Triggerwarnungen in Büchern

triggerwarnungen in büchern

Triggerwarnungen in Büchern


TW: Gängige Trigger-Nennungen (nur per Name, keine tatsächlich triggernden Inhalte)


Disclaimer: Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Artikel, der im Dezember 2017 erstmals veröffentlicht wurde. Der Text wurde umgeschrieben, um aktuellen Themen besser zu entsprechen.

Ich bin eine Person die Triggerwarnungen benötigt und sich generell für sie ausspricht. Meine Meinung wird diesen Artikel dementsprechend beeinflussen.


Dieser Beitrag sollte nie eine Anklage sein. Ich hoffe, das es Leser*innen dieses Blogs mittlerweile bewusst ist, dass ich niemanden direkt angreifen möchte. Ziel dieses Artikels ist es nicht, ein Streitgespräch anzufeuern, sondern vielmehr Argumente zu bringen, die man annehmen kann oder nicht.

Generell kann nämlich jede*r Autor*in für sich selbst entscheiden, ob er/sie/nb vor Triggern warnen möchte oder nicht. Persönlich denke ich, dass die Personen, die Trigger nicht benennen wollen, gewisse Stereotype und Ängste haben. Auf einige davon will ich versuchen, eine Antwort zu finden.

Die Basics: Was ist ein Trigger?

Generell gesprochen ist ein Trigger etwas, was eine starke Emotion oder Erinnerung in Menschen hervorrufen kann. Dies kann kontrolliert geschehen (etwa, wenn sich die Person dem mit Absicht entgegenstellt) oder unkontrolliert (wenn die Person ohne Vorwarnung damit konfrontiert wird). Trigger können Geräusche, Gerüche, Personen, Themen, Dinge, Wörter und noch viel mehr sein. Es gibt keine feste Vorlage, was ein Trigger sein muss. Sie können beispielsweise auch positiv sein. Wenn man in einer Menschenmasse auf einmal ein Parfüm riecht, das einen an die Kindheit oder jemanden aus der Vergangenheit erinnert. Das kann schön sein.

Das Problem ist, wenn es nicht schön ist. Solche Trigger tauchen bei Personen auf, die Traumatisches erlebt haben. Sexuelle Gewalt, Tierquälerei, Mobbing (zum Beispiel Fatshaming oder Homophobie) und mentale Krankheiten (wie Essstörungen, Phobien oder problematische Therapien) sind häufige Gründe für negative Trigger.

Erstes Vorurteil: Alles kann ein Trigger sein

Als Argument gegen Triggerwarnungen wird oft gesagt, dass ja alles ein Trigger sein kann. Das ist generell korrekt. Wie oben bereits beschrieben gibt es jedoch Abstufungen von Triggern. Das bedeutet nicht, dass man deshalb keine setzen soll. Denn auch wenn es faktisch unmöglich ist, jeden existierenden Trigger zu benennen, so sind die größten bekannt. Gibt man diese an, so sorgt man dafür, dass der Großteil der eignen Leser*innen sicher vor Triggern ist. Das ist ein ziemlich gutes Ergebnis, finde ich.

Sollte man später in einer Unterhaltung mitbekommen, dass Menschen, mit denen man  häufiger in Austausch tritt, besondere Trigger haben, dann gibt man diese an. Weil man eben weiß, worauf man zu achten hat.

Zweites Vorurteil: Trigger haben nur ‚Sensibelchen‘

Abgesehen davon, dass nichts falsch daran ist, ein sensibler Mensch zu sein, ist dieses Vorurteil komplett falsch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Mensch Trigger hat. Positive und negative.

Ob das nun Alzheimer ist, weil jemand aus der Familie betroffen ist oder ein eigentlich unschuldiges Thema, womit man schlechte, persönliche Erinnerungen knüpft – sie sind da. Es kann sein, dass man sich selbst antrainiert hat, auf so was nicht zu reagieren. Das liegt oft daran, dass man nicht schwach erscheinen will oder nicht versteht, wieso einen dieses Thema stört.

Wie man mit den eigenen Triggern umgeht, ist grundsätzlich Sache der eigenen Grenzen. Nur weil Person A auf Trigger nicht (aktiv) reagiert und keine Warnungen (mehr) benötigt, darf man das nicht von Person B erwarten. Menschen verarbeiten Trauma und negative Gefühle immer unterschiedlich. Daran ist nichts verwerflich.


Exkurs: Es gibt Trigger, die als ’schlimmer‘ betrachtet werden, als andere. Entweder weil mehr Menschen betroffen sind oder weil sie von Außenstehenden ohne Trauma (!) so eingestuft werden. Wer sich über andere Traumatisierte stellt oder versucht innerhalb dieser Menschengruppen eine Hierarchie zu erstellen, der hat das Prinzip nicht verstanden. Trauma ist Trauma. Respektiert bitte alle Trigger, sofern ihr von ihnen wisst.


Drittes Vorurteil: Wenn ich das mache, spoilere ich

Gerade bei Autor*innen kommt dieser Spruch immer wieder. Dabei ist es eigentlich sehr einfach, nicht zu spoilern und trotzdem zu warnen. Ich spreche vor jedem meiner Artikel eine TW aus und bin mir ziemlich sicher, dass man davon nicht ableiten kann, was genau ich schreibe. Leute lesen die Artikel trotzdem. Warum sollte das bei Büchern anders sein?

Menschen die Triggerwarnungen benötigen werden euer Buch übrigens trotzdem lesen. Vielleicht sogar eher, als wenn ihr keine gemacht hättet. Weil man sich dann sicher sein kann, dass die eigenen Trigger nicht vorkommen oder weil man dann vorbereitet ist. Trigger haben die Macht, die sie haben, weil sie oft ohne Warnung kommen. Weiß man, worauf man sich einstellen muss, dann geht man gefestigt in die Leseerfahrung.

Zudem kaufen Leser*innen doch nicht nur Bücher, um das betreffende Thema anzulesen. Sie stützen euch, mögen euren Schreibstil und folgen den Figuren. Ein Buch ist mehr als nur seine problematischen Teile. Falls ihr mit etwas wie einer Vergewaltigung ’schocken‘ wollt, dann packt die TW ans Ende des Buchs und gebt vorne einen Hinweis, wo sie zu finden ist. (Ganz davon abgesehen, dass Trauma als Schockeffekt immer problematisch ist und nicht in dieser Art genutzt werden sollte.)

Viertes Vorurteil: Triggerwarnungen sind Zensur

Bei diesem ‚Argument‘ verdreht sich mir alles. Denn Menschen, die das sagen, schreiben und/oder denken, wissen einfach nicht, was Zensur ist. Bei problematischen Inhalten unterscheidet man zwischen Zensur, Indizierung und der Möglichkeit zur Selbstkontrolle (wie etwa USK bei Spielen und FSK bei Filmen).

Zensur ist, wenn Inhalte verändert werden. Dies geschieht entweder durch eine übergeordnete Machtposition (wie der Staat oder das Medium, in dem man etwas veröffentlichen möchte) oder durch einen selbst (z. B. aufgrund von negativem Backlash (Selbstzensur)). Zensur kann unterschiedliche Gründe haben. Anstößige Inhalte (wie explizite Sexualität, problematische Sprache und Gewalt) werden oft zensiert, um Menschen zu schützen. Dabei wird von einer dritten Instanz entschieden, was angemessen ist und was nicht. Zensur kann aber auch staatlich erfolgen, um Aktivist*innen ihre Stimme/Plattform zu nehmen oder die Freiheit von Menschen einzuengen. Daher ist Zensur auch immer angreifbar und das ist auch gut so.

Indizierung ist ein Schritt über der Zensur. Hier werden Dinge aktiv verboten, aus dem Handel genommen, nicht ausgestrahlt oder (im Falle von Internetseiten) nicht erreichbar gemacht. Auch hier kann man Kritik üben, da Indizierung nicht nur bei Videospielen, die als zu brutal eingestuft wurden passiert, sondern auch politisch eingesetzt wird.

Beides, Zensur und Indizierung, verhindern, dass Menschen etwas lesen, sehen, nutzen oder anderweitig konsumieren, weil eine dritte Instanz für Menschen entschieden hat, dass sie es nicht dürfen oder es nicht angemessen ist.

Mittel zur Selbstkontrolle sind nicht das. Sie sind ein freiwilliges (!) Angebot, zum Schutz von Menschengruppen wie Minderjährigen oder eben Personen die Trigger benötigen. Sie zeigen an, wenn eine Serie explizite Sexszenen beinhaltet, ein Spiel Gewalt verherrlicht oder in einem Film über Inhalte wie die NS-Zeit oder Tierquälerei gesprochen wird. Genau das sind Triggerwarnungen. Eine Angabe zur freiwilligen Selbstkontrolle.

Fazit

Das Leben ist voller Triggerwarnungen. Sie sind überall. Vor Filmen, Videospielen und in der Beschreibung von Netflixserien. Auch bei Fanfiktions ist es absolut normal, dass man Triggerwarnungen angibt. Andere Medien entdecken Triggerwarnungen für sich, wieso also nicht auch Bücher und Blogs? Wie man sie platziert (ob als Pop-Up, Warnung vor dem Text, hinten im Buch oder auf einer gesonderten Webseite) ist dabei nicht wichtig. Sie sollten nur eben für alle aufzufinden sein.

Solltet ihr euch für Triggerwarnungen entscheiden, dann schadet ihr damit niemandem. Alle, die es nicht betrifft, scrolle drüber oder blättern weiter. Ihr zeigt damit aber Respekt vor Menschen, die von gängigen Traumata betroffen sind. Das ist sehr viel wert, finde ich.

Ein Artikel zum Thema von meiner Kollegin Nora Bendzko

Wenn Heteros über Homos schreiben

Wenn Heteros über Homos schreiben

Wenn Heteros über Homos schreiben


Tw: Homosexualität, Fetischisierung, (sexuelle) Gewalt


Disclaimer: Nichts in diesem Artikel richtet sich gegen eine feste Gruppe oder eine Einzelperson. Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2018 veröffentlicht und Dezember 2018 überarbeitet. Aussagen, Erfahrungen und Neuerungen sind dieser Überarbeitung geschuldet.


Gay als Kassenschlager

In den letzten Monaten finden sich immer mehr Menschen in meinem literarischen Umfeld, die ihre Bücher unter dem „Genre“ Gay bewerben.

Zunächst wirkt das wie etwas Gutes. Es zeigt, dass Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen und, auch wenn sie selbst nicht „betroffen“ sind, über solche Beziehungen schreiben. Damit finden sich logischerweise mehr Geschichten mit homosexuellen Beziehungen auf dem Buchmarkt, was die allgemeine Akzeptanz erhöht.

Zumindest theoretisch. Leider scheitert eben diese Erhöhung der Akzeptanz dann an der Umsetzung in den Büchern:

  • Einziges Thema sind homosexuelle Männer. Es dreht sich nur um diese eine Minderheit, was die Absicht eine allgemeine Akzeptanz zu erhöhen untergräbt. LGBTQA+ bietet so viel mehr und alle diese Menschen suchen nach Büchern in denen sie auftauchen.
  • Die Zielgruppe wird offen kommuniziert und besteht aus einem festen Kreis an Fans. Das Ziel ist nicht Akzeptanz, sondern Geld.
  • Die Autor*innen sind zu einem disproportional-hohen Anteil weiblich. Recherche kann dies ausgleichen, tut es aber oft nicht.
  • Die Themenwahl ist grenzwertig. Zwischen Gewalt, schlechter Historisierung und zu vielen „eigentlich bin ich ja nicht schwul aber“-Geschichten werden schwule Männer wie Zootiere vorgeführt und durch einen eigentlich uninteressanten Plot geführt mit dem Versprechen, dass es am Ende eine heteronormative, unrealistische Sexszene gibt.

Aber warum schreibt man das dann?

Fragt man die Autor*innen, warum sie Gayromance/Gayfiction/etc schreiben, so erhält man sehr bezeichnende Antworten:


„Ich schreibe das, weil ich sonst keine Beziehungen beschreiben kann.“


„Ich finde Homosexualität einfach cool!“


„Schwule sind süß.“


Aussagen wie diese mögen auf den ersten Blick nicht sonderlich toxisch aussehen. Aber schauen wir sie uns genauer an, so erkennen wir die homophoben Abgründe dahinter.

Die Verniedlichung einer Sexualität bringt mit sich, dass man sie nicht als ebenbürtig und wichtig sieht. Man kann mit ihr machen, was man möchte. Jeder, den man gerne so sehen würde, kann so beschrieben werden. Beziehungen zwischen zwei Männern kann man ohne Recherche beschreiben, weil es ja egal ist, ob sie realistisch sind.


Ausschnitt aus dem Originalartikel:

Das Problem mit nur „homo“ und nur männlich ist relativ tief verwurzelt und kommt aus der Fanfictionszene. Es gibt endlos viele Jugendliche, die über Schauspieler*innen und Charaktere fantasieren, diese „shippen“ und in ihren Geschichten in homosexuelle Beziehungen stecken. So wie viele Männer gerne Lesbenpornos schauen, leben gerade junge Frauen ihre eigenen Fantasien so aus. Und das ist echt nicht gut. Denn das ist keine Bewunderung mehr. Das ist Fetisch.

Egal welche Sexualität man so behandelt, sie wird zum Fetisch. Der Willen der Menschen, sowie ihre Identität ist egal. Hauptsache am Ende küssen sich die, die man für schwul erklärt hat. Und dann sitzt man kichernd vor dem Laptop und freut sich. Sexualitäten sind nichts, was man wie ein Spiel behandeln sollte. Und sie sind nicht dafür da, dass jemand heterosexuelles sich daran erfreut. Sie sind kein Spielzeug für Slashfiction, keine erotisches Outlet und keine Pornovorlage.

An dieser Stelle könnte ich über Privilegien sprechen oder die Tatsache ausbauen, dass historisch gesehen, Menschen, die nicht heterosexuell waren, tatsächlich als Spiel genutzt wurden. Diese Faszination ist bei Weitem nichts Neues. Stattdessen verweise ich auf diesen englischen Text, bei dem das Phänomen auf Tumblr bezogen erklärt wird.

Ich möchte nochmal klarstellen, dass nichts verwerflich daran ist, Charaktere miteinander zu shippen. Das ist Privatsache und man kann das halten, wie man möchte. Es ist das öffentliche Niederschreiben von sexuellen Akten und Beziehungen zur Freude von Personen außerhalb dieser Sexualität, was mich stört. Es fühlt sich an wie ein Käfig. Alle starren von außen auf einen wie in einem Zoo. Man wird ausgestellt für die Unterhaltung anderer. Es hat absolut nichts mit Bewunderung zu tun, wenn man nur deshalb im Gay-Genre schreibt. Erwachsene AutorInnen, die damit ihr Geld verdienen, bereichern sich an Stereotypen und Fetisch.


Realismus als Grundlage?

Genau wie 50 Shades of Grey keinen realistischen BDSM darstellt, so sind auch die Darstellungen von Beziehungen und Sexualpraktiken im Gay-Genre fragwürdig recherchiert.

Sie werden überzogen und als besonders dargestellt, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Leser*innen sehen das und beziehen das auf die Realität. Und dann sind wir beim Kernproblem angekommen: Was darf man als Autor*in und was nicht? Wo hört künstlerische Freiheit auf?


Auf die Probleme, die bei kompletter, künstlerischer Freiheit im Umgang mit marginalisierten Gruppen entstehen, gehe ich in diesem Artikel gesondert ein: Als Autor*in darf ich alles – Stimmt das?


Ist es legitim sich als AutorIn auf künstlerische Freiheit zu beziehen, wenn man damit aktiv Schaden bei einer eh schon marginalisierten Gruppe verursacht? So wie übermäßig fetischisierte Pornografie misogyne und homophobe Werte vermittelt, so sind auch die Bücher des Gay-Genres oft problematisch.

Das Gay im Schafspelz

Aber anders als Pornografie, die offen damit umgeht, dass sie problematische Inhalte wie Misogynie, sexuelle Gewalt oder Bestialität enthält, verstecken sich die Bücher des Gay-Genres. Sie maskieren sich als romantische Romane und werden auf Buchmessen gezeigt, gefeiert und verkauft.

Ich möchte nicht sagen, dass alle Bücher aus diesem „Genre“ so sind. Im Gegenteil. Viele Autor*innen, die ich persönlich kenne, geben sich sehr viel Mühe, neben dem Gay einen richtigen Plot zu kreieren und nicht nur unrealistischen Sex und Stereotypen abzubilden. Aber wenn man durch eine Messe läuft und eine ganze Sektion dort voller Bücher ist, die sich nicht mal die Mühe machen zu googeln, wie das jetzt eigentlich beim Sex zwischen zwei Männern abläuft, dann verliert man den Glauben in das Genre.

Die Fetischisierung einer ganzen Sexualität

Wenn jemand so über Homosexuelle schreibt, sehen andere sie nicht als Menschen. Auf eine gewisse Art und Weise sehen auch die Autor*innen sie nicht als Menschen. Sie werden zum reinen Objekt heteronormativer Neugierde auf das Fremde.

Eine Sexualität wird zum Fetisch für heterosexuelle Frauen, die ihre Sexualität zu weilen als „ich stehe auf Schwule(n Sex)“ beschreiben. Jahrhundertelang war Homosexualität eine Krankheit und wurde nicht ernst genommen. Jetzt stellen sich Autor*innen, die die Sexualität ebenfalls nicht ernst nehmen und sich nur daran bereichern wollen, als offene Aktivist*innen für Fairness dar.

Diese Bücher verkaufen sich und werden vervielfältigt und prägen die Sicht von Menschen auf Homosexualität. In vielen Geschichten sind die einzigen Merkmale einer männlichen Figur sein Sixpack und seine Sexualität. Stereotype werden von Menschen verbreitet, die sich selbst nie wegen ihrer Sexualität verteidigen mussten.


Ausschnitt aus dem Originalartikel:

Wenn die einzigen Merkmale einer Figur seine Sexualität und Probleme, die Eng damit verknüpft sind, sind, dann ist das furchtbar toxisch. Autor*innen in diesem „Genre“ verbreiten Stereotypen und das vermutlich, ohne es zu wissen. Weil sie sich nie Gedanken über so etwas machen mussten. Weil ihre Sexualität nicht in Büchern als süß oder interessant oder exotisch beschrieben wird. Deren Sexualität wird nicht auf drei Merkmale reduziert, die in jedem Buch gleich sind. Und nicht jedes Buch mit heterosexuellen Beziehungen dreht sich um die Selbsterkenntnis dieser Sexualität oder um Probleme die nur auftreten, weil man hetero ist.

Zumal sie diese Probleme einfach nicht verstehen können. Ebenso, wie sie den Alltag einer homosexuellen Person, die mit Stereotypen und Verurteilungen zu kämpfen hat, nicht verstehen können. Ohne die richtige Recherche bringen selbst Romane, die Gutes tun wollen, nichts weiter als Klischees und Fetisch mit sich.

Outings enden beispielsweise nie. Sie dauern das ganze Leben lang an. Selbst bei Menschen, denen man theoretisch vertraut, hat man Angst vor Ablehnung. Es ist nicht alles für immer fröhlich und sonnenbeschienen, nur weil man sich einmal geoutet hat und alle es okay finden. Leben mit einer diversen Sexualität ist konstanter Stress.

Ein anderes Beispiel ist Sex. Sexpraktiken, wie man sie aus Fanfictions und schlechten Gayromance-Geschichten kennt, sind großflächiger Unsinn. Es wird so getan, als würden alle Menschen einer Sexualität das Gleiche gut finden. Das ist, als würde man allen Hetero-Pärchen immer nur eine Stellung zuschreiben und alles andere, was Sex ausmacht, ignorieren. Und dann ist die eine beschriebene Stellung nicht mal realistisch, sondern grenzwertig, weil sie ohne beidseitigen Konsens und einfachste Biologiekenntnisse auskommt.


Fazit

Die Beziehung, der Sex und das Innenleben der Figuren in Gay-Romanen ist für heterosexuelle Leser*innen optimiert. Das hat nichts mit offener, diverser Literatur zu tun und sollte auch nicht als solche zelebriert werden.

Die LGBTQA+ Community wird von vielen Seiten bedroht. Es ist in manchen Teilen der Welt verboten nicht cis und hetero zu sein. Es gibt jedes Jahr Angriffe und Schießereien, die als Hatecrime gegen die Community vorgehen wollen. Ebenso gibt es noch Konversionstherapie und sogar Exorzismen gegen alles, was nicht dem heteronormativen „Standard“ entspricht. Gerade Männer aus der Community sind häufiger suizidgefährdet, nicht zuletzt, weil sie den Stereotypen, die toxische Maskulinität von Homosexuellen erwartet, nicht entsprechen wollen oder können.

In einer Welt, in der es diese Dinge noch gibt, Homosexualität als „süß“ zu bezeichnen, zeugt von einer massiven Naivität. Und Naivität ist keine Ausrede dafür, toxische Geschichten zu schreiben, die es Menschen die eh schon genug zu kämpfen haben, noch schwerer machen, akzeptiert zu werden.

Und falls jetzt noch jemand daran zweifelt, ob es den angesprochenen Autor*innen nicht vielleicht doch um Aktivismus und Diversität geht: als ich diesen Artikel (in einer etwas persönlicheren Form) im Februar erstmals veröffentlichte, wurde in einer großen Facebookgruppe für Gayromance über mich und den Artikel diskutiert. Dabei schrieb eine Nutzerin etwas, was meine Kritikpunkte sehr deutlich illustriert:

„Die scheiß Kampflesbe soll sich nicht so anstellen. Wenn Schwuchteln sich an meinen Büchern stören, sollen se mir das selber sagen.“


Ein positiver Ausblick

Es gibt Romane, die divers sind und dabei keine Klischees bedienen. Die diverse Sexualitäten respektvoll darstellen. Deutsche AutorInnen haben, gerade wenn es um homosexuelle Männer geht, einiges aufzuholen. Denn viele dieser positiven Beispiele (zumindest der, die ich gefunden habe) kommen aus den USA, Australien oder Frankreich.

Im Bereich Gayromance habe ich tatsächlich bisher niemanden gefunden, dessen/deren Buch 100%ig zu diesem „Genre“ zählt, bzw. der/die/nb sich freiwillig als Autor*in in diesem Bereich bezeichnen würde. Hier also einige Tipps für die Umsetzung von Queerness, wie sie eigentlich sein sollte:

Weitere Links zum Thema

Fetischisierung von Homosexuellen auf Tumblr

Fetischisierung von heterosexuellen Charakteren als homosexuell

Fetischisierung von Lesben in den Medien

Ernste Probleme mit der Fetischisierung von Bi- und Homosexuellen Frauen

Ein Hot-Take von Autorinnenkollegin Anja Stephan

Geschichte des Dramas

Die Geschichte des Dramas

Geschichte des Dramas


Licht an, Bühne frei – heute wirds dramatisch.


Aber was ist das eigentlich, ein Drama? Ist das nicht das, was in meiner Lieblingsdokusoap passiert? Mit Drama meine ich natürlich das Theaterstück. Woher das kommt, wie es sich entwickelt hat und was man sonst noch so generell darüber wissen sollte, erfahrt ihr in diesem Artikel.

Kurze Geschichte des Dramas

Drama ist ein altgriechisches Wort und bedeutet Handlung. Unter Drama fallen generell alle Texte, in denen es verteilte Rollen gibt. Es ist neben Epik und Lyrik eine der Hauptgattungen für Literatur. Heute wird es auch oft Theater genannt, wobei Theater selbst aus dem Altgriechischen stammt und so viel wie ‚Schauplatz‘ bedeutet.

Das antike Griechenland ist der Geburtsort des Dramas. Erste Schriften stammen von Aischylos (525-455 v. Chr.), Sophokles (496-406 v. Chr.), Euripides (480-407 v. Chr.) und Aristophanes (445-385 v. Chr.). Der bekannte Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.) war es, der etwa 350 v. Chr. aus den bisher bekannten Dramen eine Theorie entwickelte. Er setzte den Grundstein für das (noch heute bekannte) Freytagsschema (von Gustav Freytag, 1863) fest, zu dem ich nachher mehr schreiben werde.

Im Spätmittelalter entwickelte sich die Commedia dell‘Arte in Italien. Neben den Jesuitendramen und den barocken Opern bildete diese Commedia die Grundlage der Dramatik bis ins 17./18. Jahrhundert. Dann entwickelte sich eine Wendung zurück zu den Wurzeln, wie sich an den französischen Dramen von Moliere und Voltaire, den Werken von Racine und Shakespeare (der etwas früher dran war, als seine mitteleuropäischen Kollegen) zeigt.

In Deutschland entwickelte sich das Drama etwas langsamer. Ausgehend vom Volksdrama/Schwank (15. Jahrhundert) entwickelten sich vor allem um das Christentum herum dramatische Werke. Die Aufklärung grub die bekannten Gattungen um und schrieb dem Theaterstück vor allem eine erzieherische Funktion zu. Obwohl man sich anfangs bemühte, eine Art ‚Deutsches Nationaldrama‘ zu gründen, wurden das Schuldrama/Jesuitendrama, das Humanistendrama und der Schwank irgendwann nicht mehr weiterentwickelt. Stattdessen bemühte man sich das französische und/oder das englische Drama in Deutschland umzusetzen. Im 18. Jahrhundert erschienen vor allem Lustspiele (Minna von Barnhelm, Lessing), Bürgerliche Trauerspiele (Emilia Galotti, Lessing) und dramatische Gedichte (Nathan der Weise, Lessing). Diese bildeten die Grundlage, für das neue deutsche Theater. Sturm und Drang, Weimarer Klassik und (mehr oder minder auch) die Romantik führten dies fort und brachten das Drama in das 19. Jahrhundert. Insbesondere Goethe, Schiller und Kleist gestalteten das Theaterstück in Deutschland aktiv mit.

Das moderne Drama verdankt seinen Charakter unter anderem Friedrich Hebbel und Georg Büchner, die Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts Stücke schrieben. Eine wirkliche Revolution erlebte das deutsche Drama nochmals, als das Volksstück/Volkstheater neu belebt wurde. Auch Hauptmanns naturalistische Dramen formten die Gattung im 20. Jahrhundert mit.

Verschiedene Formen des Dramas

Etwas anschaulicher wird diese Geschichte, wenn man zentrale Formen heraussucht und anhand von Beispielen ein bisschen erklärt. Im Folgenden schauen wir uns mal das klassische Drama, die Commedia dell‘Arte, das Jesuitendrama, einige Unterarten des Volksdramas, die Theaterarten des 20. Jahrhunderts und das epische Theater an.

Fangen wir mal ganz am Anfang an:

Ursprünglich sollte das Drama im Gegensatz zu der Epik keine feste Geschichten erzählen, sondern das Verhalten von Menschen widerspiegeln (daher auch die direkte Rede) und somit eine Katharsis (Reinigung) beim Zuschauer bewirken. Das ganze wurde von Aristoteles eingeteilt in Komödie und Tragödie.

Oft wurden Figuren entweder für ihr plumpes Verhalten lächerlich gemacht/bestraft oder für richtiges, moralisches Verhalten gelobt. Ersteres dominierte, da man der Meinung war, dass Menschen aus Negativbeispielen mehr mitnahmen. Das Ganze wurde im 19. Jahrhundert von Gustav Freytag eingeteilt in das heute bekannte Freytagsschema.

Demnach spiegeln die typischen fünf Akte folgende Handlungspunkte:

1. Exposition (Einführung)

2. erregendes Moment (Steigerung/Beginn der aktiven Handlung)

3. Höhepunkt/Peripetie (Wendepunkt)

4. retardierendes Moment (fallende Handlung)

5. Katastrophe/Resolution (Auflösung die entweder positiv oder negativ ausfällt)

All dies wird hinterlegt von einem Chor, welcher wie ein Kommentator musikalisch über das Geschehende philosophiert. Die Einheit der Zeit (2 Stunden Handlung = 2 Stunden Theater) und die abgeschlossene Haupthandlung (Anfang, Mittelteil, Ende) gehören ebenfalls zu den Anforderungen des klassischen Dramas. Ein Beispiel hierfür ist Iphigenie in Aulis von Euripides.


Exkurs: Diese Art des Theaterstücks nennt man geschlossenes Drama. Offene Dramen beinhalten Szenen, die nicht logisch aufeinander aufbauen, sowie Zeitsprünge und für die Handlung unwichtige Charaktere. Im Gegensatz zum geschlossenen bildet nicht eine Szene/ein Akt den Höhepunkt (Peripetie). Alle Szenen sind gleichgestellt.


Die Commedia dell‘Arte stammt aus dem Spätmittelalter (im Mittelalter an sich gab es vor allem religiöse Dramen ohne wirklichen Bezug zum klassischen Drama. Das Theaterstück war jedoch auch nicht sonderlich beliebt und wurde erst ab dem 14. Jahrhundert wieder bekannter) und ist eine Mischung aus festen Formen und vollkommener Freiheit. Die Charaktere der Commedia sind immer gleich, ihre Masken, Kostüme und Schauspieler wechseln nicht. Die Geschichten sind jedoch improvisiert und weisen viel Akrobatik auf. Es gibt keine Skripte und damit auch keine heute untersuchbaren Aufführungen. Alleinig die Charaktere und ihre Rollen sind uns bekannt.

Im Barock entwickelten sich Dramen zunehmend wieder in kirchliche Richtung. Theaterstücke von Lehrern, für ihre Schüler (Schuldramen) wurden immer populärer. Dieser Prozess fand vor allem an jesuitischen Schulen statt, woraus sich das Jesuitendrama als eigene Gattung entwickelte. Es wurde in der Gegenreformation geboren und sollte Zweifler von der Überlegenheit der katholischen Kirche überzeugen.

Typisch für den Barock finden sich zahlreiche derbe Thematiken in den Stücken. Im Gegensatz zum (zeitgleich aufkommenden) Schwank, wurden diese Dramen jedoch ausschließlich auf Latein aufgeführt. Für die Zuschauer gab es Periochen (Programmhefte mit deutscher Übersetzungshilfe). Kirchengeschichte, Märtyrer, Missionare und Heiligenlegenden bildeten den Stoff für über 7.500 Dramen im (erweiterten) 16. Jahrhundert.

Ab dem 18. Jahrhundert entwickelten sich zahlreiche Dramenformen (Lustspiel, Schauspiel, Tragikkommödie, Bürgerliches Trauerspiel), welche sich fast alle auch in der Tradition des Volksdrama finden. Dieses entwickelte sich aus der Commedia dell‘Arte und bildete eine deutsche Version davon. Feste Charaktere gab es zumindest teilweise (Hans Wurst, Herr und Knecht) und auch das Script war gemischt zwischen Improvisation und festem Dialog. Oft gab es lose Angaben für Hans Wurst (dessen einzige Aufgabe es war, witzig zu sein) und festgesetzte Angaben für alle anderen. Volksstücke handeln vom Volk. Das ist der entscheidende Unterschied zu den bisherigen Dramen. Sie unterteilen sich theoretisch in Unterkategorien wie Lokalposse, Zauberspiel oder Besserungsstück. Allerdings überlappen sich diese Kategorien bei fast allen Stücken. Oft waren die Schriftsteller selber Schauspieler, welche ihre eigenen Stücke mit umsetzten. Ein schönes, bekanntes Beispiel bietet Das vierte Gebot von Ludwig Anzengruber.



Volksdramen wurden von Marieluise Fleißer und Ödön von Horváth im 21. Jahrhundert neu belebt und erfüllen bis heute das gleiche Ziel. Sie sollen dem Volk einen Spiegel vorhalten. Negatives Verhalten steht im Zentrum, sowohl von den oberen, als auch den unteren Schichten. Ein modernes Beispiel findet sich bei Marie-Luise Fleißers Fegefeuer in Ingolstadt.


Wer sich mehr über das Volksstück informieren möchte, kann sich auch diese Blogreihe ansehen.



Im 20. Jahrhundert dominierten Formen des sozialen und analytischen Dramas. Neue Medien nahmen einen entscheidenden Platz in Theateraufführungen ein und politische Themen wurden mehr und mehr zum Zentrum. Kritik an der Zensur in der Weimarer Republik, der aufsteigende Nationalsozialismus, sowie sozialpolitische Themen wie Abtreibung, Verlust der Religion und Selbstmord wurden bis in die 1930er auf den Bühnen (und teilweise im Geheimen) aufgeführt. Bereits in den 20ern wurden zahlreiche Politiker*innen, Aktivist*innen und Schriftsteller*innen festgenommen und schrieben im Gefängnis weiter (wie beispielsweise Ernst Toller und seine sozialkritischen Werke Masse-Mensch oder Hoppla wir leben). Dann gab es eine scharfen Zäsur und die Dramenproduktion stoppt fast komplett (aus bekannten Gründen) bis in die 50er. Ebenfalls einschneidend sind die zahlreiche Suizide von Schriftstellern in den 40ern und 50ern, die nach ihrer Flucht aus Deutschland ihr Leben beendeten (hier bietet ebenfalls Ernst Toller ein trauriges Beispiel).



Das epische Theater wurde von Bertolt Brecht erfunden und revolutionierte das Drama im 20. Jahrhundert. Es ist eine offene Dramenform, die zusätzlich einen Erzähler hat. Dieser ermöglicht es dem Drama ohne tragische Heldenfiguren auszukommen. Das Geschehen wird objektiv dargestellt, Missstände sind besser erkennbar. Der Fokus wird vom Wiedergeben menschlichen Verhaltens zu der Darstellung der Gesellschaft gelegt. Zeit, Raum, Handlung und Komposition werden außer Kraft gesetzt. Wichtiger Bestandteil ist der sogenannte V-Effekt oder auch Verfremdungseffekt. Dieser ist ein Stilmittel, welches durch Unterbrechen der Handlung mit Kommentaren/Einschüben des Erzählers die Illusion einer richtigen Handlung zerstört und daran erinnert, das große Bild zu sehen. Das epische Theater bildete einen grundlegenden Gegenpol im Nationalsozialismus, da es offen und hart gegen die Diktatur und die Mittel der Zeit kritisierte. Wer ein Beispiel möchte, kann sich Bertolt Brechts und Elisabeth Hauptmanns Dreigroschenoper ansehen.



Wir sind zu nahe am aktuellen Geschehen, um Muster zu erkennen und das Drama im 21. Jahrhundert wirklich zu kategorisieren. Bisher spricht man vor allem vom postdramatischen Theater, also einer Strömung, welche sich durch Ein-Mann-Stücke, abstrakte Theaterformen und Performance statt Handlung auszeichnet. Gesellschaftskritik und politische Themen, wie auch Naturschutz und Reflexion der Menschheit an sich sind häufige Themen.


So und wenn ihr jetzt angefixt seid, und wissen wollt, wie man so was denn heutzutage schreibt, dann schaut doch mal beim Sven Hensel rein: Wie man ein Theaterstück schreibt.

Das Wahlveranstaltungs-Wochen-Erlebnis

Das Wahlveranstaltungs-Wochen-Erlebnis

Das Wahlveranstaltungs-Wochen-Erlebnis


Diclaimer: Dieser Artikel wurde eine Woche vor der Bundestagswahl 2017 veröffentlicht. Einzelne Aussagen und Inhalte sind dementsprechend nicht mehr aktuell.


Der Sinn dieses Artikels ist es in erster Linie über die Stimmung bei einer Schulz- und Merkelrede zu berichten. Ich möchte festhalten, wie unterschiedlich Wahlveranstaltungen aufgezogen werden, wer die Menschen dort waren und wie man sich in einer politischen Masse fühlt, der man nicht zwingend zugehörig ist.


Martin Schulz und der SPDler-Habitus

„Gehst du morgen zum mardddiiiiin?“

Mein Handy piepst und ich runzle überrascht die Stirn.

„zu wem?“

„Schulzibooooy“

Ein amüsierter Laut entfährt mir.

„Ach der Mardin! Haste Bock?“

„Wenn das Wetter nicht ganz so scheiße ist“

Und damit war es beschlossen. Keine 24 Stunden später stehen wir – das sind ich und eine gute Freundin – auf dem erstaunlich trockenen Platz der alten Synagoge. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem erfreulich leeren AfD-Stand vorbei. Der dazugehörigen Protest, samt Plakat der Linken, versorgte uns mit Flyern und dem neusten Tratsch über die Freiburger Rechte.

Der Platz ist voll, überall stehen Polizisten und ich warte eigentlich nur auf das beginnende Pfeifen-Konzert der AfDler. Doch das bleibt aus. Stattdessen stellt sich Schulz – ein wirklich kleiner Mann – statt auf die Bühne, auf ein kleines Podest davor, sodass man ihn auch ja nicht sehen kann und beginnt zu reden.

Oder naja… zu schreien.

Wie ein Youtubevideo der 60-Jahre-Kommunisten leiert er in guter Marktschreier-Manier seine sozialen Tiraden herunter. Mit Herz und Seele und ganz viel Spucke.

Vor ihm wird eine Kommunismusflagge geweht, rechts im Publikum macht jemand Werbung für eine Demo am Donnerstag. „Der ist halt auf Augenhöhe mit seiner Wählerschaft“, scherzt meine Begleitung und lacht, als jemand „naja oder mit den wichtigen Leuten die vorne nen Sitzplatz bekommen haben“ hinzufügt. Es sind so ziemlich alle Alters-, Berufs- und sozialen Klassen vorhanden.

Um uns herum haben eigentlich fast alle Leute ihre Kinder dabei, Altenpfleger, Dozenten, Studenten, Azubis und Arbeiter bilden die Reihen und man fühlt sich sehr wohl. Keiner von denen rempelt um sich oder schnauzt herum, weil ein Baby weint.

Die Rede deckt alles ab – außer Umwelt. Aber ansonsten kann man wirklich nicht meckern. Es macht Spaß zuzuhören, man traut sich mitzuklatschen, weil die Punkte gut formuliert sind und manchmal vergisst man fast, dass er ja eigentlich wütend sein sollte. Er vergisst das vor allem. Das ist tatsächlich ein Kritikpunkt, der mich wirklich nervt und die Leute um mich herum wohl auch. „Das ist so gespielt“ meint ein Mädchen vor mir, ihre Freundin verdreht die Augen und meint „aaaaaalter ja“. Ich fühle mich bestätigt. Denn wer sich verspricht, lacht, sich entschuldigt und kurz menschlich wirkt, nur um dann auf einmal in voller Lautstärke gegen Merkel zu wettern – dem kaufe ich das Ganze einfach nicht ab. Die Wut wäre schön, wenn sie denn echt wäre.

Ich glaube von ganzem Herzen, dass Martin Schulz wütend war/ist.

Weil er das Duell in den Sand gesetzt hat, weil seine Chancen schwinden, obwohl er – sorry, ich bin halt links-grün-versifft – die bessere Partei hinter sich hat, weil er wütend sein darf. Das ist der Vorteil, wenn man Neukandidat ist und nicht dauerhaft den Schlichter-Kurs fahren muss.

Er spricht von gleichem Lohn für Männer und Frauen, von sozialer Gerechtigkeit und der Gleichstellung vom ‚gemeinen Arbeiter‘ mit dem ‚Akademiker‘. Die Studenten heben die Augenbrauen, nicken es dann aber ab, weil er ja das richtige meint. Er meint den Respekt, den Menschen erhalten und nicht der Grad der Ausbildung – auch wenn das ein bisschen happig formuliert war, da er kurz vorher noch die Wichtigkeit von Bildung und Fachkräften betonte. Auch redet er sich manchmal in Rage, nur um dann abrupt das Thema zu wechseln und sich wegen eines anderen Themas in Rage zu reden, welches er dann halbherzig mit dem davor verknüpft und dann passt das nicht so richtig –  „ja tut mir leid, da hab ich eben den Faden verloren…“ und weiter geht die Rede.

Dann kommt er zu einem Punkt, an dem er mehr Applaus erfährt als bei der gesamten Rede zuvor. Und das ist der Punkt, an dem man merken konnte wie alle ihm zustimmen: Thema AfD.

Er bezeichnet Höcke und Gauland als Nazis, nennt das Ganze beim Namen und ich kann einfach nicht anders, als mich umzudrehen und zu flüstern „endlich! Ein Politiker einer großen Partei, der das anspricht!“ Ich erhalte abwesende Zustimmung, denn genau in diesem Moment sagt Schulz auf seinem kleinen Podest „das ist keine Alternative für Deutschland, das ist eine Schande für Deutschland!“ Das Publikum applaudiert lauter denn je und uns allen ist klar, dass wir gerade auf dem Platz der alten Synagoge stehen und uns von einem Politiker im Jahr 2017 anhören, dass wir bitte keine Nazis in den Bundestag wählen sollen. Eine bittere Pille.

Nach einem Exkurs über die ‚Helden der SPD‘, welche sich den Nazis entgegenstellten, kommt er langsam zurück zur Normalpolitik und endet schließlich genau in dem Moment, als es zu regnen beginnt.

Langsam machen wir uns auf, immer noch hin- und hergerissen zwischen gute Rede und warum schreit der eigentlich die ganze Zeit so?. Wir beschließen zu Merkel zwei Tage später ebenfalls zu gehen – so als Kontrastwert – und machen uns auf den Weg nach Hause.

Angela Merkel ist müde

Merkels Rede zwei Tage später überrascht uns in mehrerer Hinsicht. Zunächst startet sie eine ganze Stunde früher, als wir dachten, weswegen wir – die selbe Gruppe wie bei Schulz, nur dass uns jetzt ein weiterer Freund begleitet – relativ unvorbereitet im Kuschelpulli und mit leicht verkatertem Blick (besagte Freundin hatte am Vortag Geburtstag) auf den Platz kommen – und in der Menschenflut ertrinken. Des Weiteren erfuhren wir, dass noch am selben Abend Cem Özdemir in Freiburg sein würde. An diesem Punkt musste man dann durchziehen und da dann halt auch noch hin.

Merkel beginnt gerade zu reden; wir bahnen uns einen Weg durch die Menschen und sehen belustigt zu den Sicherheitsmännern hinauf, die auf den Balkonen des Freiburger Münsters stehen und grimmig in die Menge starren. „Die sehen aus, als ob sie gleich kleine Kinder fressen würden“, meint meine Freundin und verzieht das Gesicht. Als wir endlich einigermaßen etwas sehen stehen wir halb im Außenbereich eines lokalen Cafés und werden von einem wütenden Kellner begrüßt, dem der ganze Trubel wirklich gar nicht zusagt.

„Mir sin hier weil ma en Kaffee trinke welle, ned weil ma‘d Muddi höre welle.“ Sagt ein älteres Pärchen schräg vor uns im badischen Charme, erhebt sich und geht. Wir lachen. Keine 10 Minuten später wünschte ich, wir wären auch gegangen.

0815 ist absolut keine Beschreibung dafür, wie unfassbar repetitiv und langweilig Merkels Rede war. Geld, Geld, Geld, oh Bildung für alle, Geld, Geld, Geld – „sag ma sin ma hier bei ner FDP-Veranstaltung?“ Höre ich jemanden hinter mir murmeln.

Vor uns steht ein junger Mann auf einem Stuhl, klatscht begeistert alles mit und schreit „Jawoll!“ in die Menge. Der Kellner drängelt sich an uns vorbei, um ihn vom Stuhl zu jagen.

Die Trillerpfeifen der AfDler werden lauter, von links stimmen ein paar SPDler Buh-Rufe an. Man hat das Gefühl, dass niemand unter 60 auf diesem Platz steht, der Merkel tatsächlich mag. Alle jungen Leute, von dem etwas übermotivierten Herrn vor uns mal abgesehen, runzeln die Stirn, klatschen vereinzelt mal bei einem Punkt. Verhalten, weil man ja eigentlich doch nicht klatschen will. Mir geht es ähnlich. Ich fühle mich nicht wohl dabei in einer Sekunde zu klatschen, weil sie den Dieselskandal erwähnt und in der nächsten den Kopf zu schütteln, weil sie den Tod einer jungen Frau für Wahlkampf nutzt.

Als es vorbei ist drängen wir uns durch die Massen. Hinter uns ertönt die deutsche Nationalhymne und ich frage mich, ob die AfDler ganz vorne jetzt eigentlich buhen oder mitsingen müssen.

Die Grünen-Promo-Show

Als letzte Station steht jetzt noch die Veranstaltung der Grünen auf dem Plan. Die sind ein paar Stunden nach Merkel in der Wodan-Halle und direkt zu Beginn fällt auf, wie anders das Ganze hier aufgezogen wird. Klar, ist ja auch eine Podiumsdiskussion und nicht nur eine Rede. Özdemir sitzt oben, die 600 Plätze der Halle sind gefüllt (ich musste stehen und war recht früh dran) die Stimmung ist entspannt und die Fragerunde beginnt.

Es werden keine Fragen gestellt, die man noch nie gehört hat und keine Antworten gegeben, die man nicht auch schon kennt. Das Ganze hat so ein bisschen den Charakter von einer Grünen-Promo-Show ohne wirkliche Hintergründe oder neue Erkenntnisse.

Trotzdem fühlt es sich schön an nicht angeschrien oder gelangweilt zu werden. Vielleicht ist es ja unmöglich nach einem langen Wahlkampf noch erfrischende Inhalte zu bringen, vielleicht ist den Grünen auch klar, dass sie und die Linke in Freiburg ihre Stammwählerschaft haben. So oder so gibt es über diesen Abend kaum etwas zu sagen als: War okay. Musste jetzt nicht sein, aber war okay. Da ich alleine dort war, bin ich früher gegangen – wenn ich das Wahlprogramm und die üblichen Fragen hören möchte, dann kann ich mir auch einen FAQ der Grünen anschauen. Das ist einfacher und tut nicht so an den Füßen weh.

 

Recap

Keine der Veranstaltungen hat mich dazu bewogen von meinem Wahlplan abzuweichen. Aber es war trotzdem gut, diese Politiker mal zu sehen. Schulz, weil ich so mehr Probleme mit ihm als Kanzler sehe; Merkel, da ich sie als Mensch immer bewundert habe, mir ihr stumpfes Parteinachplappern jedoch unfassbar auf den Senkel ging und ich zumindest nicht mehr ganz so traurig sein werde, sollte sie in einer Woche keine Kanzlerin mehr sein; Özdemir, einfach weil er ein ziemlich normaler Typ ist, der viele meiner Meinungen vertritt und die Leute ganz nett unterhalten hat. Wer auch immer diese Wahl gewinnt – keiner der ‚Spitzenkandidaten‘ hat mich überzeugt. Die Stimmung war bei der SPD jedoch am aktivsten, bei den Grünen am friedlichsten und bei Merkel am unhöflichsten und rausten.

Wie ich bereits am Anfang geschrieben hatte, ist dies kein Artikel, der Leute umstimmen soll das zu wählen, was sie wollen. Am Ende des Tages wählt man (zumindest hoffe ich das) ja auch die Partei und nicht den einen Politiker/die eine Politikerin, die gerade auf Tour ist.