Reichweitenverantwortung im Medienzeitalter
Das Gronkh-Debakel
Tw: Sexismus, Homophobie, sexualisierte Gewalt, Kindesmissbrauch (Nennung), Rassismus (Nennung)
Disclaimer: Im Text wird an manchen Stellen bewusst nicht gegendert, weil sich Abschnitte auf cis Männer beziehen. Trans Männer sind nicht angesprochen. [Einfügung: Dies soll nicht heißen, dass trans Männer keine Männer sind, sondern dass ich mich bewusst nur auf cis Männer beziehe. Ich entschuldige mich für negative Reaktionen, die diese Formulierung hervorrief. Ich lerne selbst noch und schriftlich festhalten, wie genau ich dies meine, ist für mich (noch) schwierig. Zudem möchte ich mich entschuldigen, dass ich im Text häufig davon ausgehe, dass es sich bei Youtubern um cis Menschen handelt. Dies werde ich in Zukunft nicht mehr tun. Den Text lasse ich so stehen, da ich meine Fehler nicht einfach aus dem Internet löschen will.] Dies wird, so gut es geht, markiert. Dieser Disclaimer dient dazu, es allgemein deutlich zu machen.
Youtuber*innen zeigen sich oft gerne als Freund*innen ihrer Zuschauer*innen. Als Kumpel, die einen online unterhalten. Dabei unterschlagen sie die Macht, die mit Millionen Abonnent*innen kommt. Youtuber*innen sind ‚Stars‘ und Vorbilder mit mehr Einflussfaktor, als wir es von Schauspieler*innen, Sänger*innen und anderen Berühmtheiten bislang kennen. Weil sie nicht nur das Poster über dem Bett sind, sondern aktiv mit tausenden von Followern kommunizieren können. Es herrscht ein Austausch, der nicht nur ihre Reichweite erhöht, sondern auch die Treue ihrer Fans. Oft gibt es das Bild des*der bescheidenen Youtuber*ins, der*die sagt, dass das alles ja gar nicht so groß und der eigene Einfluss nicht so wichtig sei. Doch Youtuber*innen haben eine menge Einfluss, besonders auf junge Menschen, den sie leider nicht immer gut kontrollieren und nutzen.
Der folgende Text untersucht die Pflicht zur Reichweitenverantwortung und geht dabei besonders auf die deutsche Youtubeszene ein, die sich 2019 bereits mehrere Schnitzer erlaubt hat. Angesprochen werden struktureller Antifeminismus, das generelle Kritikproblem auf Youtube und eine spezifische Situation, die im März 2019 die Situation für problematische Youtuber*innen auf Twitter veränderte.
Reichweitenverantwortung: Was ist damit gemeint?
Unter Reichweitenverantwortung versteht man das reflektierte Verhalten auf sozialen Medien im Hinblick auf die eigenen Followerzahlen. Damit ist gemeint, dass man als bekannter Account auf Twitter, Facebook, Youtube, Instagram, etc. eine Reichweite hat, die größer ist als die anderer Menschen. Kritisiert man nun, macht sich über jemanden lustig oder kommentiert/zeigt aus sonstigen negativen Gründen den Account einer Person mit wesentlich weniger Followern ((B)PoCs, Frauen/Feminist*innen, Menschen die offen LGBTQA+ sind und weitere Minderheiten sind doppelt betroffen), so liefert man diese der eigenen Followerschaft aus. Die eigenen Follower sind oft zum Großteil aus der eigenen Demografie (im Falle vieler cis männlichen, weißen Youtubern sind sie oft ebenfalls cis männlich und weiß) und stimmen dem größeren Account zu, da sie ähnliche Hintergründe haben und/oder Fans sind, die aus Prinzip zustimmen. Es wird ein Machtverhältnis geschaffen, in dem die Person mit weniger Followern nur verlieren kann. Ganz egal, ob die Kritikpunkte relevant sind oder nicht.
Das ungleiche Verhältnis sorgt außerdem dafür, dass man als Machthalter*in nicht wirklich die Kritik annehmen und reflektieren muss. Problematische Personen nutzen ihre Followermacht aus, um Kritiker*innen zu dogpilen. Unter Dogpiling versteht man das bombardieren einer Person mit negativen Kommentaren, Drohungen, etc., um sie von ihrem Standpunkt abzubringen oder sie dazu zu bringen, ihre Aussagen zu löschen. Die Kritik verschwindet, man muss sich nicht damit auseinandersetzten und die eigenen Follower feiern einen.
„Aber ich wurde ja zuerst angegriffen, darf ich nun nichts mehr sagen?“ und „Aber es gibt auf der anderen Seite doch auch Leute, die mich beleidigen!“
Reichweitenverantwortung betreiben heißt nicht, dass man als großer Account nichts Kritisches mehr unter kleinere Accounts kommentieren oder diese seinen Follower*innen zeigen kann. Es geht vielmehr darum, dass man versteht, was man damit auslöst. Besonders kleine, feministische Accounts wurden dieses Jahr vermehrt zum Angriffsziel großer Youtuber auf Twitter, die kritische Aussagen per kommentiertem Retweet an ihre Followerschaft schickten und dann behaupteten, sie können ja nichts, für die Drohungen und widerlichen Kommentare, die die Feminis*innen als Folge erhalten. Auch die Quantität wurde zum Thema, als der Youtuber ‚Rezo‘ auf einen von ihm ausgelösten Hasssturm gegen eine Twitterin drei Hassnachrichten gegen ihn als Argument nannte, dass die hunderte Kommentare unter dem Tweet gegen ihn gerechtfertigt seien. In großen online Communities finden sich immer Menschen, die bereit sind Grenzen zu überschreiben und Hass zu verbreiten. Dessen muss man sich als Onlinepersönlichkeit bewusst sein. Das Argument „ich kann die nicht kontrollieren“ ist absoluter Unsinn – man kann sehr wohl steuern, wer einen gut findet und wie diese Leute reagieren, wenn man jemanden kritisiert oder ihr Idol kritisiert wird.
Reichweitenverantwortung ist zum Beispiel:
- offen sagen, dass man das Dogpiling nicht okay findet.
- kleine Accounts, die einen kritisieren, nicht einfach so an die Followerschaft auszuliefern, sondern sich alternative Lösungsmöglichkeiten zu überlegen (z.B. eine DM schicken; kommentieren, statt mit Retweet kommentieren; etc.).
- Menschen aus der eigenen Community zurückpfeifen, wenn sie jemanden angreifen.
- Sich klar und deutlich gegen sexistische, rassistische, antisemitische und ableistische Beleidigungen aussprechen – auch wenn das heißt, dass man damit eigene Follower, die sich problematisch verhalten, kritisieren muss. Ein „keine Nazis!“-Tweet alle vier Wochen reicht nicht, weil es eben nicht nur Nazis sind, sondern reguläre Follower. Das sind Menschen, die sonst Herzchen in Chats senden. Auch liebe Follower von einem werden problematisch, wenn ihr Idol angegriffen wird. Das geschieht im Namen der Onlinepersönlichkeit, das sind keine 1-2 schwarzen Schafe.
- Kritik gegen sich reflektieren, statt sie an die eigenen Follower zu senden, die dem offensichtlich widersprechen, weil sie eben treue Fans sind. Kritik ist nicht immer ein Angriff, den man abwehren muss. Wenn die eigenen Follower jede kritische Stimme stumm schalten, entwickelt man sich als Mensch nicht weiter.
Feminismus als Feindbild: Youtuber auf Twitter
Bevor es gezielt um das titelgebende ‚Gronkh-Debakel‘ geht, noch einige Wörter zu anderen Vorkommnissen dieses Jahr. Ein großer Teil des problematischen Verhaltens vieler großer (Youtuber-)Accounts auf Twitter ist, dass sie sich als Zentrist*innen stilisieren. Sprich sich darstellen, als wären sie politisch in der (linken) Mitte. Rechts geht gar nichts, wirklich links ist zu krass. Youtuber wie Viktor Roth (IBlali), Erik Range (Gronkh) und viele mehr (fast alle davon übrigens cis männlich) sind dafür bekannt, dass sie ’nice guys‘ sind. Also politisch gegen Nazis und schon irgendwie links, aber halt nicht im Sinne von ‚SJW‘, Feminist*innen und ‚leftist‘. Dabei ist die Message die gleiche, das Label fehlt nur.
Viktor Roth stand dabei Anfang des Jahres mehrfach in einem merkwürdigen Licht dar, da er feministische Accounts (oft mit wenigen hundert Followern im Vergleich zu seinen 1,5 Millionen (Stand Oktober 2019)) kritisierte, mit Kommentar retweetete und sich dann aus der Affäre zog, als die kleinen Accounts mit Hass und (teilweise ekelhaft expliziten) Drohungen überschüttet wurden. Dies geschah mehrfach und führte dazu, dass sich einige Accounts temporär deaktivierten, weil sie die Kommentare nicht mehr ertrugen. Zwischen diesen ‚Outcalls‘ gegen Feminist*innen und dem offen herablassenden Ton gegenüber Feminismus an sich, twitterte der Youtuber jedoch feministische Tweets, die genau den Inhalt hatten, für den er Feminst*innen angriff. Er stellte sich als guter, linker Typ dar, dem Feminismus einfach ‚zu krass‘ ist. Dabei ist Feminismus genau das, was er in seinen Tweets benannte.
Er nahm die feministischen Inhalte und verbreitete sie als ’nicht feministisch, sondern normal eben‘, was an seine Follower die Nachricht schickte: Ich bin ein guter, die bösen Feminist*innen hassen Männer und sind radikal. Er denunzierte Feminismus als etwas Schlechtes und eignete sich gleichsam feministische Inhalte an. Das dies problematisch (und generell unsinnig) ist, leuchtete ihm nicht ein.
Feminismus und politische Korrektheit als Feindbild trifft man bei vielen ‚good guys‘, wie eben IBlali und Gronkh (der in seinen Streams oft Dinge sagt, die man als feministisch einordnen könnte, aber dann geschmacklose Witze über Feminismus und politische Korrektheit macht), aber auch viele cis Frauen, die sich als ‚gechillt‘ darstellen und als Gegenbild zu den ‚hysterischen‘ Feminist*innen auftreten. Das kann man nicht alles auf Unwissenheit schieben – das hat durchaus System. Denn wenn man sich generell politisch Mittig einordnet, holt man mehr Follower ab, auch die, die sich eher in die rechte Ecke einordnen. Man hält sich außerdem einen Weg frei, um politisch inkorrekte Witze zu machen, die oft Frauen, Opfer sexualisierter Gewalt, politische Minderheiten, (B)PoCs und die LGBTQA+ Community treffen.
Das ‚Gronkh-Debakel‘
Und damit sind wir beim Gronkh-Debakel. Zunächst eine Zusammenfassung davon, was passiert ist. Die Situation wird im Detail aufgezeichnet, um die graduelle Eskalation und das Handeln aller Akteur*innen im Vergleich zu zeigen.
[Die folgenden Informationen sind mit dem betreffenden Account abgeklärt, Tweets dürfen zitiert werden.]
Was passiert ist
Ein kleiner feministischer Twitteraccount mit dem @ NeueSappho veröffentlichte am 12. März 2019 eine Reihe an Tweets, die sich auf Rocketbeans-Teammitglied Etienne Gardé bezogen, der sich am selben Tag auf Twitter über Kindesmissbrauch lustig machte und mit Ankündigung provokante Tweets schrieb:
Weiblicher Twitteraccount: Gamer sind TrashGamer: Gar nicht!RBTV: *twittern*Gronkh: *Vergewaltigungswitz*Steam-Community: Vergewaltigung = MeinungsfreiheitGamer:Gamer:Gamer: Gar nicht du Hure
Dazu schrieb sie: „Wollt ihr was witziges hören: Ich habe große (rechte) Gamer-Bubble Menschen wie Corrupty vorsorglich blockiert, damit mir nicht wieder jemand eine DrüKo macht und mein Twitter für Tage vor lauter Hate unnutzbar wird. Fun oder?“
Die Tweets wurde mehrfach geteilt und erreichten bald darauf die Gronkh-Community, die sich dafür interessierte, was denn mit dem „Vergewaltigungswitz“ gemeint sei. Einige Fragten nach, andere, die klare Mehrheit, begannen die Twitterin zu beleidigen und den Youtuber zu verteidigen. Dieser wurde auf die wachsende Kontroverse aufmerksam, wollte sich über den Tweet erkundigen und entdeckte, dass er blockiert war. Wie im hier zitierten Thread gesagt wird, hatte die Twitterin ihn und weitere Gamingaccounts vorsorglich blockiert, um einem Shitstorm durch die Follower der Accounts vorzubeugen. Etwas, was viele kleine Accounts machten, nachdem IBlali kurz zuvor mehrere Accounts an seine Followerschaft auslieferte und diese von Hass erdrückt wurden.
Da Erik Range (Gronkh) dies jedoch nicht sehen konnte und es auch nach Erklärungsversuchen von anderen feministischen Accounts nicht begriff, twitterte er auf Nachfrage eines Followers, ob etwas an den Anschuldigungen dran sei:
Nö, da war auch nix, aber die Furie hat mich sowieso direkt nach der Behauptung blockiert, damit ich’s auch ja nicht sehen kann. 1 nicer Move, da weiß man gleich, wen man vor sich hat.
Die Twitterin hingegen verfolgte die Diskussion zwischen Range und einem feministischen Twitteraccount, in der er sich verständlich zeigte und eigentlich nur wissen wollte, was denn nun los sei, und veröffentlichte einen weiteren Thread, der hier nur zu Teilen zitiert wird:
Da er gestern sehr höflich zu einer Freundin auf Twitter war, habe ich mich dazu entschlossen, das mit dem Vergewaltigungswitzen bei Gronkh näher zu beleuchten.
[@Gronkh, ich habe dich entblockiert. Der Block war Selbstschutz, da ich Angst hatte du zitierst das und schickst deine 1,2 Millionen Follows gegen mich. Wenn du mich kritisieren möchtest sind meine DMs offen, ich bitte dich diesen Weg zu gehen, da mein Acc sonst überrannt wird]
Das Spiel The Forest wurde lange von Gronkh gespielt und let’s playt. Seit Jahren existiert dabei derselbe Running Gag: Eine nackte Ureinwohnerin des Waldes stirbt und man tut so, als würde man sexuelle Gewalt an ihr ausüben. (…) Mittlerweile hat er es wieder gespielt und diese Witze kamen wieder. Nun denke ich anders. Warum?
Sie erklärt im Folgenden, dass sie als Opfer sexualisierter Gewalt diese Art von ‚Witzen‘ nicht ertragen kann und dass Gronkh damit rechnen muss, dass er in seiner Community nicht nur Witze über die Opfer sexualisierter Gewalt normalisiert, sondern auch andere Mitglieder seiner gigantischen Followerbasis triggern wird. Auch geht sie darauf ein, dass das Ganze vor dem Hintergrund, dass bei der Ankunft der europäischen Flotten in den heutigen USA zahlreiche Menschen sexuell genötigt und missbraucht wurden und er – ob bewusst oder nicht – eine Parallele zwischen diesen Taten und seinen Taten um Spiel zieht. Sie bezog diese Art des ‚edgy Humors‘ auch auf Youtube allgemein:
(Die ‚Witze‘) zeigen, wie lapidar Youtuber mit solchen Themen umgehen. Sie triggern Opfer [sexualisierter] Gewalt und zeigen allen anderen Zuschauer*innen, dass es ok ist, darüber zu lachen.
Erst nach dem Thread sah sie, wie sich der Youtuber mittlerweile über sie geäußert hatte und gab das Thema auf. Doch in Kombination aus Gronkhs „Furien“-Tweet, den vielen Falschinformationen, die über die Anschuldigungen kursierten, den Menschen, die ihr Idol mit allen Mitteln verteidigen wollten und Trollen entstand binnen weniger Stunden ein Shitstorm, der so groß wurde, dass die Twitterin an einem Punkt permanente Hassnachrichten durch ihre Mentions scrollen sah. Ihre Dms waren voller Menschen, die ihr ihre Erfahrungen absprachen, Gronkh verteidigten, weil er ‚ja ein Guter sei‘, sexistische Memes und Nachrichten schickten und Drohungen aussprachen. Speziell Witze, Kommentare und Drohungen bezüglich der von ihr geschilderten Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt häuften sich. Gleichsam wurde NeueSappho von Menschen kritisiert, die ihr vorwarfen zu viel zu blockieren oder dass sie selbst schuld sei, weil sie Gronkh öffentlich kritisierte, statt per Dm. Zahlreiche cis Männer, die Range nahe stehen, sprachen Soli aus und machten Witze über die Situation. Viele davon haben ebenfalls eine große Followerbasis, die sich dann zusätzlich auf den kleinen Twitteraccount stürzten.
Auch Solidarität war da, besonders seitens des Journalismus, großer feministischer Accounts und zahlreicher junger Frauen und nichtbinären Menschen, die Zuschauer*innen des Kanals sind/waren und die Witze aufgrund eigener Erfahrungen ebenfalls kritisieren wollten, sich jedoch aufgrund des Shitstorms nicht trauten oder das Ganze nicht in Worte fassen konnten.
Maximilian Ensikat (PhunkRoyal) reagierte auf eine Dm der Twitterin, in der sie ihm mitteilte, was seine Tweets zum Thema ausgelöst hatten. Nach einem Gespräch verstand er, dass er seine Reichweite kontrollieren sollte und twitterte, dass er Beleidigungen und Hass aufgrund seiner Kritik nicht stützte und seine Fans und Zuschauer*innen es besser wissen sollten. Auch der Account RollifahrerMike, ein Freund Ranges, äußerte sich kritisch zu dem Ansturm gegen die junge Frau; zahlreiche andere Youtuber*innen und Onlinepersönlichkeiten, einige davon aus dem Umfeld Ranges, stützten die Twitterin und ihre Aussagen und betonten, dass es sich um eigentlich höflich und klar formulierte Kritik handelte, die durchaus nachvollziehbar sei. Es wuchs das Gerücht, dass sich Range bei ihr gemeldet und das Ganze ausdiskutiert hätte, dem ist nicht so. Bis heute lässt der Youtuber das Thema und die Hasswelle, die von seiner Community auf die junge Frau ausging, unkommentiert.
Der Account von NeueSappho wuchs binnen weniger Tage auf 1300 Follower an, was dazu genutzt wurde ihr vorzuwerfen, sie würde das Ganze für Aufmerksamkeit tun. Sie wurde als böse Feministin stilisiert, die falsche Anschuldigungen an einen Youtuber machte. Dabei war die Kritik nie böse, der Ton nie aggressiv. Es war eine Kritik, die die Inhalte des Youtubers verbessern und zugänglich für mehr Menschen machen wollte. Die Twitterin hat bis heute Wellen, in denen sie von den Followern Gronkhs angegriffen wird. Sie hat sich mittlerweile zu den psychischen Auswirkungen der insgesamt fünf Wochen geäußert, die der Shitstorm anhielt und sagte, dass sie noch immer Angst hat öffentlich über Gaming zu sprechen.
Wie konnte das passieren und warum ist das heute noch relevant?
Die betreffende Twitterin ist aktuell im geschützten Twittermodus, da im Zuge der Debatte um rechte Communities im Gamingbereich erneut Hass auf sie traf. Menschen markierten Gronkh unter ihren Tweets zum Thema, nachdem sie schrieb, dass sie den Namen nicht ausschreiben kann, aus Angst, wieder einen Shitstorm zu erleben. Die Aussage vieler war, dass sie es witzig fänden, wenn sie wieder angegriffen würde. Die Täter: Zuschauer Gronkhs, cis Männer, die auf ihren Accounts zwischen Hass auf Minderheiten (speziell die LGBTQA+ Community) auch Gronkh retweeten und ihm und weiteren Youtuber*innen in seinem Umfeld folgen. Keine Trollaccounts, sondern Zuschauer. Leute die sich von den sporadischen „ich dulde keine Nazis“-Tweets des Youtubers nicht angesprochen fühlen oder denen es egal ist.
Gronkh ist gerade wieder in Kritik, wie so oft dieses Jahr. Viel tut sich nicht, doch der Youtuber wird für problematische Inhalte zumindest auf Twitter zur Verantwortung gezogen. Als Antwort schickt er seine Follower, die die Kritik dogwhistlen oder setzt einen sehr allgemeinen Tweet ab: Ich bin nicht rechts, Kritiker*innen und Feminist*innen übertreiben, ich mag Nazis nicht.
Aber damit hat es sich nicht. Er reflektiert die Kritik nicht, sondern tut sie als unsinnig ab. Dabei ist sie in den allermeisten Fällen respektvoll und ruhig formuliert, kein hysterischer Feminismus, sondern erst gemeinte Kritik, die den Youtuber und seinen Kanal als das zeigen, was sie sind: Range versucht sich an stereotypischen Impressionen von schwulen Männern (Sims 3 + 4, A Way Out), reißt sexistischen Witze, die speziell dicke Frauen oft in den Fokus nehmen (Sea of Thieves, Streams, Horrorspiele) und macht noch immer Anspielungen und ‚Witze‘ über sexualisierte Gewalt (Outlast, Survivalspiele, Horrorspiele). Er wird vehement verteidigt mit den Argumenten, dass er ja ein Guter sei, weil er ja gegen Nazis ist und das alles Einzelfälle seien. Aber das sind keine Einzelfälle. Man findet diese Art des ’schwarzen Humors‘ und der ‚Satire‘ (die komischerweise immer dieselben Randgruppen trifft) in fast jedem Spiel. Nicht nur in den älteren Aufnahmen, nicht nur bei Spielen wie Card Against Humanity, wo dieser Humor genutzt und gebraucht wird – in fast jedem Spiel und Stream.
Range könnte sich die Kritik zu Herzen nehmen und etwas ändern, muss er aber nicht, weil seine Community jede Kritik abprallen lässt und er nie wirklichen Schaden trägt. Er kann es sich leisten, ignorant zu sein und dabei Toleranz zu claimen. Seine Community wird gerne als liebste Community Youtubes bezeichnet und man kann sich fragen, ob NeueSappho und alle, die im Zuge des Shitstorms angegriffen wurden, das auch so sehen.
Das Kritik-Problem auf Youtube
Gronkh ist bei weitem nicht der Einzige, der sich so äußert und seine Fanbase als Schutzwall gegen Kritik und Reflektion nutzt. Er ist nicht mal der Schlimmste, auch wenn er eine gigantische Reichweite hat. Youtuber wie Marcel Eris (MontanaBlack), Viktor Roth (IBlali) oder Mitglieder des Rocketbeans-Teams sind da bei weiten offener in ihrer Abwertung. Aber er ist als Mittelpunkt dieser Debatte der Knackpunkt, weil die Soli hier endet. Gronkh wird in den letzten Monaten vermehrt kritisiert. Seine Fanbase hält zwar eisern zu ihm, doch er entkommt der Kritik nicht mehr. Wann immer er nun etwas tut, was problematisch und ignorant ist, wird es bemerkt, geteilt und er wird zur Verantwortung gezogen. Er ist sicher vor ernsten Konsequenzen, doch durch diesen Shitstorm und den Stimmen aller, die darunter litten, wird er bei jedem neuen Shitstorm mit dem Angriff seiner Community auf eine Feministin konfrontiert. Die Schwere der Shitstorms wird erhöht, weil sie sich langsam addieren. Er kann zumindest dieser Realität nicht entkommen.
Wenn man sich anschaut, wie auf Youtube kritisiert wird, versteht man besser, wie Range sich aus der Affaire ziehen kann und wieso auch Viktor Roth nicht über seine Widersprüche nachdenken muss. Einige Youtuber (ich habe nur cis männliche Kanäle gefunden) machen kritische Videos über ihre problematischen Kollegen und zwei Wochen später wird klar, dass das eine Kunstfehde war. Falls es überhaupt so weit kommt. Menschen wie Gronkh haben den Ruf eines ’nice guys‘, weswegen jegliche Kritik automatisch als feministischer Unsinn abgetan wird.
Wird kritisiert, so reagieren beide Kanäle in der Regel mehrfach aufeinander und finden sich vielleicht sogar ehrlich unsympatisch – aber tiefgehende Kritik, die nicht mit einem Zwinkern nach einer Woche abgetan wird, gibt es nur in ‚Extremfällen‘. Es heißt dann immer „ach, das ist doch kein schlechter Typ“ und das wars. Es gibt kaum Youtuber die ihre Kritik durchziehen. Selbst eigentlich gute und kritische Kanäle (wie Ultralativ) tun dies nicht. Die einzigen Menschen, die durchgängig, ohne Zwinkern gehasst werden, sind Frauen wie Shirin David und Bianca Heinicke (BibisBeautyPalace), die sicher nicht unschuldig sind, aber eben nicht mehr oder weniger kritikwürdig, als die cis Männer auf der Plattform.
Warum sind die antifeministischen Rants, der Hass und die politisch inkorrekten Witze, die teilweise jede Grenze zu ’schwarzem Humor‘ überschreiten, okay, Produktplazierungen und Freizügigkeit aber nicht? Warum ist eine Fehde zwischen cis männlichen Youtubern selten ernst, der geballte und gesammelte Hass gegen die wenigen Frauen, die auf der Plattform große Zahlen haben, aber immer?
Kontroversen auf Youtube und Kritik auf Youtube haben ein Problem, das viel weiter geht, als ‚bloßer‘ Sexismus – es ist mehr als reine Kumpelkultur. Dahinter steckt das System, dass ein Großteil der Youtubekanäle, die sich kritisch äußern, politisch mit den Kritisierten übereinstimmen. MontanaBlacks Frauenhass ist krass, aber Feminismus ist schlimmer. Man kritisiert offen, wenn es um Clickbait geht, Produktplazierungen bei Youtuber*innen mit junger Basis, unsinnige Thumbnails, Freizügigkeit bei Frauen – aber nicht bei politischen Dingen, die antifeministisch und rassistisch sind. Weil das so implementiert in die Youtubekultur ist, dass jeder so denkt. Zumindest die, die kritisieren. Und weil man sich nicht politisch positionieren möchte, zumindest, wenn es um Feminismus geht. Rassismus wird kritisiert, Homophobie auch, beide jedoch nur bei offensichtlichen Fällen. So wird der offen homophobe Youtuber und Rapper Mert Ekşi kritisiert, andere Youtuber*innen, die homophobe Aussagen machen, ohne klar dazuzusagen, dass sie homophob sind, jedoch nicht.
SJW, Feminismus und Antirassismus werden als schlimmer gewertet, als Witze gegen Minderheiten, Frauen und die LGBTQA+ Community. In ihrem Bemühen, unpolitisch zu sein, ordnen sich die Kanäle klar politisch ein: gegen Feminismus, Gleichberechtigung, Antirassismus, etc. Sie stilisieren sich als politisch links und teilen einige der Meinungen, denunzieren jedoch die Organisationen dahinter, um weiterhin Slurs in Streams droppen zu können oder ab und an mal einen homophoben Witz zu reißen. Das, was sie Meinungsfreiheit nennen, ist Hass und Aggression, gegen Randgruppen, Minderheiten und Communities. Ob ihnen das bewusst ist oder nicht, kann man bei manchen Kanälen ehrlich nicht sagen, weil sie ja nicht reflektieren müssen, da ihre Fanbase ihnen das abnimmt.
Reichweitenverantwortung ist auch, dass man reflektiert, statt sich hinter den Fans zu verstecken, die einen stützen, ganz gleich was man tut. Reichweitenverantwortung ist, die eigene Community als mehr zu sehen, als eine homogene Masse an lieben Menschen, und Verantwortung zu übernehmen, wenn man die Fanbase auf Menschen loslässt, die einem nichts Böses wollen, weil man verlernt hat, Kritik anzunehmen.
Danke für die Einordnung
Der Disclaimer ist hochgradig transfeindlich. Transmänner sind Männer. Nicht „irgendwie schon Männer aber halt nicht so richtig“.
Für Sätze wie „im Falle vieler cis männlichen, weißen Youtubern sind sie oft ebenfalls cis männlich und weiß“, „fast alle davon übrigens cis männlich“, „aber auch viele cis Frauen, die sich als ‚gechillt‘ darstellen und als Gegenbild zu den ‚hysterischen‘ Feminist*innen auftreten“ oder „ich habe nur cis männliche Kanäle gefunden“ gilt das selbe. Man sieht transgeschlechtlichen Menschen meistens nicht an, dass sie trans sind. Viele haben ein gutes Pasing. Du weißt nicht ob die Betreiber der Kanäle nicht Trans-Männer sind die schon lange genug Testo für den Stimmbruch nehmen. Solche Sätze gehen davon aus, dass ein gutes Pasing für transgeschlechtliche Menschen nicht erreichbar ist und Menschen die ich als männlich lese immer Cis-männlich sind. Viele transgeschlechtliche Menschen wollen einfach nur stealth sein und eben nicht ans trans erkannt werden (deshalb schreibe ich auch unter nem anderen Pseudonym als sonst) und kriegen das auch gut hin. Solange du nicht mit jemanden explizit über das Thema geredet hat oder er dazu Stellung bezogen hat KANNST DU NICHT WISSEN ob der Mensch trans ist.
Finde ich sehr schade. Der Beitrag ist sonst echt gut und spricht ein super wichtiges Thema an. Aber diese ständige Unterstellung, dass man trans-Menschen ja immer ansieht das sie trans sind und unterschwellig unterstellt das ein gutes Pasing eh nicht möglich ist erlebe ich inzwischen auf fast allen klar linken und queerfeministischen Blogs und auch in den meisten linken Communitys. Und es nervt und kotzt mich an. Ich persönlich empfinde das inzwischen belastender als die seltenen Misgenderings die ich noch in unpolitischen Kreisen erlebe. Es ist so ne perfide (und vermutlich absolut unbeabsichtigte) Art von Transfeindlichkeit die sich als das Gegenteil tarnt. Hört doch bitte einfach auf damit.
Noch ne Nachfrage zum eigentlichen Beitragthema: Es wurde am Rand ein Vorfall mit „Rezo“ erwähnt aber nicht näher beleuchtet, was hatte es damit auf sich?
Ich entschuldige mich, für den Disclaimer und meine ignorante Art, mit dem Thema umzugehen. In Zukunft werde ich da mehr drauf achten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie häufig trans Menschen mit solchen Formulierungen und Annahmen konfrontiert werden und es tut mir leid, das ich Teil dieser Masse bin.
Zur Rezo-Sache: Da beziehe ich mich auf eine Twitterfehde zwischen Rezo und feministischen Twitter-Nutzer*innen, bei denen er seine Plattform nutzte, um sich in der Diskussion Rückenwind von seinen Fans zu verschaffen.