Theoriebesprechung von Friedrich Schiller: Das Erhabene

Das Erhabene

Theoriebesprechung von Friedrich Schiller: Das Erhabene (1801)


Im Folgenden wird, sofern nicht explizit anders gekennzeichnet, zitiert aus dem Kapitel Ueber das Erhabene in: Friedrich Schiller: Vom Pathetischen und Erhabenen. Schriften zur Dramentheorie. Hrsg. von Klaus L. Berghahn. Stuttgart 2009. S. 99-117.


Ueber das Erhabene erschien 1801 als Essay in dem Band Kleinere prosaische Schriften und schließt sich thematisch an Schillers Aufsätze Vom Erhabenen und Ueber das Pathetische an. In diesen Schriften setzt sich Schiller mit den Ideen Kants bezüglich des Erhabenen auseinander und setzt sie in Verbindung mit den Abhandlungen Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen und Ueber das Pathetische, indem er die Schriften zusammen publiziert. Der so erstandene Zusammenhang ist bei der Rezeption der theoretischen Texte zu beachten.

Was ist das Erhabene? Schillers Menschenbild

Vorab kurz dazu, was das Erhabene eigentlich ist – sofern man das denn feststecken kann. Denn das Erhabene wird von jedem/jeder Theoretiker*in neu definiert. Generell beschreibt das Erhabene alles, was wir als Menschen nicht (er)fassen können. Wenn wir etwa in der Natur sind und ihre Schönheit uns überwältigt oder wir unsere eigene Sterblichkeit und Ohnmacht durch etwas erfahren, wenn Naturgewalten wüten oder auch, wenn religiöse Menschen über Gott nachdenken. Was genau hat das mit Literatur zu tun? Bei Kant ist das Erhabene von dem Schönen und der Kunst abgekoppelt, bei Schiller jedoch nicht. Er schreibt der Kunst eine wichtige Rolle zu.

Um eine Basis für die folgenden Theorien zu schaffen definiert Schiller auf den ersten Seiten des Essays sein Menschenbild.

„[D]er Mensch ist das Wesen, welches will“ (S. 99)

So lautet die These, welche er noch auf derselben Seite erläutert. Der Mensch ist ein Wesen, wessen Prärogativ es ist, dass er mit dem gegebenen freien Willen und seinem Bewusstsein vernünftig handelt. Gewalt, hier als alles definiert, was gegen den Willen des Menschen geschieht, nimmt ihm dementsprechend die Menschlichkeit ab. Die Natur determiniert alles in und um sie herum, so auch den Menschen. Dieser hat sich im Rahmen der Evolution und technischen Fortschritts immer weiter ihrer Kontrolle entzogen und ist ihr in fast allen Fällen voraus. Nur der Tod, als letzte unumgehbare Komponente eines jeden menschlichen Lebens, bleibt bestehend.

Der Weg zur Freiheit

Folgt man Schillers Argumentation, so kommt man zu der Konklusion, dass ein jeder Mensch, so lange er dem Tod nicht entrinnen kann, nicht über freien Willen verfügt und somit seine Menschlichkeit abgesprochen bekommt. Schiller bietet zwei Lösungswege um der Gewalt zu entgehen:

Entweder r e a l i s t i s c h, wenn der Mensch der Gewalt Gewalt entgegensetzt, wenn er als Natur die Natur beherrschet; oder i d e a l i s t i s c h, wenn er aus der Natur heraustritt und so; in Rücksicht auf sich, den Begriff der Gewalt vernichtet. [sic] (S. 100)

Für diese beiden Möglichkeiten schreibt er dem Menschen zweierlei Kulturen zu, eine physische und eine moralische. Die physische Kultur soll dem Menschen durch Weiterbildung der sinnlichen Kräfte ermöglichen, die Natur bis zu einem gewissen Punkt zu kontrollieren. Da dieser Punkt spätestens beim Tod erreicht ist, braucht man die moralische Kultur. Sie soll uns dabei helfen zu begreifen, dass der einzige Weg aus der Beherrschung durch die Natur darin liegt, uns ihr zu unterwerfen.

Was im ersten Moment nach einem Widerspruch klingt, ergibt im Kontext mehr Sinn. In dem Menschen, spezifischer moralisch gebildete Menschen, welche die Fähigkeit dazu besitzen, die Punkte, an denen wir die Natur nicht kontrollieren können, als solche Annehmen und uns mit dem, was sie uns antut einverstanden erklären, ist es keine Gewalt mehr. Alles was von diesem Moment an folgt, was vorher ein Akt gegen unseren Willen war, fügt sich nun in unseren Willen ein. Damit ist in keiner Weise gemeint, dass man den Tod akzeptieren oder erwarten soll, wie es im Barock oft Thematik war, sondern dass man lediglich der Natur vorgreift, in dem man ihre Entscheidungen zu den eigenen macht.

Um dies zu verstehen und umzusetzen benötigt man, so Schiller, einen stärkeren Willen und mehr Klarheit, als es im restlichen Leben eines Menschen der Fall ist. Für das Erreichen dieser Qualitäten reicht es nicht aus, die moralische Seite von uns zu bilden. Wir müssen an die ästhetische Tendenz in unserem sinnlichen, physischen Wesen appellieren. Wie man aus der begrifflichen Einteilung durch Kant bereits erahnen kann, wird diese physische Seite von der Schönheit, die moralische von dem Erhabenen ausgebildet.

Die Schönheit und das Erhabene

Anders als bei Kant sind Schönheit und Erhabenes bei Schiller gleichwertig. Nur wenn sie beide zusammen in uns vertreten sind, befinden wir uns in der Lage, zu einem vollwertigen, moralischen Menschen zu werden. Das Schöne ist der Teil in uns, der trotz aller Versuche nicht von der Natur fortkommt. Indem wir uns wünschen, dass unsere Umgebung gut und schön sei, sind wir gefangen in unserem sinnlichen Denken. Wir machen uns durch unseren Wunsch von der Natur als unsere Umgebung abhängig. Die Stimme in uns, der es gleichgültig ist, ob Gegenstände um uns herum schön sind, die jedoch verlangt, dass dasjenige, welches bereits Existiert schön und gut sei, wird als das Erhabene bezeichnet.

Sehr einfach erklärt bedeutet dies, dass das Schöne in uns sich explizit von der Natur abhängig macht, durch den Wunsch von Schönem umgeben zu sein. Das Erhabene in uns verlangt von der Natur, dass alles, was sie schafft, schön ist und setzt sich so frei, da es sich in die Machtposition über der Natur stellt, statt sich unter ihr einzuordnen. Trotzdem sind beide Teile unabdinglich für unsere Menschlichkeit und den Begriff der Freiheit für uns:

Wir fühlen uns frey bey der Schönheit, weil die sinnlichen Triebe mit dem Gesetz der Vernunft harmonieren; wir fühlen uns frey beym Erhabenen, weil die sinnlichen Triebe auf die Gesetzgebung der Vernunft keinen Einfluss haben, weil der Geist hier handelt, als ob er unter keinem andern als seinem eigenen Gesetzen stünde. [sic] (S. 103)

Die Schönheit ist das erste, was uns als Menschen anzieht. Sie bildet uns für die ersten Lebensjahre, in welchen wir noch nicht bereit für das Erhabene sind. Während sich unser Geschmack formt, bilden wir uns moralisch weiter und entwickeln den Verstand, welcher unabdinglich für unsere Fähigkeit das Erhabene in uns aufzunehmen ist. Hier sind wir bereits bei der ästhetischen Erziehung angelangt, welche Schiller sehr eng mit seinen Gedanken über das Erhabene verknüpft. Die Schönheit begleitet uns bei allen sinnlichen Lebenserfahrungen, das Erhabene führt uns darüber hinaus. Zusammen bilden sie uns zu einem Menschen aus und machen uns zu dem, was wir sind.

Das Schöne alleine übernimmt einen großen Teil dieser Ausbildung, wir benötigen das Erhabene jedoch, um uns selbst zu erkennen. Erst durch die Erfahrung von etwas, dass über unsere übliche Fassungskraft hinausgeht und sowohl schön wie auch schaurig ist, wird uns klar, dass wir zwei Naturen in uns vereinigen. Wir alle besitzen zwei Seiten, welche komplett unterschiedliche Verhältnisse zu dem vor uns haben. Keine der beiden Instanzen dominiert, was uns als Mensch aufzeigt, dass wir die sind, die entscheiden und nicht eine der beiden Naturen.

Kants Einfluss und die Bedeutung von Fantasie

Die Aufteilung des Erhabenen in Fassungskraft und Lebenskraft ist stark an Kants mathematisches und dynamisches Erhabenes angelehnt. Sehen wir etwas, was die oben beschriebene Reaktion auslöst, so beziehen wir dies entweder auf unsere Fassungskraft in dem wir versuchen uns ein Bild davon zu machen, oder aber wir beziehen es auf unsere Lebenskraft und sehen unsere eigene Ohnmacht darin. Beides zeigt uns eigene Grenzen auf, jedoch ohne uns abzustoßen. Wir werden angezogen von dieser Unverständlichkeit von uns selbst. Unsere Fantasie ist es, die es uns erlaubt, über die eigentlichen Grenzen unserer Macht hinaus zu denken und das Erhabene überhaupt erst zu begreifen.

Wir ergötzen und an dem Sinnlichunendlichen, weil wir denken können, was die Sinne nicht mehr fassen, und der Verstand nicht mehr begreift. Wir werden begeistert von dem Furchtbaren, weil wir wollen können, was die Triebe verabscheuen, und verwerfen, was sie begehren. [sic] (S. 104)

Im Erhabenen wollen wir, was wir nicht wollen müssen und sind damit effektiv frei. Es ergibt keinen Sinn, dass wir uns von etwas angezogen fühlen, was uns verwirrt und unsere eigenen Grenzen aufzeichnet und doch hat es diese Wirkung auf uns. Indem wir uns davon distanzieren, was unser sinnlicher Teil will, sind wir vollends frei. Das Erhabene ermöglicht uns dies, durch seine eigene Unmöglichkeit.

Das Große und das Kleine

An dieser Stelle kann man sich fragen, ob es nicht unlogisch ist, wenn wir unseren Verstand nutzen, um etwas verstehen zu wollen, was unmöglich zu verstehen ist. Allerdings ist das Erhabene wichtig für unser Selbstverständnis, da wir selbst ebenso unmöglich sind.

„[D]as relativ Große (…) ist der Spiegel, worinn er das absolut Große in [sich] selbst erblickt.“ [sic] (S. 109)

Haben wir einmal das Große gesehen, so reicht uns das Kleine nicht mehr. Durch das Erwachen des Erhabenen in uns, wollen wir alles um uns herum sortieren und ordnen – auch die Welt an sich. Begreifen wir nun, dass man eben diese Größe nicht begreifen kann, so verstehen wir erst, was in uns selbst vorgeht. Unser Verstand, das Große in uns, ist ebenso unverständlich wie die Welt an sich. Das Chaos, welches keine Ordnung findet, macht uns ebenso aus, wie das unbegreifliche um uns herum. Einfach gesagt suchen wir in der Welt nach Verbindungen, weil wir annehmen, dass es sie geben muss. Wenn wir einsehen, dass dies nicht der Fall ist, sehen wir auch, dass unsere Vernunft genauso funktioniert. Auch in ihr gibt es diese Zweckverbindungen nicht. Wir lernen über unsere eigene Vernunft, in dem wir aufgeben zu versuchen, das Erhabene um uns herum verstehen zu wollen.

Doch nicht nur die Natur kann diesen Effekt auf uns haben, auch Menschen die einen erhabenen Charakter besitzen, können uns auf diese Spur bringen. Ein moralischer Charakter zeichnet sich dadurch aus, dass jemand die Tugenden besitzt. Warum ist für außenstehende unwichtig. Wir neigen dazu, die Absichten dieser Menschen zu hinterfragen, wobei das nicht nötig ist, so lange sie nur anhand der Tugenden handeln. Verliert ein Mensch jedoch alles, was ihn an diese Welt bindet, Status, Familie, Gesundheit, uns handelt noch immer nach den Tugenden, so ist er erhaben. Denn wenn jemand ohne weltliche Bindungen diese Moralvorstellung aufrechterhält, so ist dies für uns ebenso ungreifbar, wie die Macht des Erhabenen in der Natur. Unser Ideal ist das Leben in der sinnlichen Welt ohne unsere moralische Seite aufzugeben zu müssen. Schiller fasst diese Gedanken folgendermaßen zusammen:

Nur wenn das Erhabene mit dem Schönen sich gattet, uns unsre Empfänglichkeit für beydes in gleichem Maaß ausgebildet worden ist, sind wir vollendete Bürger der Natur, ohne deswegen ihre Sklaven zu seyn, und ohne unser Bürgerrecht in der intelligibeln Welt zu verscherzen. [sic] (S. 116)

Fassen wir an dieser Stelle einmal kurz alles zusammen, bevor die Rolle der Kunst diskutiert wird. Der Mensch ist nur frei, wenn er von nichts determiniert wird. Dazu muss er sich der Natur ergeben, um ihrer Gewalt zu entgehen. Für diesen Prozess benötigt er sowohl seine sinnliche Seite, als auch seine moralische. Das Erhabene hilft uns, unsere eigene Größe anzuerkennen und unseren Charakter so zu stärken, dass wir uns der Natur ohne Vorbehalte unterwerfen können um frei zu sein. Nun ist die Frage, wie genau dies erreicht werden kann. Hier kommt das Pathetische hinein, was Schiller in anderen Schriften ausbaut und erläutert.

Was ist das Pathetische?

Das Pathetische ist, stark verkürzt und vereinfacht gesagt, Leiden, welches durch die Kunst ausgedrückt wird und uns so ermöglicht, wie durch einen Filter hindurch dieses Leiden zu erfahren.

Schiller beschreibt verschiedene Möglichkeiten einer Umsetzung, von der Antike bis ins zeitgenössische Frankreich hinein. Das Pathetische ist ein künstliches Unglück, welches es uns ermöglicht aus sicherere Distanz heraus die erhabene Rührung zu erfahren. Normalerweise braucht der Mensch die Natur dazu. So wird man bei Kant durch das Erfahren einer Tragödie (ohne an ihr Teilzunehmen) in diesem Feld gebildet. Schiller eröffnet dem Menschen also eine Möglichkeit, ohne die Realerfahrungen diese Kompetenzen zu bilden.

Die Rolle der Kunst

Vorteile der Kunst sind zu einen die Konzentration des Leidens, da die Kunst sonst keine Aufgabe hat, anders als die Natur. Aber auch die Tatsache, dass uns reale Tragödien oft ohne Vorwarnung treffen und wir so zu emotional verwickelt sind, um das Erhabene zu erfahren, spielt eine wichtige Rolle. Wir trainieren an dem künstlichen, um für reale Ereignisse besser gewappnet zu sein. Um uns eine Tragödie zu bieten, muss in der Natur Gewalt geschehen. In der Kunst ist dies nicht der Fall. Künstliche Tragödien sind also in jedem Fall die menschlichere Variante.

Triggerwarnungen in Büchern

triggerwarnungen in büchern

Triggerwarnungen in Büchern


TW: Gängige Trigger-Nennungen (nur per Name, keine tatsächlich triggernden Inhalte)


Disclaimer: Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Artikel, der im Dezember 2017 erstmals veröffentlicht wurde. Der Text wurde umgeschrieben, um aktuellen Themen besser zu entsprechen.

Ich bin eine Person die Triggerwarnungen benötigt und sich generell für sie ausspricht. Meine Meinung wird diesen Artikel dementsprechend beeinflussen.


Dieser Beitrag sollte nie eine Anklage sein. Ich hoffe, das es Leser*innen dieses Blogs mittlerweile bewusst ist, dass ich niemanden direkt angreifen möchte. Ziel dieses Artikels ist es nicht, ein Streitgespräch anzufeuern, sondern vielmehr Argumente zu bringen, die man annehmen kann oder nicht.

Generell kann nämlich jede*r Autor*in für sich selbst entscheiden, ob er/sie/nb vor Triggern warnen möchte oder nicht. Persönlich denke ich, dass die Personen, die Trigger nicht benennen wollen, gewisse Stereotype und Ängste haben. Auf einige davon will ich versuchen, eine Antwort zu finden.

Die Basics: Was ist ein Trigger?

Generell gesprochen ist ein Trigger etwas, was eine starke Emotion oder Erinnerung in Menschen hervorrufen kann. Dies kann kontrolliert geschehen (etwa, wenn sich die Person dem mit Absicht entgegenstellt) oder unkontrolliert (wenn die Person ohne Vorwarnung damit konfrontiert wird). Trigger können Geräusche, Gerüche, Personen, Themen, Dinge, Wörter und noch viel mehr sein. Es gibt keine feste Vorlage, was ein Trigger sein muss. Sie können beispielsweise auch positiv sein. Wenn man in einer Menschenmasse auf einmal ein Parfüm riecht, das einen an die Kindheit oder jemanden aus der Vergangenheit erinnert. Das kann schön sein.

Das Problem ist, wenn es nicht schön ist. Solche Trigger tauchen bei Personen auf, die Traumatisches erlebt haben. Sexuelle Gewalt, Tierquälerei, Mobbing (zum Beispiel Fatshaming oder Homophobie) und mentale Krankheiten (wie Essstörungen, Phobien oder problematische Therapien) sind häufige Gründe für negative Trigger.

Erstes Vorurteil: Alles kann ein Trigger sein

Als Argument gegen Triggerwarnungen wird oft gesagt, dass ja alles ein Trigger sein kann. Das ist generell korrekt. Wie oben bereits beschrieben gibt es jedoch Abstufungen von Triggern. Das bedeutet nicht, dass man deshalb keine setzen soll. Denn auch wenn es faktisch unmöglich ist, jeden existierenden Trigger zu benennen, so sind die größten bekannt. Gibt man diese an, so sorgt man dafür, dass der Großteil der eignen Leser*innen sicher vor Triggern ist. Das ist ein ziemlich gutes Ergebnis, finde ich.

Sollte man später in einer Unterhaltung mitbekommen, dass Menschen, mit denen man  häufiger in Austausch tritt, besondere Trigger haben, dann gibt man diese an. Weil man eben weiß, worauf man zu achten hat.

Zweites Vorurteil: Trigger haben nur ‚Sensibelchen‘

Abgesehen davon, dass nichts falsch daran ist, ein sensibler Mensch zu sein, ist dieses Vorurteil komplett falsch. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Mensch Trigger hat. Positive und negative.

Ob das nun Alzheimer ist, weil jemand aus der Familie betroffen ist oder ein eigentlich unschuldiges Thema, womit man schlechte, persönliche Erinnerungen knüpft – sie sind da. Es kann sein, dass man sich selbst antrainiert hat, auf so was nicht zu reagieren. Das liegt oft daran, dass man nicht schwach erscheinen will oder nicht versteht, wieso einen dieses Thema stört.

Wie man mit den eigenen Triggern umgeht, ist grundsätzlich Sache der eigenen Grenzen. Nur weil Person A auf Trigger nicht (aktiv) reagiert und keine Warnungen (mehr) benötigt, darf man das nicht von Person B erwarten. Menschen verarbeiten Trauma und negative Gefühle immer unterschiedlich. Daran ist nichts verwerflich.


Exkurs: Es gibt Trigger, die als ’schlimmer‘ betrachtet werden, als andere. Entweder weil mehr Menschen betroffen sind oder weil sie von Außenstehenden ohne Trauma (!) so eingestuft werden. Wer sich über andere Traumatisierte stellt oder versucht innerhalb dieser Menschengruppen eine Hierarchie zu erstellen, der hat das Prinzip nicht verstanden. Trauma ist Trauma. Respektiert bitte alle Trigger, sofern ihr von ihnen wisst.


Drittes Vorurteil: Wenn ich das mache, spoilere ich

Gerade bei Autor*innen kommt dieser Spruch immer wieder. Dabei ist es eigentlich sehr einfach, nicht zu spoilern und trotzdem zu warnen. Ich spreche vor jedem meiner Artikel eine TW aus und bin mir ziemlich sicher, dass man davon nicht ableiten kann, was genau ich schreibe. Leute lesen die Artikel trotzdem. Warum sollte das bei Büchern anders sein?

Menschen die Triggerwarnungen benötigen werden euer Buch übrigens trotzdem lesen. Vielleicht sogar eher, als wenn ihr keine gemacht hättet. Weil man sich dann sicher sein kann, dass die eigenen Trigger nicht vorkommen oder weil man dann vorbereitet ist. Trigger haben die Macht, die sie haben, weil sie oft ohne Warnung kommen. Weiß man, worauf man sich einstellen muss, dann geht man gefestigt in die Leseerfahrung.

Zudem kaufen Leser*innen doch nicht nur Bücher, um das betreffende Thema anzulesen. Sie stützen euch, mögen euren Schreibstil und folgen den Figuren. Ein Buch ist mehr als nur seine problematischen Teile. Falls ihr mit etwas wie einer Vergewaltigung ’schocken‘ wollt, dann packt die TW ans Ende des Buchs und gebt vorne einen Hinweis, wo sie zu finden ist. (Ganz davon abgesehen, dass Trauma als Schockeffekt immer problematisch ist und nicht in dieser Art genutzt werden sollte.)

Viertes Vorurteil: Triggerwarnungen sind Zensur

Bei diesem ‚Argument‘ verdreht sich mir alles. Denn Menschen, die das sagen, schreiben und/oder denken, wissen einfach nicht, was Zensur ist. Bei problematischen Inhalten unterscheidet man zwischen Zensur, Indizierung und der Möglichkeit zur Selbstkontrolle (wie etwa USK bei Spielen und FSK bei Filmen).

Zensur ist, wenn Inhalte verändert werden. Dies geschieht entweder durch eine übergeordnete Machtposition (wie der Staat oder das Medium, in dem man etwas veröffentlichen möchte) oder durch einen selbst (z. B. aufgrund von negativem Backlash (Selbstzensur)). Zensur kann unterschiedliche Gründe haben. Anstößige Inhalte (wie explizite Sexualität, problematische Sprache und Gewalt) werden oft zensiert, um Menschen zu schützen. Dabei wird von einer dritten Instanz entschieden, was angemessen ist und was nicht. Zensur kann aber auch staatlich erfolgen, um Aktivist*innen ihre Stimme/Plattform zu nehmen oder die Freiheit von Menschen einzuengen. Daher ist Zensur auch immer angreifbar und das ist auch gut so.

Indizierung ist ein Schritt über der Zensur. Hier werden Dinge aktiv verboten, aus dem Handel genommen, nicht ausgestrahlt oder (im Falle von Internetseiten) nicht erreichbar gemacht. Auch hier kann man Kritik üben, da Indizierung nicht nur bei Videospielen, die als zu brutal eingestuft wurden passiert, sondern auch politisch eingesetzt wird.

Beides, Zensur und Indizierung, verhindern, dass Menschen etwas lesen, sehen, nutzen oder anderweitig konsumieren, weil eine dritte Instanz für Menschen entschieden hat, dass sie es nicht dürfen oder es nicht angemessen ist.

Mittel zur Selbstkontrolle sind nicht das. Sie sind ein freiwilliges (!) Angebot, zum Schutz von Menschengruppen wie Minderjährigen oder eben Personen die Trigger benötigen. Sie zeigen an, wenn eine Serie explizite Sexszenen beinhaltet, ein Spiel Gewalt verherrlicht oder in einem Film über Inhalte wie die NS-Zeit oder Tierquälerei gesprochen wird. Genau das sind Triggerwarnungen. Eine Angabe zur freiwilligen Selbstkontrolle.

Fazit

Das Leben ist voller Triggerwarnungen. Sie sind überall. Vor Filmen, Videospielen und in der Beschreibung von Netflixserien. Auch bei Fanfiktions ist es absolut normal, dass man Triggerwarnungen angibt. Andere Medien entdecken Triggerwarnungen für sich, wieso also nicht auch Bücher und Blogs? Wie man sie platziert (ob als Pop-Up, Warnung vor dem Text, hinten im Buch oder auf einer gesonderten Webseite) ist dabei nicht wichtig. Sie sollten nur eben für alle aufzufinden sein.

Solltet ihr euch für Triggerwarnungen entscheiden, dann schadet ihr damit niemandem. Alle, die es nicht betrifft, scrolle drüber oder blättern weiter. Ihr zeigt damit aber Respekt vor Menschen, die von gängigen Traumata betroffen sind. Das ist sehr viel wert, finde ich.

Ein Artikel zum Thema von meiner Kollegin Nora Bendzko

Hanover’s Blind – Minderheiten im Spotlight. Ein Gespräch mit der Autorin Kia Kahawa.

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Hanover’s Blind – Minderheiten im Spotlight. Ein Gespräch mit der Autorin Kia Kahawa.


TW: Sexualität, körperliche Einschränkung


Hallo und herzlich willkommen im Büchnerwald!

Heute gibt es einen etwas anderen Beitrag als sonst. Es geht um ein Thema, welches hier auf dem Blog schon häufiger Beachtung gefunden hat: den Umgang mit nicht-heterosexuellen Beziehungen im Schreiben. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich mich in diesem Rahmen mit meiner lieben Kollegin Kia Kahawa unterhalten konnte. Das Resultat ist ein unverfängliches Gespräch über das Thema und Kias Umgang damit in ihrer Novelle Hanover’s Blind, die derzeit mittels Crowdfunding finanziert werden soll.


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[Foto © Kia Kahawa, Coverdesign: Esther/LaKirana]


Kia Kahawa

Wer Kia noch nicht kennt: Sie ist eine Autorin, die sowohl bei Verlagen, als auch durch Selfpublishing veröffentlicht, engagiert sich beim Bundesverband junger Autorinnen und Autoren und formt durch Projekte wie den Autorenstammtisch Hannover oder ihre Steuertipps (Autoren an die Steuer) die Autor*innen-Community mit.

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[Foto © Lily Wildfire]


Das Gespräch

Erstmal hallo an dich Kia, und danke, dass du dich darüber mit mir austauschen möchtest. Wie du sicher weißt, bin ich starke Advokatin dafür, dass man mehr gut recherchierte Geschichten über Minderheiten benötigt. Daher die wichtigste Frage zuerst: Wie kommt es, dass du dich mit der Thematik in deinem neuen Roman auseinandergesetzt hast? Hast du vorher schon mal mit dem Gedanken gespielt, über diese Dinge zu schreiben?

Hi Michelle! Danke, dass wir dieses Gespräch führen können. Ich glaube, das wird sehr spannend. Gerade wegen deiner Prämisse, dass wir mehr gut recherchierte Geschichten über Minderheiten brauchen und deiner Frage, die folgende Antwort von mir bekommt: Nein, ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, über Nicht-Heterosexualität zu schreiben. Minderheiten schon; denn ich schreibe im Bereich der Entwicklungsromane über Menschen, die sich wegen einer psychischen oder physischen Krankheit selbst im Weg stehen. In Hanover’s Blind geht es um Adam, einen Sehbehinderten, der ein Leben auf eigenen Beinen aufbauen will und sich nicht mit dem geringsten Übel abfinden möchte. Dass Adam im Laufe von Hanover’s Blind eine schwule Beziehung eingeht, ist tatsächlich einfach so passiert.

Ich mag das Setup! Es werden leider kaum Minderheiten miteinander kombiniert. Man liest oft von Homosexualität/Bisexualität oder Behinderung. Dabei gibt es da natürlich viele Überschneidungen. Woher kam das? Dieser Impuls, über solch eine Thematik zu schreiben?

Die Idee zu Hanover’s Blind hatte ich, als ich im Tanzkurs Probleme hatte, da ich als dominante Frau mit zehn Jahren Tanzerfahrung meinen Partner geführt habe. Aber der Mann führt. Ich habe also gegen seine Intentionen geführt und so waren wir ein furchtbar schlechtes Tanzpaar. In einer Privatstunde wollten wir das Problem lösen und die Tanzlehrerin hat mich dazu gebracht, blind zu tanzen. Plötzlich hat alles funktioniert. Ich habe nichts gesehen und war gezwungen, meinem Partner voll zu vertrauen. Das endete zwar manchmal in einem kleinen Unfall, weil wir im normalen Tanzkurs viele Paare auf engem Raum sind und mein Partner schnell überfordert war, aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls stand für mich zu diesem Zeitpunkt Folgendes fest:

  • Adam ist mein Protagonist
  • Er soll blind tanzen und dadurch einen Vorteil seiner Behinderung herausfinden
  • Das Ding soll Hanover’s Blind heißen.

Ja. So geschah es, dass mein Protagonist sich in einen Mann verliebt. Das ist einfacher, als Adam im Nachhinein weiblich zu machen oder den Tanzlehrer in eine Tanzlehrerin zu verwandeln, die dann aus welchen Gründen auch immer führt – das wäre beides nicht mehr die Geschichte gewesen, die einfach raus wollte. Und das unterstreicht auch schon meine Meinung zu Homo-, Bi-, Trans- oder Asexualität: Sie sollte scheißegal sein. Ich möchte, dass Sexualität eine Nebensache ist.

Hast du bei all dem manchmal Angst, etwas falsch darzustellen? Ich stelle es mir sehr kompliziert vor, über einen blinden, bisexuellen Mann zu schreiben, wenn man nicht alle Kriterien selber erfüllt. Wie hast du da recherchiert?

Ich hatte extreme Angst, etwas falsch zu machen. In der Belletristik darf natürlich manches erfunden sein, aber ich stelle Hannover detailgetreu dar und zeige alles aus Adams Sicht. Da habe ich auch einige Fehler eingebaut. Zum Beispiel hat Adam im ersten Kapitel eine korpulente Frau angesprochen. Woher soll er wissen, dass sie korpulent ist, wenn er sie nicht berührt?

Die Recherchen habe ich dann schließlich im echten Leben gemacht. Über seine Erkrankung und die Art, wie er die Welt wahrnimmt, habe ich zunächst mit bekannten Sehbehinderten gesprochen. Dann ist da noch Carolin Summer zu erwähnen. Sie ist eine Autorenkollegin von mir und hat die gleiche Krankheit wie mein Protagonist. Daher hat sie als Alphaleserin das gesamte Buch auf Herz und Nieren geprüft.

Das finde ich absolut großartig! Ich finde es sehr wichtig, dass man das eigene Schreiben kritisch reflektiert und bei Fehlern nicht abblockt, sondern offen ist und versucht es besser umzusetzen. Ist Adam eigentlich von Geburt an blind?

Hui, danke für die Blumen! Kritik ist unendlich wichtig für mich, da ich auch in meinem allgemeinen Autorenleben außerhalb dieses einen Projekts gerade auf Kritik angewiesen bin.

Und nein. Adam ist gar nicht blind. Er hat Optikusatrophie. Als Kind hat sich das herausgestellt. Sein Sehnerv bildet sich zurück und er verliert immer mehr Sehkraft. Als blind bezeichnet man einen Sehbehinderten erst, wenn er nur noch 2 % oder weniger Restsehschärfe hat. Adam ist bei ca. 10 %, nimmt also noch verschwommen Lichtverhältnisse wahr. Das erklärt er in Hanover’s Blind recht charmant damit, dass es ihm nicht egal ist, ob in einem Raum das Licht an oder aus ist. Ausgesucht habe ich mir diese Krankheit, damit die Geschichte realistisch bleibt. Er hat eine Vorstellung von Längen und Abständen, von Räumen und Richtungen. Das ist unter anderem auf eine Vergangenheit mit funktionierenden Augen zurückzuführen.

In der Grundschule musste Adam schon mit einem Tafellesegerät arbeiten. Zum zehnten Geburtstag kam dann der Blindenstock. Ab da war er nicht mehr der Coole mit der Tafelkamera, sondern der Behinderte mit dem Stock. Gerade im Kindesalter ist so eine Erkrankung natürlich prägend, was Adams Motivation, seine Sehbehinderung zu verstecken, erst ins Rollen bringt. Denn in der Novelle will Adam nicht wie ein Behinderter behandelt werden. Leider ist er der Meinung, dass er zu behindert ist, um geliebt zu werden.

Zu behindert, um geliebt zu werden“, ist eine Aussage die ich beides, poetisch und furchtbar finde. Eine Erkrankung im Kindesalter kann sich, meiner Meinung und Erfahrung nach, aber auch positiv auswirken. Ich kenne einige Menschen, die schon früh beeinträchtigt waren und damit besser klarkommen, als die, die erst im Erwachsenenalter damit konfrontiert wurden.

Wie ich es beobachtet habe, stammt das daher, da Kinder noch nicht dieses Ich-bin-besser-als-du-weil-X-Gefühl haben, bzw. weniger Stereotypen und Ängste bezüglich Behinderungen haben. Ich bin Dank meinem Vater, der in der Krankenmedizin tätig war, mit Behinderungen um mich groß geworden und habe dementsprechend heute viel weniger Vorbehalte als Leute die ‚behütet‘ aufwuchsen.

Trotzdem erwische ich mich manchmal dabei, dass ich unsensible Dinge denke oder sogar sage. Passiert dir das auch? Wie gehst du damit um?

Tatsächlich habe ich auch das Problem. Ein Autorenkollege von mir hat sich mal derart die Beine gebrochen, dass er temporär im Rollstuhl saß. Er wurde teils behandelt, als käme er nicht alleine zurecht. Das finde ich furchtbar und absurd. So behandele ich keine anderen Menschen und ich bin immer auch gedanklich ‚auf Augenhöhe‘. Aber gerade bei Sehbehinderten habe ich oft Angst, sie kennenzulernen. Ich habe ein gewisses Hemmnis, das mir sagt, diese Leute wollen nicht angesprochen werden. Als würde jeder, der nicht der Norm entspricht, am liebsten unsichtbar sein. Da schließe ich vielleicht von mir auf andere. Insofern war Hanover’s Blind vielleicht auch ein Stück weit Selbsttherapie, ein Schritt in die richtige Richtung. Das rührt meiner Meinung nach hauptsächlich daher, dass ich nicht weiß, wie ich damit umgehen soll. Wann Leute offen sind, wann sie mit etwas humorvoll umgehen und wann man sie verletzen kann. Aber generell unsensible Dinge – die denke ich entweder nie oder immer. Ich schätze, da fehlt mir noch das feinfühlige Bewusstsein für meine Gedanken.

Was würdest du dir wünschen, wenn man dich nach einer ‚perfekten Zukunft‘ fragt, in der der Umgang mit Minderheiten ideal wäre?

Ich fände es toll, wenn es keine Minderheiten mehr gäbe, wenn es ein großes Ganzes gäbe. Aber das halte ich für utopisch. Es wird immer unsichtbare Grenzen geben, Scheu vor dem, was man nicht kennt und mehr oder weniger unfreiwillige Unsensibilität anderen gegenüber. Ich halte das so wie mit Ernährung, Müllvermeidung oder Solidarität: Jeder sollte irgendwo die Welt ein Stück weit besser machen. In keiner Kategorie bin ich perfekt oder maximal optimiert, wie man es auch nennen mag. Aber ich bin allen Menschen gegenüber offen und bemühe mich um ein waches Auge im Alltag. In einer realistischen perfekten Zukunft hat jeder wenigstens Rücksicht für seine Mitmenschen. Das würde ich mir wünschen und versuche, es durch meine eigene Lebensgestaltung umzusetzen.

Ich glaube ja auch nicht daran, dass man einfach davon ausgehen kann, dass wir alle gleich zu behandeln sind. Unsere Gesellschaft profitiert von Vielfalt und es wäre großartig, wenn Menschen dies so wahrnehmen würden. Dennoch sind Minderheiten noch immer Minderheiten und der Umgang sollte dem entsprechen. Wir haben eine furchtbare Vergangenheit im Umgang mit Sexualitäten (die nicht hetero sind), Behinderungen, Geschlechtern (die nicht männlich sind) und Hautfarben (die nicht weiß sind). Das darf man nicht einfach so ignorieren.

Ich würde mir wünschen, dass man alle Menschen als Menschen behandelt, diese Hintergründe jedoch nicht verdrängt. Es wäre, meiner Meinung nach, schlichtweg respektlos, einfach so zu tun, als hätten wir sie die letzten Jahrhunderte nicht so behandelt, wie wir es nun einmal getan haben.

Das wäre schön, ja. Aber da muss man unbedingt auf die Mittel und Wege achten. Ich halte beispielsweise nichts von reinen Frauenvereinigungen. Du siehst das anders, ich weiß, aber mir liegt es am Herzen, dass das Wort ‚Minderheit‘ irgendwann verschwindet. Ich würde gerne wissen, wie ich mit einem Behinderten umgehen soll. Aber den gibt es nicht – den Sprecher für alle Behinderten. So wie es auch keine Sprecherin aller Frauen oder Feministinnen gibt. Jeder hat unterschiedliche Meinungen und Hintergründe. Und ich glaube, genau da werden die Berührungsängste vorerst bestehen bleiben. Das ist sehr schade. Das Thema behandelt auch meine Novelle. Nur eben andersherum: Hier hat der Behinderte Ängste vor den Berührungsängsten anderer, die gar nicht existieren. Ich möchte ein Stück weit beleuchten, dass jeder Mensch eine Geschichte hat und dass die meisten von ihnen es wert sind, gehört zu werden.

Das ist ein gutes Schlusswort. Ich danke dir, für dieses Gespräch auf Augenhöhe.

Danke dir. Ein friedlicher Austausch über so wichtige Themen ist mir sehr wichtig!

Das Crowdfunding

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[Foto © Kia Kahawa]


Ihr könnt Kia und ihre Novelle noch bis zum 10.07.2018 unterstützen. Infos, Dankeschöns und den Trailer zum Buch, sowie die Möglichkeit mitzuhelfen findet ihr auf der Crowdfunding-Seite.

Der Trailer dort wurde von Micha Feuer eingesprochen und nachbearbeitet.

Hanover’s Blind wird voraussichtlich im September veröffentlicht, hier könnt ihr bereits jetzt in die Leseprobe reinschnuppern!

Update

Das Projekt wurde erfolgreich umgesetzt. Ihr könnt Hanover’s Blind hier kaufen.

Die Blogtour

Dieser Beitrag ist Teil einer Blogtour im Rahmen des Crowdfundings von Hanover’s Blind, es erscheinen in regelmäßigen Abständen Beiträge von anderen tollen BloggerInnen, die Kia und ihr Projekt unterstützen möchten.

  • Am 1.06 gab es ein Cover-Reveal. Das wunderschöne Cover hat Esther/LaKirana gestaltet.
  • Lisa, von Lisas Bücherleben, hat am 4.06 über den Protagonisten Adam geschrieben.
  • Emma vom Ge(h)schichten-Blog hat am 7.06 Kia zum Thema Sehbehinderung interviewt.

Über die nächsten Wochen folgen Beiträge von weiteren tollen Menschen. Für Updates schaut doch auf Kias Twitteraccount oder ihrer Webseite (beides oben verlinkt) vorbei.

  • Der nächsten Artikel stammt von Margret Kindermann und wird am 13.06 auf ihrem Blog erscheinen.

Beitragsbild © Kia Kahawa

Als Autor*in darf ich alles – Stimmt das?

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Als Autor*in darf ich alles – Stimmt das?


Tw: Zahreiche Minderheiten, Umgang mit Sexualitäten, politisch fragwürdige Sprache zur Darstellung des Problems


Disclaimer: In diesem Text wird über Minderheiten im Generellen, also auch den Umgang mit diversen Kulturen, Hautfarben, Behinderungen, Sexualitäten und Identitäten gesprochen. Ich selbst habe europäische Features, bin cis und weitestgehend ablebodied. Sollte also trotz meiner Recherche ein Fehler im Umgang mit einer Minderheit, von der ich nicht betroffen bin, auftauchen, bitte ich um Korrektur.


In diesem Beitrag soll es um Minderheiten in der Literatur gehen. Besser gesagt über Own-Voice-Literatur versus keine Own-Voice-Literatur und die Gründe, warum man darüber überhaupt so stark diskutieren kann.

Was darf man als Autor*in?

Allein von der Formulierung ausgehend, ist klar, dass man theoretisch alles darf. Klar, wer will einen schon aufhalten? Die Frage ist also eher, wie man als Autor*in mit gewissen Themen umgehen sollte.

Ein Teil dieser Kontroverse ist der Umgang mit Minderheiten. Wie sollte man als Autor*in mit Minderheiten in den eigenen Büchern umgehen, wenn man selber kein Teil dieser Minderheiten ist? Ein Buch, in dem alle weiß, jugendlich, gesund, cis hetero und im Extremfall männlich sind, wird früher oder später Kritik dafür ernten, dass es nicht inklusiv ist.

Man darf das natürlich trotzdem schreiben (und viele tun es auch), aber es ist klar, dass Leute sich die Frage stellen, wieso man keine Minderheiten einbaut.

Was ist nun aber mit Autor*innen, die aus der Sicht einer Minderheit schreiben, der sie selbst nicht angehören und dann von besagter Minderheit kritisiert wird? Widerspricht sich das nicht, mit der Bitte nach Inklusion?

Die zwei Lager

Die einen sagen, dass Phantastik, bzw. Literatur allgemein, nicht realistisch sein muss. Die kreative Freiheit erlaubt es einem, Dinge zu erfinden und drehen wie man möchte. Gerade Bücher über männlich-homosexuelle Romanzen verkaufen sich extrem gut. Es ergibt also Sinn, dass Autor*innen das schreiben.


Wer mehr über die Probleme von Gayromance und überhaupt Gay als Genre lesen möchte, kann dies in diesem Beitrag tun: Wenn Heteros über Homos schreiben.


Hinzu kommt, dass ein Verbot, nicht nur lächerlich ist, sondern für manche auch Zensur gleichkommt. Ein erwachsener Mensch kann Bücher schreiben und veröffentlichen, wie er/sie/nb möchte.

Das ist auch alles richtig. Es gibt jedoch ein Problem mit der Sichtweise, dass man uneingeschränkt einfach über alles und jeden so schreiben darf, wie man möchte.

Denn was viele vergessen ist, dass die Minderheit, über die man schreibt, real existiert und das Geschriebene lesen kann. Es ist für diese Menschen offensichtlich verwirrend, wenn sie ein Buch über ihre Kultur oder Sexualität lesen und dann feststellen, dass absolut nichts davon stimmt.

Sex im Dunkeln und ein roter Hut

Stellt euch vor, man schreibt ein Buch über Deutsche und sagt darin, dass Deutsche nur Sex im Dunkeln haben und Samstags rote Hüte tragen. Da würden sich alle deutschen Leser fragen, woher das kommt. Wenn sie das dann kritisieren kommt die Antwort „ich darf schreiben, was ich will.“

Damit kommt man irgendwann klar und vergisst es nach einiger Zeit. Jetzt stellt ihr aber fest, dass der/die/nb Autor*in aus einem Land kommt, in dem 90 % der Bücher über Deutsche diese Informationen beinhalten.

Das geht so weit, dass ihr nicht mehr reisen könnt, ohne auf euren roten Hut angesprochen zu werden. Leute kommen auf euch zu und machen Witze, über den Sex, den ihr habt. Ohne euch wirklich zu kennen. Denn die Informationen, die in den Büchern vermittelt werden, sind so normalisiert, dass es als okay angesehen wird, jeden Deutschen auf private Details anzusprechen.

Was zunächst noch unwichtig und irgendwie witzig war, wird jetzt nervig und immer mehr zu einem Problem.

Generalisierung und Grenzen

So geht es Minderheiten. Manche ‚Fakten‘ werden generalisiert. Es haben sicher viele Deutsche nur Sex im Dunkeln, aber lange nicht alle. Zumal nicht nur Deutsche Sex im Dunkeln haben. Manche ‚Fakten‘ sind kompletter Blödsinn, wie das mit dem roten Hut.

Direkte Beispiele hierfür ist Scissoring. Irgendwie aus der Porno-Szene übernommen, nehmen viele Menschen an, dass nicht-heterosexuelle Frauen das machen. Was aber nicht der Fall ist.

Ich wurde mal von einer wildfremden Frau gefragt, wie ich trotz langer Fingernägel mit meiner damaligen Partnerin Sex habe. Sie hat irgendwo gelesen, dass alle Frauen in einer nicht-heterosexuellen Partnerschaft kurze Nägel haben müssen und war neugierig. Es schien normal für sie, mich über ein extrem privates Detail zu befragen, weil sie mich nicht als Person, sondern als Vertreter meiner Minderheit gesehen hat.


Ich nutze an dieser Stelle nur Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung, weil ich mich nicht wohlfühlen würde, über Stereotypen anderer Minderheiten zu schreiben. Etwas, was eine gute Freundin von mir, die aus Südafrika ist, furchtbar findet, ist der ‚alle schwarzen Frauen haben dieselbe Art von Haarstruktur‘-Stereotyp. Sie hat mir dann die Tabelle gezeigt, die von 1 zu 4C reichte und ich verstand, was sie meinte. (Link zum Verständnis


Die Aussage „ich darf alles, was ich möchte“ kommt mit den Privilegien, die man als Autor*in, der/die keiner Minderheit angehört, hat. Man darf über Minderheiten schreiben, wie man möchte, weil man von den Folgen nicht betroffen ist. Es kann einem egal sein, wenn Falschinformationen und Stereotypen die Runde machen.

Dann lieber gar keine Minderheiten?

Wie baut man also Minderheiten ein? Denn wie oben schon angesprochen, geht es auch nicht ohne. Schreibt man aus deren Sicht oder lässt man sie als Randfiguren stehen?

Wenn man sie als Nebenfiguren schreibt, gibt es oft die Gefahr, dass man sie als ewigen Sidekick oder Lückenfüller einsetzt. Ein guter Trick um sich davor zu schützen ist: gebt ihnen Charakter. Denn oft wird sich über Minderheiten-Sidekicks beschwert, die austauschbar sind.

Wenn ihr unbedingt aus der Sicht einer Minderheit schreiben wollt, ist eine Möglichkeit, das Hauptthema nicht um ein typisches Problem der Minderheit aufzubauen. Schreibt über eine lesbische Frau, wie ihr über eine heterosexuelle Frau schreiben würdet. Recherchiert, aber fokussiert euch nicht nur auf das Outing oder den Hass.

Recherche ist alles

Sprecht mit Leuten. Sucht euch Testleser, die euch auf Fehler hinweisen. Recherchiert und baut eure Figuren realistisch auf, auch wenn ihr phantastisch schreibt. Kämpft mit ihnen in epischen Schlachten, mietet eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Frankfurt (ein Kampf für sich) oder beschreibt ihren Tag im Finanzamt. Sprecht ihre Herkunft/Sexualität/etc an, macht sie aber nicht zum Zentrum eurer Geschichte.

Einen Drachen kann man sich komplett neu erfinden, weil es keine Drachen gibt. Ein schwuler Mann ist kein Drache. Die gibt es wirklich.

So gut ihr auch recherchiert und schreibt, ihr werdet den Problemen nicht gerecht. Einfach, weil ihr es nicht lebt. Ein gutes Beispiel ist Simon vs the homosapiens agenda. Die Autorin hat sehr gut recherchiert und trotzdem Blödsinn zum Outing geschrieben.

Own-Voice-Büchern nicht die Bühne stehlen

Dazu kommt, dass man über ein Thema schreibt, über welches tatsächlich Betroffene bereits geschrieben haben.

Own-Voice-Literatur, also Bücher von Minderheiten über sich selbst, werden auf dem Buchmarkt oft ignoriert, weil viele Autor*innen Bücher über das Thema schreiben, ohne betroffen zu sein. Sie gehen unter.

Von Außenstehenden geschriebene Bücher sind außerdem angenehmer zu lesen, da man sich in seinen Stereotypen bestätigt fühlt und als Leser*in nicht in Gefahr läuft, durch Own-Voice auf eigene Fehler hingewiesen zu werden.

Zurück zu Simon vs the homosapiens agenda – Leute lesen dieses Buch über ein Outing lieber, als ein realistisches Buch, in dem tatsächlich beschrieben wird, was passiert. Indem der Protagonist trotzdem Angst hat. Obwohl seine Familie ja eigentlich liberal ist. Und sich immer und immer wieder outen muss, statt einmal. Und sich regelmäßig in den Schlaf weint, weil er genau weiß, dass die eigene Großmutter einen hassen wird und der Junge, auf den er steht, ihn niemals lieben wird, weil er eine Freundin hat. Denn so ist das. Nicht witzig, nicht ‚eigentlich egal, ob es rauskommt‘ und – leider – oft ohne das Happy End.

Own-Voice ist wichtig

Dabei ist es wichtig, dass wir solche Bücher populär machen. Damit Leute sehen, was sie Menschen mit ihren ‚harmlosen‘ Kommentaren antun und verstehen, wieso so viele Jugendliche sich umbringen. Aber wir hypen lieber das unrealistische Buch einer Außenstehenden, um der unangenehmen Wahrheit aus dem Weg zu gehen.

Ich möchte, dass Autor*innen verstehen, dass sie eine Industrie nutzen, in der eine Minderheit auf ein Cover geklatscht wird, um Geld zu machen. Man wird ausgenutzt und dann auch noch durch den Inhalt verletzt. Jemand macht Geld, weil es einen Markt für homosexuelle Literatur gibt, in der sich viele nicht wirklich um Homosexualität scheren. Sie geilen sich nur dran auf, dass da zwei Kerle auf dem Cover sind. Während reale Homosexuelle jeden Tag mit diesen Stereotypen konfrontiert werden und ihr Leben lang darunter leiden.

Die Zielgruppe spielt hier dementsprechend ebenfalls mit rein. Leute, die leichte Literatur zum Thema wollen, die gerne unrealistische Gayromance lesen, weil sie das anturnt, oder die über die Schokoladenkommentare der schwarzen Protagonistin lachen wollen. Für diese Leute ist dieser Beitrag ebenso, wie für die Autor*innen. Ihr dürft lesen, was ihr wollt. Aber hinterfragt doch bitte mal, was ihr damit fördert. Und wem ihr damit, für eure Freude, wehtut.

Fazit

Am Ende des Tages (bzw. des Artikels) kann man niemandem den Mund verbieten. Man kann jedoch eine Bitte aussprechen. Dafür, dass jeder/jede Autor*in einen Moment innehält und sich frage, wie er/sie/nb sich fühlen würde, wenn man über sie so schreiben würde. Wenn er/sie/nb etwas kritisieren würde, was einfach nicht stimmt und dafür angegriffen werden würde.

Generell ist es wichtig, dass Minderheiten in Büchern Platz finden und ihre Geschichten auch von nicht-betroffenen Menschen erzählt werden. Own-Voice ist wichtig, davon gibt es aber nicht genug, um richtige Repräsentation der Gruppierungen zu gewährleisten.

Schreibt also über Menschen, die einer Minderheit angehören. Aber schreibt informiert, für ein diverses Publikum und aus einer Sicht, die weder exotisierend noch fetischisierend ist.

Links zum Thema

Rezension auf Stürmische Seiten zu Laura Kneidls „Someone New“ 

Wenn Heteros über Homos schreiben

Wenn Heteros über Homos schreiben

Wenn Heteros über Homos schreiben


Tw: Homosexualität, Fetischisierung, (sexuelle) Gewalt


Disclaimer: Nichts in diesem Artikel richtet sich gegen eine feste Gruppe oder eine Einzelperson. Dieser Artikel wurde erstmals im Februar 2018 veröffentlicht und Dezember 2018 überarbeitet. Aussagen, Erfahrungen und Neuerungen sind dieser Überarbeitung geschuldet.


Gay als Kassenschlager

In den letzten Monaten finden sich immer mehr Menschen in meinem literarischen Umfeld, die ihre Bücher unter dem „Genre“ Gay bewerben.

Zunächst wirkt das wie etwas Gutes. Es zeigt, dass Menschen sich mit dem Thema auseinandersetzen und, auch wenn sie selbst nicht „betroffen“ sind, über solche Beziehungen schreiben. Damit finden sich logischerweise mehr Geschichten mit homosexuellen Beziehungen auf dem Buchmarkt, was die allgemeine Akzeptanz erhöht.

Zumindest theoretisch. Leider scheitert eben diese Erhöhung der Akzeptanz dann an der Umsetzung in den Büchern:

  • Einziges Thema sind homosexuelle Männer. Es dreht sich nur um diese eine Minderheit, was die Absicht eine allgemeine Akzeptanz zu erhöhen untergräbt. LGBTQA+ bietet so viel mehr und alle diese Menschen suchen nach Büchern in denen sie auftauchen.
  • Die Zielgruppe wird offen kommuniziert und besteht aus einem festen Kreis an Fans. Das Ziel ist nicht Akzeptanz, sondern Geld.
  • Die Autor*innen sind zu einem disproportional-hohen Anteil weiblich. Recherche kann dies ausgleichen, tut es aber oft nicht.
  • Die Themenwahl ist grenzwertig. Zwischen Gewalt, schlechter Historisierung und zu vielen „eigentlich bin ich ja nicht schwul aber“-Geschichten werden schwule Männer wie Zootiere vorgeführt und durch einen eigentlich uninteressanten Plot geführt mit dem Versprechen, dass es am Ende eine heteronormative, unrealistische Sexszene gibt.

Aber warum schreibt man das dann?

Fragt man die Autor*innen, warum sie Gayromance/Gayfiction/etc schreiben, so erhält man sehr bezeichnende Antworten:


„Ich schreibe das, weil ich sonst keine Beziehungen beschreiben kann.“


„Ich finde Homosexualität einfach cool!“


„Schwule sind süß.“


Aussagen wie diese mögen auf den ersten Blick nicht sonderlich toxisch aussehen. Aber schauen wir sie uns genauer an, so erkennen wir die homophoben Abgründe dahinter.

Die Verniedlichung einer Sexualität bringt mit sich, dass man sie nicht als ebenbürtig und wichtig sieht. Man kann mit ihr machen, was man möchte. Jeder, den man gerne so sehen würde, kann so beschrieben werden. Beziehungen zwischen zwei Männern kann man ohne Recherche beschreiben, weil es ja egal ist, ob sie realistisch sind.


Ausschnitt aus dem Originalartikel:

Das Problem mit nur „homo“ und nur männlich ist relativ tief verwurzelt und kommt aus der Fanfictionszene. Es gibt endlos viele Jugendliche, die über Schauspieler*innen und Charaktere fantasieren, diese „shippen“ und in ihren Geschichten in homosexuelle Beziehungen stecken. So wie viele Männer gerne Lesbenpornos schauen, leben gerade junge Frauen ihre eigenen Fantasien so aus. Und das ist echt nicht gut. Denn das ist keine Bewunderung mehr. Das ist Fetisch.

Egal welche Sexualität man so behandelt, sie wird zum Fetisch. Der Willen der Menschen, sowie ihre Identität ist egal. Hauptsache am Ende küssen sich die, die man für schwul erklärt hat. Und dann sitzt man kichernd vor dem Laptop und freut sich. Sexualitäten sind nichts, was man wie ein Spiel behandeln sollte. Und sie sind nicht dafür da, dass jemand heterosexuelles sich daran erfreut. Sie sind kein Spielzeug für Slashfiction, keine erotisches Outlet und keine Pornovorlage.

An dieser Stelle könnte ich über Privilegien sprechen oder die Tatsache ausbauen, dass historisch gesehen, Menschen, die nicht heterosexuell waren, tatsächlich als Spiel genutzt wurden. Diese Faszination ist bei Weitem nichts Neues. Stattdessen verweise ich auf diesen englischen Text, bei dem das Phänomen auf Tumblr bezogen erklärt wird.

Ich möchte nochmal klarstellen, dass nichts verwerflich daran ist, Charaktere miteinander zu shippen. Das ist Privatsache und man kann das halten, wie man möchte. Es ist das öffentliche Niederschreiben von sexuellen Akten und Beziehungen zur Freude von Personen außerhalb dieser Sexualität, was mich stört. Es fühlt sich an wie ein Käfig. Alle starren von außen auf einen wie in einem Zoo. Man wird ausgestellt für die Unterhaltung anderer. Es hat absolut nichts mit Bewunderung zu tun, wenn man nur deshalb im Gay-Genre schreibt. Erwachsene AutorInnen, die damit ihr Geld verdienen, bereichern sich an Stereotypen und Fetisch.


Realismus als Grundlage?

Genau wie 50 Shades of Grey keinen realistischen BDSM darstellt, so sind auch die Darstellungen von Beziehungen und Sexualpraktiken im Gay-Genre fragwürdig recherchiert.

Sie werden überzogen und als besonders dargestellt, obwohl sie es eigentlich nicht sind. Leser*innen sehen das und beziehen das auf die Realität. Und dann sind wir beim Kernproblem angekommen: Was darf man als Autor*in und was nicht? Wo hört künstlerische Freiheit auf?


Auf die Probleme, die bei kompletter, künstlerischer Freiheit im Umgang mit marginalisierten Gruppen entstehen, gehe ich in diesem Artikel gesondert ein: Als Autor*in darf ich alles – Stimmt das?


Ist es legitim sich als AutorIn auf künstlerische Freiheit zu beziehen, wenn man damit aktiv Schaden bei einer eh schon marginalisierten Gruppe verursacht? So wie übermäßig fetischisierte Pornografie misogyne und homophobe Werte vermittelt, so sind auch die Bücher des Gay-Genres oft problematisch.

Das Gay im Schafspelz

Aber anders als Pornografie, die offen damit umgeht, dass sie problematische Inhalte wie Misogynie, sexuelle Gewalt oder Bestialität enthält, verstecken sich die Bücher des Gay-Genres. Sie maskieren sich als romantische Romane und werden auf Buchmessen gezeigt, gefeiert und verkauft.

Ich möchte nicht sagen, dass alle Bücher aus diesem „Genre“ so sind. Im Gegenteil. Viele Autor*innen, die ich persönlich kenne, geben sich sehr viel Mühe, neben dem Gay einen richtigen Plot zu kreieren und nicht nur unrealistischen Sex und Stereotypen abzubilden. Aber wenn man durch eine Messe läuft und eine ganze Sektion dort voller Bücher ist, die sich nicht mal die Mühe machen zu googeln, wie das jetzt eigentlich beim Sex zwischen zwei Männern abläuft, dann verliert man den Glauben in das Genre.

Die Fetischisierung einer ganzen Sexualität

Wenn jemand so über Homosexuelle schreibt, sehen andere sie nicht als Menschen. Auf eine gewisse Art und Weise sehen auch die Autor*innen sie nicht als Menschen. Sie werden zum reinen Objekt heteronormativer Neugierde auf das Fremde.

Eine Sexualität wird zum Fetisch für heterosexuelle Frauen, die ihre Sexualität zu weilen als „ich stehe auf Schwule(n Sex)“ beschreiben. Jahrhundertelang war Homosexualität eine Krankheit und wurde nicht ernst genommen. Jetzt stellen sich Autor*innen, die die Sexualität ebenfalls nicht ernst nehmen und sich nur daran bereichern wollen, als offene Aktivist*innen für Fairness dar.

Diese Bücher verkaufen sich und werden vervielfältigt und prägen die Sicht von Menschen auf Homosexualität. In vielen Geschichten sind die einzigen Merkmale einer männlichen Figur sein Sixpack und seine Sexualität. Stereotype werden von Menschen verbreitet, die sich selbst nie wegen ihrer Sexualität verteidigen mussten.


Ausschnitt aus dem Originalartikel:

Wenn die einzigen Merkmale einer Figur seine Sexualität und Probleme, die Eng damit verknüpft sind, sind, dann ist das furchtbar toxisch. Autor*innen in diesem „Genre“ verbreiten Stereotypen und das vermutlich, ohne es zu wissen. Weil sie sich nie Gedanken über so etwas machen mussten. Weil ihre Sexualität nicht in Büchern als süß oder interessant oder exotisch beschrieben wird. Deren Sexualität wird nicht auf drei Merkmale reduziert, die in jedem Buch gleich sind. Und nicht jedes Buch mit heterosexuellen Beziehungen dreht sich um die Selbsterkenntnis dieser Sexualität oder um Probleme die nur auftreten, weil man hetero ist.

Zumal sie diese Probleme einfach nicht verstehen können. Ebenso, wie sie den Alltag einer homosexuellen Person, die mit Stereotypen und Verurteilungen zu kämpfen hat, nicht verstehen können. Ohne die richtige Recherche bringen selbst Romane, die Gutes tun wollen, nichts weiter als Klischees und Fetisch mit sich.

Outings enden beispielsweise nie. Sie dauern das ganze Leben lang an. Selbst bei Menschen, denen man theoretisch vertraut, hat man Angst vor Ablehnung. Es ist nicht alles für immer fröhlich und sonnenbeschienen, nur weil man sich einmal geoutet hat und alle es okay finden. Leben mit einer diversen Sexualität ist konstanter Stress.

Ein anderes Beispiel ist Sex. Sexpraktiken, wie man sie aus Fanfictions und schlechten Gayromance-Geschichten kennt, sind großflächiger Unsinn. Es wird so getan, als würden alle Menschen einer Sexualität das Gleiche gut finden. Das ist, als würde man allen Hetero-Pärchen immer nur eine Stellung zuschreiben und alles andere, was Sex ausmacht, ignorieren. Und dann ist die eine beschriebene Stellung nicht mal realistisch, sondern grenzwertig, weil sie ohne beidseitigen Konsens und einfachste Biologiekenntnisse auskommt.


Fazit

Die Beziehung, der Sex und das Innenleben der Figuren in Gay-Romanen ist für heterosexuelle Leser*innen optimiert. Das hat nichts mit offener, diverser Literatur zu tun und sollte auch nicht als solche zelebriert werden.

Die LGBTQA+ Community wird von vielen Seiten bedroht. Es ist in manchen Teilen der Welt verboten nicht cis und hetero zu sein. Es gibt jedes Jahr Angriffe und Schießereien, die als Hatecrime gegen die Community vorgehen wollen. Ebenso gibt es noch Konversionstherapie und sogar Exorzismen gegen alles, was nicht dem heteronormativen „Standard“ entspricht. Gerade Männer aus der Community sind häufiger suizidgefährdet, nicht zuletzt, weil sie den Stereotypen, die toxische Maskulinität von Homosexuellen erwartet, nicht entsprechen wollen oder können.

In einer Welt, in der es diese Dinge noch gibt, Homosexualität als „süß“ zu bezeichnen, zeugt von einer massiven Naivität. Und Naivität ist keine Ausrede dafür, toxische Geschichten zu schreiben, die es Menschen die eh schon genug zu kämpfen haben, noch schwerer machen, akzeptiert zu werden.

Und falls jetzt noch jemand daran zweifelt, ob es den angesprochenen Autor*innen nicht vielleicht doch um Aktivismus und Diversität geht: als ich diesen Artikel (in einer etwas persönlicheren Form) im Februar erstmals veröffentlichte, wurde in einer großen Facebookgruppe für Gayromance über mich und den Artikel diskutiert. Dabei schrieb eine Nutzerin etwas, was meine Kritikpunkte sehr deutlich illustriert:

„Die scheiß Kampflesbe soll sich nicht so anstellen. Wenn Schwuchteln sich an meinen Büchern stören, sollen se mir das selber sagen.“


Ein positiver Ausblick

Es gibt Romane, die divers sind und dabei keine Klischees bedienen. Die diverse Sexualitäten respektvoll darstellen. Deutsche AutorInnen haben, gerade wenn es um homosexuelle Männer geht, einiges aufzuholen. Denn viele dieser positiven Beispiele (zumindest der, die ich gefunden habe) kommen aus den USA, Australien oder Frankreich.

Im Bereich Gayromance habe ich tatsächlich bisher niemanden gefunden, dessen/deren Buch 100%ig zu diesem „Genre“ zählt, bzw. der/die/nb sich freiwillig als Autor*in in diesem Bereich bezeichnen würde. Hier also einige Tipps für die Umsetzung von Queerness, wie sie eigentlich sein sollte:

Weitere Links zum Thema

Fetischisierung von Homosexuellen auf Tumblr

Fetischisierung von heterosexuellen Charakteren als homosexuell

Fetischisierung von Lesben in den Medien

Ernste Probleme mit der Fetischisierung von Bi- und Homosexuellen Frauen

Ein Hot-Take von Autorinnenkollegin Anja Stephan