Von der Aufklärung zur Moderne – Eine kleine Literaturgeschichte I

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Von der Aufklärung zur Moderne – Eine kleine Literaturgeschichte I

1720 – 1790


Einleitung – Die Bedeutung eines neuen Zeitalters

Um sich der literarischen Strömungen der letzten Jahrhunderte bewusst zu werden, muss man über das rein literaturwissenschaftliche hinausschauen. Das 18. Jahrhundert bietet einen Ausgangspunkt, um den Übergang zwischen der Frühen Neuzeit und der Moderne festzumachen. Ein Knick in der Art, wie Menschen die Welt sehen und dies in der Literatur niederschreiben.

Grundsätzlich wird die Zäsur zwischen Früher Neuzeit und Moderne bei der Französischen Revolution, also gegen Ende des 18. Jahrhunderts, gesetzt. Die zehn langen, teils grausamen Jahre zwischen 1789 und 1799 formten Literatur und Zeitgeist maßgeblich. Zu Beginn des 18. Jahrhundert, in der sich anbahnenden Endphase des Absolutismus, begann etwas. Es führte nicht nur zu diesem Bruch – knappe 100 Jahre später –  sondern beeinflusst unser Denken und Handeln bis heute.

Die Rede ist von der Aufklärung.

Generell zwischen 1700/1720 und 1780/1800 angesiedelt, umfasst die historische Epoche der Aufklärung etwa 100 Jahre. In dieser Zeit geschah der Wandel von einer mittlerweile eher angestaubten Denkweise, hin zu etwas komplett Neuem. Vernunft wurde erforscht und gefordert, Stilarten entwickelten sich, literarische Gattungen erblühten und die alten Werte verschwanden, um Platz für neue Traditionen und moderne Sichtweisen und Studien zu machen. Die Psychologie als Studienfach entwickelte sich und übte große Einfluss auf das Schreiben und Leben der Menschen aus. Ebenso wie die Kritik an der Kirche, der zunehmende Individualismus und die Fokusverlegung von einem Leben nach dem Tod, zu einem Leben im hier und jetzt.

100 Jahre im Detail – der Anfang der Aufklärung

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren die Dichter*innen und Denker*innen rund um Deutschland herum schon lange dabei, sich nach der Aufklärung auszurichten. In England florierte die Idee eines Umbruchs, aber es war Frankreich, welches Deutschland über die nächsten 100 Jahre hinweg konsequent beeinflussen sollte. Aufklärerische Schriften und Tendenzen kamen über die Ländergrenze und nahmen Halt von den bis dahin noch nachhinkenden deutschen Literat*innen.

Die Aufklärung ist mehr, als nur eine literaturhistorische Epoche. Das steht außer Frage. Es ändert jedoch nichts daran, dass die Literatur schnell auf den Zug aufsprang und sich als modern, frisch und vor allem vernünftig profilierte.

Dies liegt daran, dass fast alle deutschen Vordenker der Aufklärung LiteratInnen waren. Als die Aufklärung in Begleitung der Empfindsamkeit (1740-1790) nach Deutschland schwappte, erweiterte sich das übliche Lesepublikum enorm. Denn die Empfindsamkeit brachte immer mehr Frauen zum Lesen und Schreiben. Das bislang verpönte ‚überschwängliche Gefühl‘ wurde in der Empfindsamkeit Sittlich und Ideal. Autor*innen wie Friedrich Gottlieb Klopstock und Sophie von La Roche, die Autorin des ersten deutschsprachigen Briefromans, prägten die Literaturlandschaft so wirksam, dass sich ihre Sichtweisen noch im Sturm und Drang zeigten.

Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelten sich Theorien und Schriften zum Thema wurden ausformuliert. Immanuel Kant formte mit seinen Schriften zur (reinen) Vernunft und dem Erhabenen nicht nur die Psychologie, sondern auch die Art, wie Literatur und Kunst wahrgenommen wurden. Ästhetik und Empfinden wurden als Gesprächsthema populär, was nicht zuletzt auch am Einfluss der Ästhetik des Rokoko lag.

Es formten sich mehrere Stränge, die bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Epochen und Literaturströmungen auffindbar sind. Die eine Seite entwickelte sich zum Moralischen hin. Der vermutlich meistgelesene Autor seiner Zeit, Christian Fürchtegott Gellert war es, der die Fabel und ihre Fähigkeit, eine Lehre einfach aber effektiv zu vermitteln, popularisierte. Dichter wie Gotthold Ephraim Lessing und Johann Christoph Gottsched hingegen orientierten sich am französischen Vorbild und formten die Literatur neu. Zumindest versuchten sie es. Dramentheorien wurden aufgestellt, die sich zu dem frischen Ästhetikverständnis ausrichteten. Prosawerke erlangten bislang ungekannte Aufmerksamkeit und reihenweise französische Schriften wurden übersetzt und ergänzt. Etwas, an dem sich auch Friedrich Schiller beteiligte (Übersetzung von Boileaus Theoretischen Gedanken) oder Johann Wolfgang von Goethe, spät im Jahrhundert, mit seinen Interpretationen von Voltaires Schriften.

Nicht alles hatte immer die gewünschte Auswirkung. Gottsched trieb die Aufklärung stark an, scheiterte jedoch darin, sein Werk Der sterbende Cato (1732) zu einem Regeldrama zu machen. Dafür kann die Aufklärung einen großen Sieg für sich verbuchen: die deutsche Sprache. Es war Gottsched, natürlich in Begleitung anderer, der sich von Anfang an für eine Normierung des Deutschen einsetzte. Er und seine Zeitgenossen setzten den Grundstein für die ersten Wörterbücher, wie sie die Brüder Grimm Mitte des 19. Jahrhunderts herausgaben. Ohne das Engagement der Aufklärer, hätte dieser Schritt in Richtung einer einheitlichen, modernen Sprache sich wohl noch mehr in die Länge gezogen.

Die andere Seite des 18. Jahrhunderts – der Sturm und Drang und andere Rebellen

Neben den moralisierten Literaturvorstellungen Gellerts und den Ideen zur Weiterentwicklung deutscher Literatur, wie man sie bei Lessing findet, gab es noch eine dritte Seite. Bevor es aber um die Rebellen gehen soll, muss man einen Autor ansprechen, der Mitte des 18. Jahrhunderts zwischen all den Umbrüchen etwas anderes fand. Johann Joachim Winckelmann war ein Archäologe und Kunsthistoriker, der in der Masse der übersetzten französischen Schriften eine aktuelle Debatte fand.

Der Absolutismus schien für Zeitgenossen Winckelmanns, obschon es aus heutiger Sicht klar ist, dass er dem Untergang geweiht war, nach außen hin funktional. Unter dem Sonnenkönig Ludwig XIV. wurden vigoroso Steuern eingetrieben, um die zahlreichen Kriege, aber auch die Künstlerstipendien und die teure (Barock)Architektur des späten 17. Jahrhunderts zu finanzieren. Ein System, welches Frankreich immer weiter an den Rand des Kollapses trieb, den es ein halbes Jahrhundert nach dem Tod des Sonnenkönigs erreichte.

Trotz dieser, für uns deutlichen, Zeichen, wurde die zeitgenössische Literatur Frankreichs unter dem Absolutismus als modern und fortschrittlich betrachtet. AutorInnen wie Madeleine de Scudéry profitierten von der Salonkultur in der Literaturhauptstadt Paris und reflektierten über Tradition, Architektur, den König und die eigene Geschichte in einer leichten, frischen Art. Sie beriefen sich zu Teilen noch auf antike Vorbilder, folgten ihnen aber nicht mehr. Die Freiheiten, die französische AutorInnen ab dem späten 17. Jahrhundert hatte, machten es möglich, sich immer mehr von diesen Regelungen zu entfernen und sie durch neue Leitlinien zu ersetzen.

Aus dieser Entwicklung entsprang die Querelle des Anciens et des Modernes. 1687 begannen sich Literat*innen zu fragen, inwiefern die Antike noch als Vorbild dienen sollte/durfte. Moderne Literatur stand dem jahrhundertelang gepflegtem Erbe der Antike entgegen. Winckelmann brachte diese Diskussion 1756 nach Deutschland. In seinem Werk Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst sprach er sich für die Antike als Vorbild aus und gründete damit den deutschen Klassizismus.

Fast zeitgleich, 1765 um genau zu sein, entwickelten eine Handvoll rebellischer, männlicher Autoren in ihren 20ern, aus den Grundsätzen der Empfindsamkeit und einem antiautoritärem Geist, den Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder, Jakob Michael Reinhold Lenz, Friedrich Maxim Klinger und Friedrich Schiller, um nur einige zu nennen, waren Stellvertreter für eine neue Generation. Die Autoren des Sturm und Drang waren (bis auf 2-3 Ausnahmen) in den späten 1740ern oder frühen 1750ern geboren. Sie wuchsen auf mit dem Ideal der Aufklärung, die Literatur als etwas definierte, was moralisch bildend und erhellend sein sollte.

Mitte des Jahrhunderts war die Aufklärung in Deutschland voll angekommen und begünstigte Schriftformen, mit denen sich vornehmlich Lehren verbreiten ließen. Eine geregelte Literatur, mit gebändigter Sprache wurde von aufstrebenden Literat*innen gefordert.

Empfindsamkeitsvertreter*innen wie La Roche und Klopstock kritisierten früh, dass diese Art der Regelpoetik zu eng gefasst war. Die junge Generation sprang auf diesen Zug auf und rückte statt der ratio, die emotio in den Fokus der Literatur. Für 10-15 Jahre schrieben die meisten aus der Gruppe Dramen und Lyrik, beeinflusst von der Empfindsamkeit und einem freieren Verständnis von Literatur. Ausläufer des Sturm und Drang finden sich bis 1790, auch wenn die meisten der Jungautoren aus dem ‚inneren Kreis‘ des Sturm und Drang dann schon lange weitergezogen waren.

Der Sturm und Drang war eine kurze, emotional aufgeladene Phase, die schnell ausbrannte, aber als Befreiungsstoß gegen Tradition und Autoritäten wirkte. Aus dieser Miniatur-Epoche heraus entwickelten sich neue Literaturkonzepte, die den Funken der Aufklärung zu einem Feuer machten. Das Feuer, aus dem sich der Umbruch in die Moderne entwickeln solle. Sie formte zudem die, die später in anderen Epochen, besonders in der Weimarer Klassik und Frühromantik, Erfolg haben würden.

Ausblick – Winckelmanns Einfluss, die Weimarer Klassik und der endgültige Umbruch zur Moderne

Im zweiten Teil der kleinen Literaturgeschichte, wird es um all das gehen, was die Aufklärung und das 18. Jahrhundert auslöste. Ende des Jahrhunderts entwickelte sich eine eigene kleine Epoche aus den Untersuchungen Winckelmanns, bevor die Romantik das Ruder an sich riss und Literatur eine ganz neue (und durchaus problematische) Richtung gab.

Die Französische Revolution, Napoleon, die Julirevolution, die Novemberrevolution, das Hambacher Fest und der drohende Pauperismus formten die Stränge in der Literatur, die sich schon im 18. Jahrhundert gebildet hatte, weiter aus: Moral und Tradition – Neue Ordnung – Rebellion. In diesem Chaos finden sich Autor*innen, die zwischen den Stühlen stehen und nicht wissen, zu welcher Richtung sie gehören und wo sie sich selbst einordnen sollen.


Teil II: Umbrüche, neue Identitäten und Revolutionen – Eine kleine Literaturgeschichte II

Autor: Michelle Janßen

Michelle Janßen ist eine süddeutsche Bloggerin, Journalistin und Autorin. Sie studiert deutsche Literaturwissenschaft und Geschichte. Auf Büchnerwald bloggt sie medienkritisch über Politik, Geschichte und (online) Medien.

2 Kommentare zu „Von der Aufklärung zur Moderne – Eine kleine Literaturgeschichte I“

  1. Aww, ich liebe deine literaturtheoretischen Beiträge! Es macht super Spaß, sie zu lesen, und auch bei einem BA in Literatur ordnet sich immer noch ein kleiner Fakt in einem Hinterkopf endlich richtig ein, den ich bisher noch nicht ganz richtig einordnen konnte!
    Danke dafür!

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