Theoriebesprechung von Friedrich Schiller: Das Erhabene

Das Erhabene

Theoriebesprechung von Friedrich Schiller: Das Erhabene (1801)


Im Folgenden wird, sofern nicht explizit anders gekennzeichnet, zitiert aus dem Kapitel Ueber das Erhabene in: Friedrich Schiller: Vom Pathetischen und Erhabenen. Schriften zur Dramentheorie. Hrsg. von Klaus L. Berghahn. Stuttgart 2009. S. 99-117.


Ueber das Erhabene erschien 1801 als Essay in dem Band Kleinere prosaische Schriften und schließt sich thematisch an Schillers Aufsätze Vom Erhabenen und Ueber das Pathetische an. In diesen Schriften setzt sich Schiller mit den Ideen Kants bezüglich des Erhabenen auseinander und setzt sie in Verbindung mit den Abhandlungen Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen und Ueber das Pathetische, indem er die Schriften zusammen publiziert. Der so erstandene Zusammenhang ist bei der Rezeption der theoretischen Texte zu beachten.

Was ist das Erhabene? Schillers Menschenbild

Vorab kurz dazu, was das Erhabene eigentlich ist – sofern man das denn feststecken kann. Denn das Erhabene wird von jedem/jeder Theoretiker*in neu definiert. Generell beschreibt das Erhabene alles, was wir als Menschen nicht (er)fassen können. Wenn wir etwa in der Natur sind und ihre Schönheit uns überwältigt oder wir unsere eigene Sterblichkeit und Ohnmacht durch etwas erfahren, wenn Naturgewalten wüten oder auch, wenn religiöse Menschen über Gott nachdenken. Was genau hat das mit Literatur zu tun? Bei Kant ist das Erhabene von dem Schönen und der Kunst abgekoppelt, bei Schiller jedoch nicht. Er schreibt der Kunst eine wichtige Rolle zu.

Um eine Basis für die folgenden Theorien zu schaffen definiert Schiller auf den ersten Seiten des Essays sein Menschenbild.

„[D]er Mensch ist das Wesen, welches will“ (S. 99)

So lautet die These, welche er noch auf derselben Seite erläutert. Der Mensch ist ein Wesen, wessen Prärogativ es ist, dass er mit dem gegebenen freien Willen und seinem Bewusstsein vernünftig handelt. Gewalt, hier als alles definiert, was gegen den Willen des Menschen geschieht, nimmt ihm dementsprechend die Menschlichkeit ab. Die Natur determiniert alles in und um sie herum, so auch den Menschen. Dieser hat sich im Rahmen der Evolution und technischen Fortschritts immer weiter ihrer Kontrolle entzogen und ist ihr in fast allen Fällen voraus. Nur der Tod, als letzte unumgehbare Komponente eines jeden menschlichen Lebens, bleibt bestehend.

Der Weg zur Freiheit

Folgt man Schillers Argumentation, so kommt man zu der Konklusion, dass ein jeder Mensch, so lange er dem Tod nicht entrinnen kann, nicht über freien Willen verfügt und somit seine Menschlichkeit abgesprochen bekommt. Schiller bietet zwei Lösungswege um der Gewalt zu entgehen:

Entweder r e a l i s t i s c h, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrschet; oder i d e a l i s t i s c h, wenn er aus der Natur heraustritt und so; in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet. [sic] (S. 100)

Für diese beiden Möglichkeiten schreibt er dem Menschen zweierlei Kulturen zu, eine physische und eine moralische. Die physische Kultur soll dem Menschen durch Weiterbildung der sinnlichen Kräfte ermöglichen, die Natur bis zu einem gewissen Punkt zu kontrollieren. Da dieser Punkt spätestens beim Tod erreicht ist, braucht man die moralische Kultur. Sie soll uns dabei helfen zu begreifen, dass der einzige Weg aus der Beherrschung durch die Natur darin liegt, uns ihr zu unterwerfen.

Was im ersten Moment nach einem Widerspruch klingt, ergibt im Kontext mehr Sinn. In dem Menschen, spezifischer moralisch gebildete Menschen, welche die Fähigkeit dazu besitzen, die Punkte, an denen wir die Natur nicht kontrollieren können, als solche Annehmen und uns mit dem, was sie uns antut einverstanden erklären, ist es keine Gewalt mehr. Alles was von diesem Moment an folgt, was vorher ein Akt gegen unseren Willen war, fügt sich nun in unseren Willen ein. Damit ist in keiner Weise gemeint, dass man den Tod akzeptieren oder erwarten soll, wie es im Barock oft Thematik war, sondern dass man lediglich der Natur vorgreift, in dem man ihre Entscheidungen zu den eigenen macht.

Um dies zu verstehen und umzusetzen benötigt man, so Schiller, einen stärkeren Willen und mehr Klarheit, als es im restlichen Leben eines Menschen der Fall ist. Für das Erreichen dieser Qualitäten reicht es nicht aus, die moralische Seite von uns zu bilden. Wir müssen an die ästhetische Tendenz in unserem sinnlichen, physischen Wesen appellieren. Wie man aus der begrifflichen Einteilung durch Kant bereits erahnen kann, wird diese physische Seite von der Schönheit, die moralische von dem Erhabenen ausgebildet.

Die Schönheit und das Erhabene

Anders als bei Kant sind Schönheit und Erhabenes bei Schiller gleichwertig. Nur wenn sie beide zusammen in uns vertreten sind, befinden wir uns in der Lage, zu einem vollwertigen, moralischen Menschen zu werden. Das Schöne ist der Teil in uns, der trotz aller Versuche nicht von der Natur fortkommt. Indem wir uns wünschen, dass unsere Umgebung gut und schön sei, sind wir gefangen in unserem sinnlichen Denken. Wir machen uns durch unseren Wunsch von der Natur als unsere Umgebung abhängig. Die Stimme in uns, der es gleichgültig ist, ob Gegenstände um uns herum schön sind, die jedoch verlangt, dass dasjenige, welches bereits Existiert schön und gut sei, wird als das Erhabene bezeichnet.

Sehr einfach erklärt bedeutet dies, dass das Schöne in uns sich explizit von der Natur abhängig macht, durch den Wunsch von Schönem umgeben zu sein. Das Erhabene in uns verlangt von der Natur, dass alles, was sie schafft, schön ist und setzt sich so frei, da es sich in die Machtposition über der Natur stellt, statt sich unter ihr einzuordnen. Trotzdem sind beide Teile unabdinglich für unsere Menschlichkeit und den Begriff der Freiheit für uns:

Wir fühlen uns frey bey der Schönheit, weil die sinnlichen Triebe mit dem Gesetz der Vernunft harmonieren; wir fühlen uns frey beym Erhabenen, weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluss haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinem andern als seinem eigenen Gesetzen stünde. [sic] (S. 103)

Die Schönheit ist das erste, was uns als Menschen anzieht. Sie bildet uns für die ersten Lebensjahre, in welchen wir noch nicht bereit für das Erhabene sind. Während sich unser Geschmack formt, bilden wir uns moralisch weiter und entwickeln den Verstand, welcher unabdinglich für unsere Fähigkeit das Erhabene in uns aufzunehmen ist. Hier sind wir bereits bei der ästhetischen Erziehung angelangt, welche Schiller sehr eng mit seinen Gedanken über das Erhabene verknüpft. Die Schönheit begleitet uns bei allen sinnlichen Lebenserfahrungen, das Erhabene führt uns darüber hinaus. Zusammen bilden sie uns zu einem Menschen aus und machen uns zu dem, was wir sind.

Das Schöne alleine übernimmt einen großen Teil dieser Ausbildung, wir benötigen das Erhabene jedoch, um uns selbst zu erkennen. Erst durch die Erfahrung von etwas, dass über unsere übliche Fassungskraft hinausgeht und sowohl schön wie auch schaurig ist, wird uns klar, dass wir zwei Naturen in uns vereinigen. Wir alle besitzen zwei Seiten, welche komplett unterschiedliche Verhältnisse zu dem vor uns haben. Keine der beiden Instanzen dominiert, was uns als Mensch aufzeigt, dass wir die sind, die entscheiden und nicht eine der beiden Naturen.

Kants Einfluss und die Bedeutung von Fantasie

Die Aufteilung des Erhabenen in Fassungskraft und Lebenskraft ist stark an Kants mathematisches und dynamisches Erhabenes angelehnt. Sehen wir etwas, was die oben beschriebene Reaktion auslöst, so beziehen wir dies entweder auf unsere Fassungskraft in dem wir versuchen uns ein Bild davon zu machen, oder aber wir beziehen es auf unsere Lebenskraft und sehen unsere eigene Ohnmacht darin. Beides zeigt uns eigene Grenzen auf, jedoch ohne uns abzustoßen. Wir werden angezogen von dieser Unverständlichkeit von uns selbst. Unsere Fantasie ist es, die es uns erlaubt, über die eigentlichen Grenzen unserer Macht hinaus zu denken und das Erhabene überhaupt erst zu begreifen.

Wir ergötzen und an dem Sinnlichunendlichen, weil wir denken können, was die Sinne nicht mehr fassen, und der Verstand nicht mehr begreift. Wir werden begeistert von dem Furchtbaren, weil wir wollen können, was die Triebe verabscheuen, und verwerfen, was sie begehren. [sic] (S. 104)

Im Erhabenen wollen wir, was wir nicht wollen müssen und sind damit effektiv frei. Es ergibt keinen Sinn, dass wir uns von etwas angezogen fühlen, was uns verwirrt und unsere eigenen Grenzen aufzeichnet und doch hat es diese Wirkung auf uns. Indem wir uns davon distanzieren, was unser sinnlicher Teil will, sind wir vollends frei. Das Erhabene ermöglicht uns dies, durch seine eigene Unmöglichkeit.

Das Große und das Kleine

An dieser Stelle kann man sich fragen, ob es nicht unlogisch ist, wenn wir unseren Verstand nutzen, um etwas verstehen zu wollen, was unmöglich zu verstehen ist. Allerdings ist das Erhabene wichtig für unser Selbstverständnis, da wir selbst ebenso unmöglich sind.

„[D]as relativ Große (…) ist der Spiegel, worinn er das absolut Große in [sich] selbst erblickt.“ [sic] (S. 109)

Haben wir einmal das Große gesehen, so reicht uns das Kleine nicht mehr. Durch das Erwachen des Erhabenen in uns, wollen wir alles um uns herum sortieren und ordnen – auch die Welt an sich. Begreifen wir nun, dass man eben diese Größe nicht begreifen kann, so verstehen wir erst, was in uns selbst vorgeht. Unser Verstand, das Große in uns, ist ebenso unverständlich wie die Welt an sich. Das Chaos, welches keine Ordnung findet, macht uns ebenso aus, wie das unbegreifliche um uns herum. Einfach gesagt suchen wir in der Welt nach Verbindungen, weil wir annehmen, dass es sie geben muss. Wenn wir einsehen, dass dies nicht der Fall ist, sehen wir auch, dass unsere Vernunft genauso funktioniert. Auch in ihr gibt es diese Zweckverbindungen nicht. Wir lernen über unsere eigene Vernunft, in dem wir aufgeben zu versuchen, das Erhabene um uns herum verstehen zu wollen.

Doch nicht nur die Natur kann diesen Effekt auf uns haben, auch Menschen die einen erhabenen Charakter besitzen, können uns auf diese Spur bringen. Ein moralischer Charakter zeichnet sich dadurch aus, dass jemand die Tugenden besitzt. Warum ist für außenstehende unwichtig. Wir neigen dazu, die Absichten dieser Menschen zu hinterfragen, wobei das nicht nötig ist, so lange sie nur anhand der Tugenden handeln. Verliert ein Mensch jedoch alles, was ihn an diese Welt bindet, Status, Familie, Gesundheit, uns handelt noch immer nach den Tugenden, so ist er erhaben. Denn wenn jemand ohne weltliche Bindungen diese Moralvorstellung aufrechterhält, so ist dies für uns ebenso ungreifbar, wie die Macht des Erhabenen in der Natur. Unser Ideal ist das Leben in der sinnlichen Welt ohne unsere moralische Seite aufzugeben zu müssen. Schiller fasst diese Gedanken folgendermaßen zusammen:

Nur wenn das Erhabene mit dem Schönen sich gattet, uns unsre Empfänglichkeit für beydes in gleichem Maaß ausgebildet worden ist, sind wir vollendete Bürger der Natur, ohne deswegen ihre Sklaven zu seyn, und ohne unser Bürgerrecht in der intelligibeln Welt zu verscherzen. [sic] (S. 116)

Fassen wir an dieser Stelle einmal kurz alles zusammen, bevor die Rolle der Kunst diskutiert wird. Der Mensch ist nur frei, wenn er von nichts determiniert wird. Dazu muss er sich der Natur ergeben, um ihrer Gewalt zu entgehen. Für diesen Prozess benötigt er sowohl seine sinnliche Seite, als auch seine moralische. Das Erhabene hilft uns, unsere eigene Größe anzuerkennen und unseren Charakter so zu stärken, dass wir uns der Natur ohne Vorbehalte unterwerfen können um frei zu sein. Nun ist die Frage, wie genau dies erreicht werden kann. Hier kommt das Pathetische hinein, was Schiller in anderen Schriften ausbaut und erläutert.

Was ist das Pathetische?

Das Pathetische ist, stark verkürzt und vereinfacht gesagt, Leiden, welches durch die Kunst ausgedrückt wird und uns so ermöglicht, wie durch einen Filter hindurch dieses Leiden zu erfahren.

Schiller beschreibt verschiedene Möglichkeiten einer Umsetzung, von der Antike bis ins zeitgenössische Frankreich hinein. Das Pathetische ist ein künstliches Unglück, welches es uns ermöglicht aus sicherere Distanz heraus die erhabene Rührung zu erfahren. Normalerweise braucht der Mensch die Natur dazu. So wird man bei Kant durch das Erfahren einer Tragödie (ohne an ihr Teilzunehmen) in diesem Feld gebildet. Schiller eröffnet dem Menschen also eine Möglichkeit, ohne die Realerfahrungen diese Kompetenzen zu bilden.

Die Rolle der Kunst

Vorteile der Kunst sind zu einen die Konzentration des Leidens, da die Kunst sonst keine Aufgabe hat, anders als die Natur. Aber auch die Tatsache, dass uns reale Tragödien oft ohne Vorwarnung treffen und wir so zu emotional verwickelt sind, um das Erhabene zu erfahren, spielt eine wichtige Rolle. Wir trainieren an dem künstlichen, um für reale Ereignisse besser gewappnet zu sein. Um uns eine Tragödie zu bieten, muss in der Natur Gewalt geschehen. In der Kunst ist dies nicht der Fall. Künstliche Tragödien sind also in jedem Fall die menschlichere Variante.

Triggerwarnungen in Büchern

triggerwarnungen in büchern

Triggerwarnungen in Büchern


TW: Gängige Trigger-Nennungen (nur per Name, keine tatsächlich triggernden Inhalte)


Disclaimer: Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Artikel, der im Dezember 2017 erstmals veröffentlicht wurde. Der Text wurde umgeschrieben, um aktuellen Themen besser zu entsprechen.

Ich bin eine Person die Triggerwarnungen benötigt und sich generell für sie ausspricht. Meine Meinung wird diesen Artikel dementsprechend beeinflussen.


Dieser Beitrag sollte nie eine Anklage sein. Ich hoffe, das es Leser*innen dieses Blogs mittlerweile bewusst ist, dass ich niemanden direkt angreifen möchte. Ziel dieses Artikels ist es nicht, ein Streitgespräch anzufeuern, sondern vielmehr Argumente zu bringen, die man annehmen kann oder nicht.

Generell kann nämlich jede*r Autor*in für sich selbst entscheiden, ob er/sie/nb vor Triggern warnen möchte oder nicht. Persönlich denke ich, dass die Personen, die Trigger nicht benennen wollen, gewisse Stereotype und Ängste haben. Auf einige davon will ich versuchen, eine Antwort zu finden.

Die Basics: Was ist ein Trigger?

Generell gesprochen ist ein Trigger etwas, was eine starke Emotion oder Erinnerung in Menschen hervorrufen kann. Dies kann kontrolliert geschehen (etwa, wenn sich die Person dem mit Absicht entgegenstellt) oder unkontrolliert (wenn die Person ohne Vorwarnung damit konfrontiert wird). Trigger können Geräusche, Gerüche, Personen, Themen, Dinge, Wörter und noch viel mehr sein. Es gibt keine feste Vorlage, was ein Trigger sein muss. Sie können beispielsweise auch positiv sein. Wenn man in einer Menschenmasse auf einmal ein Parfüm riecht, das einen an die Kindheit oder jemanden aus der Vergangenheit erinnert. Das kann schön sein.

Das Problem ist, wenn es nicht schön ist. Solche Trigger tauchen bei Personen auf, die Traumatisches erlebt haben. Sexuelle Gewalt, Tierquälerei, Mobbing (zum Beispiel Fatshaming oder Homophobie) und mentale Krankheiten (wie Essstörungen, Phobien oder problematische Therapien) sind häufige Gründe für negative Trigger.

Erstes Vorurteil: Alles kann ein Trigger sein

Als Argument gegen Triggerwarnungen wird oft gesagt, dass ja alles ein Trigger sein kann. Das ist generell korrekt. Wie oben bereits beschrieben gibt es jedoch Abstufungen von Triggern. Das bedeutet nicht, dass man deshalb keine setzen soll. Denn auch wenn es faktisch unmöglich ist, jeden existierenden Trigger zu benennen, so sind die größten bekannt. Gibt man diese an, so sorgt man dafür, dass der Großteil der eignen Leser*innen sicher vor Triggern ist. Das ist ein ziemlich gutes Ergebnis, finde ich.

Sollte man später in einer Unterhaltung mitbekommen, dass Menschen, mit denen man  häufiger in Austausch tritt, besondere Trigger haben, dann gibt man diese an. Weil man eben weiß, worauf man zu achten hat.

Zweites Vorurteil: Trigger haben nur ‚Sensibelchen‘

Abgesehen davon, dass nichts falsch daran ist, ein sensibler Mensch zu sein, ist dieses Vorurteil komplett falsch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Mensch Trigger hat. Positive und negative.

Ob das nun Alzheimer ist, weil jemand aus der Familie betroffen ist oder ein eigentlich unschuldiges Thema, womit man schlechte, persönliche Erinnerungen knüpft – sie sind da. Es kann sein, dass man sich selbst antrainiert hat, auf so was nicht zu reagieren. Das liegt oft daran, dass man nicht schwach erscheinen will oder nicht versteht, wieso einen dieses Thema stört.

Wie man mit den eigenen Triggern umgeht, ist grundsätzlich Sache der eigenen Grenzen. Nur weil Person A auf Trigger nicht (aktiv) reagiert und keine Warnungen (mehr) benötigt, darf man das nicht von Person B erwarten. Menschen verarbeiten Trauma und negative Gefühle immer unterschiedlich. Daran ist nichts verwerflich.


Exkurs: Es gibt Trigger, die als ’schlimmer‘ betrachtet werden, als andere. Entweder weil mehr Menschen betroffen sind oder weil sie von Außenstehenden ohne Trauma (!) so eingestuft werden. Wer sich über andere Traumatisierte stellt oder versucht innerhalb dieser Menschengruppen eine Hierarchie zu erstellen, der hat das Prinzip nicht verstanden. Trauma ist Trauma. Respektiert bitte alle Trigger, sofern ihr von ihnen wisst.


Drittes Vorurteil: Wenn ich das mache, spoilere ich

Gerade bei Autor*innen kommt dieser Spruch immer wieder. Dabei ist es eigentlich sehr einfach, nicht zu spoilern und trotzdem zu warnen. Ich spreche vor jedem meiner Artikel eine TW aus und bin mir ziemlich sicher, dass man davon nicht ableiten kann, was genau ich schreibe. Leute lesen die Artikel trotzdem. Warum sollte das bei Büchern anders sein?

Menschen die Triggerwarnungen benötigen werden euer Buch übrigens trotzdem lesen. Vielleicht sogar eher, als wenn ihr keine gemacht hättet. Weil man sich dann sicher sein kann, dass die eigenen Trigger nicht vorkommen oder weil man dann vorbereitet ist. Trigger haben die Macht, die sie haben, weil sie oft ohne Warnung kommen. Weiß man, worauf man sich einstellen muss, dann geht man gefestigt in die Leseerfahrung.

Zudem kaufen Leser*innen doch nicht nur Bücher, um das betreffende Thema anzulesen. Sie stützen euch, mögen euren Schreibstil und folgen den Figuren. Ein Buch ist mehr als nur seine problematischen Teile. Falls ihr mit etwas wie einer Vergewaltigung ’schocken‘ wollt, dann packt die TW ans Ende des Buchs und gebt vorne einen Hinweis, wo sie zu finden ist. (Ganz davon abgesehen, dass Trauma als Schockeffekt immer problematisch ist und nicht in dieser Art genutzt werden sollte.)

Viertes Vorurteil: Triggerwarnungen sind Zensur

Bei diesem ‚Argument‘ verdreht sich mir alles. Denn Menschen, die das sagen, schreiben und/oder denken, wissen einfach nicht, was Zensur ist. Bei problematischen Inhalten unterscheidet man zwischen Zensur, Indizierung und der Möglichkeit zur Selbstkontrolle (wie etwa USK bei Spielen und FSK bei Filmen).

Zensur ist, wenn Inhalte verändert werden. Dies geschieht entweder durch eine übergeordnete Machtposition (wie der Staat oder das Medium, in dem man etwas veröffentlichen möchte) oder durch einen selbst (z. B. aufgrund von negativem Backlash (Selbstzensur)). Zensur kann unterschiedliche Gründe haben. Anstößige Inhalte (wie explizite Sexualität, problematische Sprache und Gewalt) werden oft zensiert, um Menschen zu schützen. Dabei wird von einer dritten Instanz entschieden, was angemessen ist und was nicht. Zensur kann aber auch staatlich erfolgen, um Aktivist*innen ihre Stimme/Plattform zu nehmen oder die Freiheit von Menschen einzuengen. Daher ist Zensur auch immer angreifbar und das ist auch gut so.

Indizierung ist ein Schritt über der Zensur. Hier werden Dinge aktiv verboten, aus dem Handel genommen, nicht ausgestrahlt oder (im Falle von Internetseiten) nicht erreichbar gemacht. Auch hier kann man Kritik üben, da Indizierung nicht nur bei Videospielen, die als zu brutal eingestuft wurden passiert, sondern auch politisch eingesetzt wird.

Beides, Zensur und Indizierung, verhindern, dass Menschen etwas lesen, sehen, nutzen oder anderweitig konsumieren, weil eine dritte Instanz für Menschen entschieden hat, dass sie es nicht dürfen oder es nicht angemessen ist.

Mittel zur Selbstkontrolle sind nicht das. Sie sind ein freiwilliges (!) Angebot, zum Schutz von Menschengruppen wie Minderjährigen oder eben Personen die Trigger benötigen. Sie zeigen an, wenn eine Serie explizite Sexszenen beinhaltet, ein Spiel Gewalt verherrlicht oder in einem Film über Inhalte wie die NS-Zeit oder Tierquälerei gesprochen wird. Genau das sind Triggerwarnungen. Eine Angabe zur freiwilligen Selbstkontrolle.

Fazit

Das Leben ist voller Triggerwarnungen. Sie sind überall. Vor Filmen, Videospielen und in der Beschreibung von Netflixserien. Auch bei Fanfiktions ist es absolut normal, dass man Triggerwarnungen angibt. Andere Medien entdecken Triggerwarnungen für sich, wieso also nicht auch Bücher und Blogs? Wie man sie platziert (ob als Pop-Up, Warnung vor dem Text, hinten im Buch oder auf einer gesonderten Webseite) ist dabei nicht wichtig. Sie sollten nur eben für alle aufzufinden sein.

Solltet ihr euch für Triggerwarnungen entscheiden, dann schadet ihr damit niemandem. Alle, die es nicht betrifft, scrolle drüber oder blättern weiter. Ihr zeigt damit aber Respekt vor Menschen, die von gängigen Traumata betroffen sind. Das ist sehr viel wert, finde ich.

Ein Artikel zum Thema von meiner Kollegin Nora Bendzko