Wenn Heteros über Homos schreiben

Wenn Heteros über Homos schreiben

Wenn Heteros über Homos schreiben


Tw: Homosexualität, Fetischisierung, (sexuelle) Gewalt


Disclaimer: Nichts in diesem Artikel richtet sich gegen eine feste Gruppe oder eine Einzelperson. Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2018 veröffentlicht und Dezember 2018 überarbeitet. Aussagen, Erfahrungen und Neuerungen sind dieser Überarbeitung geschuldet.


Gay als Kassenschlager

In den letzten Monaten finden sich immer mehr Menschen in meinem literarischen Umfeld, die ihre Bücher unter dem „Genre“ Gay bewerben.

Zunächst wirkt das wie etwas Gutes. Es zeigt, dass Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen und, auch wenn sie selbst nicht „betroffen“ sind, über solche Beziehungen schreiben. Damit finden sich logischerweise mehr Geschichten mit homosexuellen Beziehungen auf dem Buchmarkt, was die allgemeine Akzeptanz erhöht.

Zumindest theoretisch. Leider scheitert eben diese Erhöhung der Akzeptanz dann an der Umsetzung in den Büchern:

  • Einziges Thema sind homosexuelle Männer. Es dreht sich nur um diese eine Minderheit, was die Absicht eine allgemeine Akzeptanz zu erhöhen untergräbt. LGBTQA+ bietet so viel mehr und alle diese Menschen suchen nach Büchern in denen sie auftauchen.
  • Die Zielgruppe wird offen kommuniziert und besteht aus einem festen Kreis an Fans. Das Ziel ist nicht Akzeptanz, sondern Geld.
  • Die Autor*innen sind zu einem disproportional-hohen Anteil weiblich. Recherche kann dies ausgleichen, tut es aber oft nicht.
  • Die Themenwahl ist grenzwertig. Zwischen Gewalt, schlechter Historisierung und zu vielen „eigentlich bin ich ja nicht schwul aber“-Geschichten werden schwule Männer wie Zootiere vorgeführt und durch einen eigentlich uninteressanten Plot geführt mit dem Versprechen, dass es am Ende eine heteronormative, unrealistische Sexszene gibt.

Aber warum schreibt man das dann?

Fragt man die Autor*innen, warum sie Gayromance/Gayfiction/etc schreiben, so erhält man sehr bezeichnende Antworten:


„Ich schreibe das, weil ich sonst keine Beziehungen beschreiben kann.“


„Ich finde Homosexualität einfach cool!“


„Schwule sind süß.“


Aussagen wie diese mögen auf den ersten Blick nicht sonderlich toxisch aussehen. Aber schauen wir sie uns genauer an, so erkennen wir die homophoben Abgründe dahinter.

Die Verniedlichung einer Sexualität bringt mit sich, dass man sie nicht als ebenbürtig und wichtig sieht. Man kann mit ihr machen, was man möchte. Jeder, den man gerne so sehen würde, kann so beschrieben werden. Beziehungen zwischen zwei Männern kann man ohne Recherche beschreiben, weil es ja egal ist, ob sie realistisch sind.


Ausschnitt aus dem Originalartikel:

Das Problem mit nur „homo“ und nur männlich ist relativ tief verwurzelt und kommt aus der Fanfictionszene. Es gibt endlos viele Jugendliche, die über Schauspieler*innen und Charaktere fantasieren, diese „shippen“ und in ihren Geschichten in homosexuelle Beziehungen stecken. So wie viele Männer gerne Lesbenpornos schauen, leben gerade junge Frauen ihre eigenen Fantasien so aus. Und das ist echt nicht gut. Denn das ist keine Bewunderung mehr. Das ist Fetisch.

Egal welche Sexualität man so behandelt, sie wird zum Fetisch. Der Willen der Menschen, sowie ihre Identität ist egal. Hauptsache am Ende küssen sich die, die man für schwul erklärt hat. Und dann sitzt man kichernd vor dem Laptop und freut sich. Sexualitäten sind nichts, was man wie ein Spiel behandeln sollte. Und sie sind nicht dafür da, dass jemand heterosexuelles sich daran erfreut. Sie sind kein Spielzeug für Slashfiction, keine erotisches Outlet und keine Pornovorlage.

An dieser Stelle könnte ich über Privilegien sprechen oder die Tatsache ausbauen, dass historisch gesehen, Menschen, die nicht heterosexuell waren, tatsächlich als Spiel genutzt wurden. Diese Faszination ist bei Weitem nichts Neues. Stattdessen verweise ich auf diesen englischen Text, bei dem das Phänomen auf Tumblr bezogen erklärt wird.

Ich möchte nochmal klarstellen, dass nichts verwerflich daran ist, Charaktere miteinander zu shippen. Das ist Privatsache und man kann das halten, wie man möchte. Es ist das öffentliche Niederschreiben von sexuellen Akten und Beziehungen zur Freude von Personen außerhalb dieser Sexualität, was mich stört. Es fühlt sich an wie ein Käfig. Alle starren von außen auf einen wie in einem Zoo. Man wird ausgestellt für die Unterhaltung anderer. Es hat absolut nichts mit Bewunderung zu tun, wenn man nur deshalb im Gay-Genre schreibt. Erwachsene AutorInnen, die damit ihr Geld verdienen, bereichern sich an Stereotypen und Fetisch.


Realismus als Grundlage?

Genau wie 50 Shades of Grey keinen realistischen BDSM darstellt, so sind auch die Darstellungen von Beziehungen und Sexualpraktiken im Gay-Genre fragwürdig recherchiert.

Sie werden überzogen und als besonders dargestellt, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Leser*innen sehen das und beziehen das auf die Realität. Und dann sind wir beim Kernproblem angekommen: Was darf man als Autor*in und was nicht? Wo hört künstlerische Freiheit auf?


Auf die Probleme, die bei kompletter, künstlerischer Freiheit im Umgang mit marginalisierten Gruppen entstehen, gehe ich in diesem Artikel gesondert ein: Als Autor*in darf ich alles – Stimmt das?


Ist es legitim sich als AutorIn auf künstlerische Freiheit zu beziehen, wenn man damit aktiv Schaden bei einer eh schon marginalisierten Gruppe verursacht? So wie übermäßig fetischisierte Pornografie misogyne und homophobe Werte vermittelt, so sind auch die Bücher des Gay-Genres oft problematisch.

Das Gay im Schafspelz

Aber anders als Pornografie, die offen damit umgeht, dass sie problematische Inhalte wie Misogynie, sexuelle Gewalt oder Bestialität enthält, verstecken sich die Bücher des Gay-Genres. Sie maskieren sich als romantische Romane und werden auf Buchmessen gezeigt, gefeiert und verkauft.

Ich möchte nicht sagen, dass alle Bücher aus diesem „Genre“ so sind. Im Gegenteil. Viele Autor*innen, die ich persönlich kenne, geben sich sehr viel Mühe, neben dem Gay einen richtigen Plot zu kreieren und nicht nur unrealistischen Sex und Stereotypen abzubilden. Aber wenn man durch eine Messe läuft und eine ganze Sektion dort voller Bücher ist, die sich nicht mal die Mühe machen zu googeln, wie das jetzt eigentlich beim Sex zwischen zwei Männern abläuft, dann verliert man den Glauben in das Genre.

Die Fetischisierung einer ganzen Sexualität

Wenn jemand so über Homosexuelle schreibt, sehen andere sie nicht als Menschen. Auf eine gewisse Art und Weise sehen auch die Autor*innen sie nicht als Menschen. Sie werden zum reinen Objekt heteronormativer Neugierde auf das Fremde.

Eine Sexualität wird zum Fetisch für heterosexuelle Frauen, die ihre Sexualität zu weilen als „ich stehe auf Schwule(n Sex)“ beschreiben. Jahrhundertelang war Homosexualität eine Krankheit und wurde nicht ernst genommen. Jetzt stellen sich Autor*innen, die die Sexualität ebenfalls nicht ernst nehmen und sich nur daran bereichern wollen, als offene Aktivist*innen für Fairness dar.

Diese Bücher verkaufen sich und werden vervielfältigt und prägen die Sicht von Menschen auf Homosexualität. In vielen Geschichten sind die einzigen Merkmale einer männlichen Figur sein Sixpack und seine Sexualität. Stereotype werden von Menschen verbreitet, die sich selbst nie wegen ihrer Sexualität verteidigen mussten.


Ausschnitt aus dem Originalartikel:

Wenn die einzigen Merkmale einer Figur seine Sexualität und Probleme, die Eng damit verknüpft sind, sind, dann ist das furchtbar toxisch. Autor*innen in diesem „Genre“ verbreiten Stereotypen und das vermutlich, ohne es zu wissen. Weil sie sich nie Gedanken über so etwas machen mussten. Weil ihre Sexualität nicht in Büchern als süß oder interessant oder exotisch beschrieben wird. Deren Sexualität wird nicht auf drei Merkmale reduziert, die in jedem Buch gleich sind. Und nicht jedes Buch mit heterosexuellen Beziehungen dreht sich um die Selbsterkenntnis dieser Sexualität oder um Probleme die nur auftreten, weil man hetero ist.

Zumal sie diese Probleme einfach nicht verstehen können. Ebenso, wie sie den Alltag einer homosexuellen Person, die mit Stereotypen und Verurteilungen zu kämpfen hat, nicht verstehen können. Ohne die richtige Recherche bringen selbst Romane, die Gutes tun wollen, nichts weiter als Klischees und Fetisch mit sich.

Outings enden beispielsweise nie. Sie dauern das ganze Leben lang an. Selbst bei Menschen, denen man theoretisch vertraut, hat man Angst vor Ablehnung. Es ist nicht alles für immer fröhlich und sonnenbeschienen, nur weil man sich einmal geoutet hat und alle es okay finden. Leben mit einer diversen Sexualität ist konstanter Stress.

Ein anderes Beispiel ist Sex. Sexpraktiken, wie man sie aus Fanfictions und schlechten Gayromance-Geschichten kennt, sind großflächiger Unsinn. Es wird so getan, als würden alle Menschen einer Sexualität das Gleiche gut finden. Das ist, als würde man allen Hetero-Pärchen immer nur eine Stellung zuschreiben und alles andere, was Sex ausmacht, ignorieren. Und dann ist die eine beschriebene Stellung nicht mal realistisch, sondern grenzwertig, weil sie ohne beidseitigen Konsens und einfachste Biologiekenntnisse auskommt.


Fazit

Die Beziehung, der Sex und das Innenleben der Figuren in Gay-Romanen ist für heterosexuelle Leser*innen optimiert. Das hat nichts mit offener, diverser Literatur zu tun und sollte auch nicht als solche zelebriert werden.

Die LGBTQA+ Community wird von vielen Seiten bedroht. Es ist in manchen Teilen der Welt verboten nicht cis und hetero zu sein. Es gibt jedes Jahr Angriffe und Schießereien, die als Hatecrime gegen die Community vorgehen wollen. Ebenso gibt es noch Konversionstherapie und sogar Exorzismen gegen alles, was nicht dem heteronormativen „Standard“ entspricht. Gerade Männer aus der Community sind häufiger suizidgefährdet, nicht zuletzt, weil sie den Stereotypen, die toxische Maskulinität von Homosexuellen erwartet, nicht entsprechen wollen oder können.

In einer Welt, in der es diese Dinge noch gibt, Homosexualität als „süß“ zu bezeichnen, zeugt von einer massiven Naivität. Und Naivität ist keine Ausrede dafür, toxische Geschichten zu schreiben, die es Menschen die eh schon genug zu kämpfen haben, noch schwerer machen, akzeptiert zu werden.

Und falls jetzt noch jemand daran zweifelt, ob es den angesprochenen Autor*innen nicht vielleicht doch um Aktivismus und Diversität geht: als ich diesen Artikel (in einer etwas persönlicheren Form) im Februar erstmals veröffentlichte, wurde in einer großen Facebookgruppe für Gayromance über mich und den Artikel diskutiert. Dabei schrieb eine Nutzerin etwas, was meine Kritikpunkte sehr deutlich illustriert:

„Die scheiß Kampflesbe soll sich nicht so anstellen. Wenn Schwuchteln sich an meinen Büchern stören, sollen se mir das selber sagen.“


Ein positiver Ausblick

Es gibt Romane, die divers sind und dabei keine Klischees bedienen. Die diverse Sexualitäten respektvoll darstellen. Deutsche AutorInnen haben, gerade wenn es um homosexuelle Männer geht, einiges aufzuholen. Denn viele dieser positiven Beispiele (zumindest der, die ich gefunden habe) kommen aus den USA, Australien oder Frankreich.

Im Bereich Gayromance habe ich tatsächlich bisher niemanden gefunden, dessen/deren Buch 100%ig zu diesem „Genre“ zählt, bzw. der/die/nb sich freiwillig als Autor*in in diesem Bereich bezeichnen würde. Hier also einige Tipps für die Umsetzung von Queerness, wie sie eigentlich sein sollte:

Weitere Links zum Thema

Fetischisierung von Homosexuellen auf Tumblr

Fetischisierung von heterosexuellen Charakteren als homosexuell

Fetischisierung von Lesben in den Medien

Ernste Probleme mit der Fetischisierung von Bi- und Homosexuellen Frauen

Ein Hot-Take von Autorinnenkollegin Anja Stephan