Das Kleid im Winterschlaf
Politik-Privilegien und die Gefahr in ihnen
TW: Politik
Wenn wir über Politik sprechen, müssen wir uns gewisse Ebenen bewusst machen. Ebenen, die das, was wir sagen und schreiben, beeinflussen. Persönliche Erfahrungen sind eine dieser Ebenen, Privilegien eine andere.
Nach der Wahl in Deutschland gab es viel Wut, die bald darauf wieder verklang. Probleme werden hier kurz angeschnitten, alle regen sich darüber auf und dann verschwinden sie wieder aus den Köpfen und den Twitterfeeds und die Welt dreht sich weiter. Die Tatsache, dass wir das können (oder eben nicht können), zeigt uns unsere Privilegien auf.
All die Emotionen sind nur temporär. Klar wird man noch feinfühlig, wann immer man über das Ergebnis der Wahlen diskutiert und klar ist man irgendwie noch wütend wegen §218 und §219. Die Nachrichten über Brasilien machen uns traurig und das mit den USA ist krass – aber es hat nicht den Effekt, den es auf uns haben sollte.
Selbstschutz und Privilegien
Zum einen ist das Selbstschutz. Man kann nicht alles Schlechte in der Welt kennen und dabei mental gesund bleiben. Filtern und Verdrängen ist ein normaler Vorgang.
Man muss sich jedoch bewusst sein, dass die Tatsache, dass man diese Nachrichten verdrängen kann, ein nicht zu unterschätzendes Privileg darstellen. Besonders deutlich wird dies bei vier großen Themen: Rassismus, Homophobie, Sexismus und Klimawandel. Alles Dinge, von denen auch gerne behauptet wird, dass sie nicht (mehr) existieren.
Als weiße Person kann man sich kurz über Rassismus aufregen, wenn es ein Vorfall in die Medien geschafft hat, ein paar Likes auf Twitter einstreichen und dann war es das. Dasselbe gilt für die anderen Themen. Auch wenn man selbst betroffen ist, kann es sein, dass es einem die gesellschaftliche und wirtschaftliche Lage von einem selbst oder des eigenen Landes erlaubt, diese Themen auszublenden. Homophobie in Russland ist schlimm, bei uns geht es im Vergleich aber, also kann man die ‚kleinen‘ Probleme in Deutschland ignorieren. Gerade bei Frauen und dem Sexismus kommt auch die Erziehung hinzu.
Wo es deutlich wird, dass wir alle in Privilegien baden, ist beim Klimawandel. Denn klar, hier läuft der Keller mal voll oder der Sommer ist sehr heiß, aber in Ländern mit einer anderen Lage gibt es furchtbare Naturkatastrophen und Dürren, die ganze Landstriche unfruchtbar und damit unbewohnbar machen. Wo wir dann wieder ins Spiel kommen ist, wenn die Menschen aus diesen Ländern dann fliehen müssen.
Und da sind wir dann wieder bei der Politik in Deutschland, die wir so lange ignorieren können, bis die Spätauswirkungen winken und uns auffällt, dass wir vielleicht doch betroffener sind, als wir dachten.
Zwischen Schuld und Pflicht
Es ist schwierig, an dieser Stelle Schuld auszusprechen. Denn auch, wenn wir alle gerne anders wären, verdrängen wir diese Themen doch. Weil wir alle ein Leben haben und andere Probleme. Da rückt das Privileg, nicht über Politik und die Umwelt nachzudenken in angenehme Nähe.
Für mich ist Politik zum Beispiel auch wichtig, aber mein eigenes Leben steht im Vordergrund. Ich schließe mich also nicht aus. Im Gegenteil. Oft erwische ich mich dabei, mir zu denken, dass ein paar Tweets zu einem Thema genug sind. Das ich ‚meinen Teil‘ getan habe.
Ich bin auch eine dieser Personen, deren politische Aktivität nur alle vier Jahre aus dem Schrank geholt wird. Angezogen wie dieses eine Kleid, was man irgendwann mal gekauft hat und immer im Schrank sieht und sich denkt Wieso zieh ich das nicht häufiger an? und sobald man es einen Tag trägt, weiß man wieder wieso. In das man jedes Mal, wenn ein Politiker etwas Rassistisches sagt, kurz hineinschlüpft, um sich im Spiegel zu betrachten und sich zu denken Jawoll! So jetzt kann ich es wieder ausziehen. Ich bin einer dieser Menschen, der seine Politik austrägt, um sich selbst zu gefallen. Um sich in gewisser Weise auch über andere zu stellen. Um bei jedem politischen Tweet zu denken, man hätte ja jetzt genug gemacht.
Wie geht man also vor, wenn man die Pflicht erfüllen will, etwas zu tun, aber gleichzeitig nicht die Annehmlichkeiten eines eigentlich unpolitischen Lebens aufgeben will?
Ein Vorschlag
Ich glaube die perfekte Lösung ist um einiges selbstloser, als viele das leisten wollen oder können, mich eingeschlossen. Deshalb ist der erste Schritt erstmal, sich bewusst zu machen, dass man die Entscheidung treffen kann, wie politisch man ist und wie sehr man sich einsetzt.
Die Menschen, die sich in diesem Land nicht mehr sicher fühlen, wegen dem was passiert, haben diese Wahl nicht. Ich kann gar nicht ausdrücken, wie froh ich bin meine politische Seite im Schrank zu haben, statt sie wie ein Schild permanent vor mir hertragen zu müssen (wie ich es beim Feminismus tue).
Diese Ignoranz bewirkt, dass wir faul werden. Einen kurzen Aufschrei leisten: Ein paar Tweets, ein Blogbeitrag, ein Video, ein Retweet, ein Facebookpost – und dann ist das Thema erledigt, weil man seinen Teil ja geleistet hat. Im Idealfall hat man dafür noch ein paar Follower dazugewonnen, die für das eigene Prestige nutzen kann.
Der nächste Schritt ist also, mehr zu tun, als nur so zu tun. Statt leere Tweets zu schreiben, kann man beispielsweise ein kleines Ehrenamt annehmen (Frauenhäuser suchen immer!) oder an Organisationen spenden. Wenn man die Mittel dazu nicht hat, kann man sich über Umweltschutz informieren und versuchen kleine Dinge zu leisten. Alternativ ist es immer gut, öffentliche Stimmen von Betroffenen zu verbreiten und diese Menschen zu stützen.
Es ist an der Zeit, dass wir unser Privileg nutzen. Nicht um uns gut zu fühlen, sondern weil so viele Menschen es nicht tun können oder keine andere Wahl haben.
Ich glaube diese Bequemlichkeit, die du da ansprichst, ist ein wirklich massives Problem. Unlängst habe ich mich mit einer meiner Professorinnen über genau diese Sache unterhalten, weil das Bild bei uns in Österreich genau das gleiche ist: man regt sich über die sozialen Medien kurz auf, vielleicht auch in trautem Beisammensitzen, aber wirklich protestieren tut keiner. Und wir haben hier eine menschenverachtende Regierung, aber hey, solange die sich auf die Randgruppen konzentrieren…meine Professorin hat jedenfalls gemeint, sie sei entsetzt über die Generation an momentanen Studierenden, und obwohl ich dazu gehöre kann ich nicht anders, als ihr beizupflichten.
Ich geh ja auch nicht zu den Donnerstagsdemos, sondern bleib lieber daheim in meinem kuscheligen Bett, weil es kalt ist. Ich überlege schon lange, wie man dagegen vorgehen könnte, bzw. wie ich mein Verhalten in der Hinsicht verändern könnte. Ein Schritt wäre für mich zb, dass ich einer sozialistischen Gewerkschaft beitrete und mich gerade darüber informiere, wie das geht. Geht es unseren Gewerkschaften gut, geht es nämlich meistens auch besser im Bezug auf Sexismus, Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz. Und ansonsten: sich wirklich am Haarschopf packen und hingehen zu den Demos, oder Petitionen unterschreiben. Und wenn es nur alle zwei Wochen ist – ist wenigstens etwas.
Danke jedenfalls für deinen interessanten Blogeintrag!
Danke dir für den Kommentar! Ich zwinge mich auch dazu, mehr zu machen. Auch wenn es „nur“ kleine Sachen sind, kann jede*r etwas beitragen.
Jupp. Muss das Auto oder kann das Bus? Solche Fragen kann sich zunächst nur eine Person mit Privileg „kann sich ein Auto leisten“ stellen — aber wie viele tun es? Und so weiter.
Ob das nur die jungen Studierenden sind, die da so bequem in ihrem eigenen Leben leben und sich keine Gedanken machen (müssen)? Ich weiß nicht. Die wenigsten von denen haben sich bewusst für einen SUV entschieden, um ihre Kinder in einen Kindergarten zu karren, der auch fußläufig zu erreichen wäre. Ich mache im Monat einen halben gelben Sack voll und arbeite daran, es zu verringern, andere brauchen zu viert drei von Teilen … manchmal habe ich das Gefühl, dass es beim Klimawandel echt nur über Zwang geht, weil wir alle zu bequem sind.
Und der Rest? Vielleicht reicht es schon, nicht nur in der Clique das Maul aufzureißen, sondern die Kneipe mal in echt darauf aufmerksam zu machen, dass der M*-Kopf-Pfannkuchen auf der Karte einen anderen Namen kriegen sollte, statt nur das Posting einer anderen Person zu retweeten. Etc pp.
Ich wohne im Wohnheim und die Mülltrennung hier ist ein Scherz. Es ist so unfassbar, wie das den meisten einfach egal ist. Die getrennten Mülleimer die hier rumstehen nicht mal zu benutzen ist schon echt unterste Schublade. 😦
Danke für diesen Text! Ich führe so oft die Diskussion mit Menschen, dass ich ja anstrengend bin und ob denn jetzt wirklich alles politisch sein muss. Aber ich denke, ja. Ich kann es mir psychisch leisten, also ist es auch meine Aufgabe, durchgehend etwas zu tun.
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