ob das so sein muss.

Die verschwindend geringe Anzahl der mitschreibenden Studierenden scheint nicht aufzufallen. Ebenso die Bemerkungen, die teils fallen. Die Zwinkersmileys, wenn sich jemand mit weniger Expertise beteiligen möchte. Die Entmutigung.

Ich habe viele Geisteswissenschaftler*innen auf Twitter als offene, liebe Menschen kennengelernt, die gerne ihre Diskussion öffnen wollen – die Umsetzung scheitert jedoch zu oft.

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