Schwangerschaftsabbruch – eine unmögliche Diskussion im 21. Jahrhundert

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Schwangerschaftsabbruch – eine unmögliche Diskussion im 21. Jahrhundert


TW: Abtreibungen, die Pille danach, Slutshaming, Homophobie, sexuelle Gewalt


Dieser Beitrag wurde erstmals März 2018 veröffentlicht und im Oktober desselben Jahres überarbeitet, um auf neuere Entwicklungen einzugehen.


Ich werde nicht auf die Debatte zum Thema Werbung eingehen oder explizit auf die Kommentare diverser Politiker*innen. Dazu gibt es viele gute Artikel, die ich euch unten verlinken werde. Dieser Beitrag wird sich um meine Meinung drehen. Meine Erfahrungen, die einiger Freund*innen und meine Perspektive als queere cis Frau.


[Alle Ereignisse sind mit Erlaubnis der Betroffenen veröffentlicht.]


Diskutieren – mit und ohne eigenen Uterus

Zunächst allgemein zur Debatte ein paar Worte. Ich denke vielen (cis-männlichen) Menschen ist es nicht bewusst, wie schwer es für Menschen mit persönlichen Erfahrungen ist, über dieses Thema zu sprechen. Bevor ich anfing diesen Artikel zu schreiben, habe ich mir mehrere Stunden lang überlegt, ob ich das wirklich tun sollte. Man macht sich verletzbar und zeigt eine unfassbar private Facette von sich. Nicht nur Menschen im Internet, auch Freunde, Familie, Kollegen, Leute aus dem eigenen Leben kennen auf einmal diesen wunden Punkt. Man weiß nie, ob man das nächste Mal, wenn man diese Menschen trifft, noch dieselbe Beziehung zu ihnen hat. Weil das Thema so unglaublich kontrovers ist und eine unterschiedliche Meinung in puncto Abtreibung mehr als nur Freundschaften zerstören kann.

Trotzdem muss man darüber schreiben. Ob man nun seine Meinung bekundet, eigene Erfahrungen schildert oder sich einfach über den Ton aufregt, der von vielen angeschlagen wird. Damit meine ich die Beschimpfung von Betroffenen, das massive Slutshaming und die Dreistigkeit, jemanden der eine intime Erfahrung schildert, anhand dieser Erfahrung öffentlich fertig zu machen und/oder als MörderIn o. ä. zu bezeichnen.

Ich möchte an dieser Stelle meinen tiefsten Respekt ausbringen an alle, die sich öffentlich zum Thema geäußert haben oder es noch vorhaben. An alle, die sich öffentlich diese Zielscheibe anziehen, um für die Selbstbestimmtheit von Menschen mit Uterus einzustehen.

Es heißt Erzeuger, nicht Vater! – der Umgang mit Betroffenen in Kliniken

Ich wurde zum ersten Mal mit dem Thema konfrontiert, als ich 16 war. Eine gute Freundin von mir, damals selbst erst 15 Jahre alt, rief mich an, um zu fragen, ob ich mit ihr zu einer Klinik fahren würde.

Ihr damaliger Freund hatte ihr erzählt, dass man nicht schwanger werden könnte, wenn man kurz nach der Periode Geschlechtsverkehr hat. Dank einer sehr bescheidenen Aufklärung in der 6. Klasse wusste sie nicht, dass das Blödsinn ist.

Tja und dann saßen wir, knapp zwei Monate später, zusammen bei der Arzthelferin, die uns gerade die Bescheinigung ausstellte, dass meine Freundin beraten wurde. Ihr damaliger Freund saß neben uns. Ihre Mutter hat angeboten mitzugehen, meine Freundin wollte das nicht. Ihre Mutter schien erleichtert.

Sie wusste selbst nicht, wie sie das alles finden soll.

„Wir haben das nicht so oft“, sagte die Helferin, „dass der Vater mitgeht.“

Als wir wieder draußen waren, drehte sich meine Freundin zu ihrem Freund um und schüttelt den Kopf.

„Sie hat dich Vater genannt.“

Sie musste vier Tage warten, dann wieder hin. Diesmal war nur ich dabei, ihr Freund meinte, er kann da nicht mehr rein. Er hält das nicht aus. Wir sitzen also da, warten drei Stunden, dann wird sie aufgerufen und in den Raum geholt. Ich darf erst wieder zu ihr, nachdem es vorbei ist. Wir gehen zu mir und sie fängt an zu weinen. Weil er nicht da ist, weil sie Angst hat, dass es rauskommt, weil sie Zweifel hat. Aber egal wie gerne sie das Kind vielleicht irgendwann mal hätte, mit 15 allein ein Kind bekommen?

Ohne Rückhalt von Familie und Erzeuger, in einer Kleinstadt, in der man schon böse Blicke bekommt, wenn man beim Supermarkt das Falsche einkauft? Das Kind zu bekommen war nie eine wirkliche Option für sie. Und trotzdem sitzt sie da und heult. Emotional komplett fertig. Und ihr Freund reagiert nicht mal auf ihre SMS.

Die Kosten übernimmt die Krankenkasse, ihr Vater spricht wieder mit ihr, ihre Mutter bemüht sich, so zu tun als sei alles normal. Trotzdem bleibt meine Freundin für ein paar Tage bei mir.

Eine Entscheidung fürs Leben

Diese Entscheidung zu treffen ist nie einfach. Man sitzt da und muss sich anhören, was es für Optionen gibt, während man im Hinterkopf genau weiß, dass für einen eigentlich keine Optionen existieren. Man hasst sich. Man hat Selbstzweifel. Man hinterfragt sich.

Bin ich egoistisch? Ist es wirklich meine Entscheidung dieses Leben zu beenden? Ich weiß, dass ich es tun muss, aber ich weiß auch, dass ich danach nie wieder dieselbe Person sein werde. Das alles rumort einem im Kopf herum, während man schon Morgenübelkeit hat. Dazu kommt diese Angst. Diese extreme Angst, dass man einen Fehler macht oder dass Leute es herausfinden und Gott weiß, was dann passiert. Ist man religiös, kommen weitere Zweifel dazu.

Dazu ist man komplett allein. Egal ob der ‚Vater‘ dabei ist oder man Vertraute bei sich hat. In dem Gespräch mit der Ärztin und der Beratung wird einem mehrmals klar gemacht, dass nur man selbst diese Entscheidung treffen kann. Es beruhigt einen, weil man weiß, dass man als Person ernst genommen wird, es ist aber auch unbeschreiblich furchtbar. Weil man genau weiß, dass man niemals jemand anderen dafür verantwortlich machen kann. Ebenso, wie Gegner der Abtreibung auch immer den Finger auf einen richten werden und nicht auf den Erzeuger.

Mehrere Jahre später arbeite ich bei der Frauenhilfe mit Menschen zusammen, die abgetrieben haben, das Kind zur Adoption gegeben haben oder dazu gezwungen wurden das Kind zu behalten. Vollkommen egal, welche dieser Perspektiven man hört – es ist immer furchtbar. Ich habe eine Frau getroffen, die mir gestand, dass sie ihr eigenes Kind hasst. Weil sie jedes Mal, wenn sie ihren Sohn ansieht, das Gesicht ihres Vergewaltigers vor sich hat. Ebenso gab es Frauen, die panische Angst haben, ihr Kind würde im System untergehen oder zu einer Familie kommen, die es schlecht behandelt. Eine Frau sagte zu mir, dass sie gerne wieder Kontakt hätte, aber zu viel Angst davor hat, dass ihr Kind sie wegen ihrer Entscheidung verurteilt.

Sie hat ihre Tochter vor 16 Jahren zur Adoption freigegeben und denkt jeden Tag an sie. Es war keine leichte Entscheidung und ihr Leben war danach nie wieder wie zuvor.

Die Selbstbestimmung darüber, was Menschen mit Uterus mit ihrem Körper machen, verurteilt uns dazu, eine Entscheidung zu treffen, die unser Leben für immer beeinflussen wird. Aber sie gibt uns auch das Gefühl Rechte über unseren eigenen Körper zu haben.

Wir entscheiden, was wir wollen.

Kein 60 Jahre alter Politiker, der keine Ahnung von unserem Leben hat. Nicht der Erzeuger des Kindes, der uns erst zur Mutterschaft verurteilt und uns dann verlassen kann, ohne auch nur eine einzige legale Barriere vorzutreffen. Niemand, der keine Ahnung hat, wie es sich anfühlt. Niemand, dessen Religion oder Weltansicht wir nicht teilen.

Diese Entscheidung, die wir treffen, treffen wir für uns. Und wir treffen sie niemals leichtfertig. Sie kann unser Leben ruinieren und sie beeinflusst uns und das Bild, das wir von uns selbst haben. Aber das ist nicht alles, was sie beeinflusst. Sie ist ausschlaggebend dafür, was jeder, der von ihr weiß, über uns denkt. Jeder Mensch hat eine Meinung zum Schwangerschaftsabbruch, die auch fast immer zum Besten gegeben wird.

Irgendwann willst du doch bestimmt Kinder und dann bereust du das – Meinungen zum Thema und ihre Auswirkungen

„Find ich gut“ kann genauso toxisch sein wie „du Schlampe, wieso hattest du überhaupt ungeschützten Verkehr, wenn du nicht schwanger werden wolltest?“ – Jede Meinung kann verletzten. Auch die, die man eigentlich nicht als negativ wahrnimmt. Denn jemand, der sich tagtäglich hasst für den Abbruch (nicht zwingend aus Reue, sondern weil man keine andere Möglichkeit hatte), kann daran zerbrechen. Ebenso wie Menschen am Slutshaming zerbrechen können.

Das Problem ist, dass wir nicht nur den Abbruch selbst so behandeln, sondern auch die Maßnahmen, die man nimmt, um diesen zu vermeiden. Eine Kommilitonin von mir hat vor einer Woche die Pille danach benötigt. Sie musste in der Apotheke warten, bis die ‚dafür qualifizierte Kollegin‘ aus der Mittagspause zurück war, obwohl sie damit über die 12-Stunden-Marke kam. Die Pille kostete 21 Euro. Für sie bezahlbar, für andere nicht. Nach dem Zahlen ging es dann in einen Hinterraum, der eigentlich zur Lagerung genutzt wurde, wo sie zu ihrem Sexualleben befragt wurde.

 „Wie viele Sexualpartner hatten Sie in den letzten sechs Monaten?“

Die Frage danach, was die Antwort beeinflusst, steht im Raum. Bekommt man die Pille auch, wenn man mit 100 Menschen Geschlechtsverkehr hatte? Wozu dient diese Frage? Schwanger ist schwanger. Ob das durch ein gerissenes Kondom mit dem festen Freund oder eine wilde Orgie passiert ist, tut doch nichts zur Sache?

Dann folgten Informationen über die Optionen, die sie hat. Dann wieder der Spruch „was genau Sie jetzt machen, können nur Sie entscheiden“. Dann musste sie die Pille unter dem Blick der Beraterin schlucken. Erst wird drohend verkündet, wie wichtig diese Entscheidung ist. Dann wird erwartet, dass sie sie binnen Sekunden trifft.

„Wissen Sie, mit ein bisschen mehr Verantwortung wäre Ihnen das nicht passiert.“

Mit diesen Worten wurde sie ‚entlassen‘. Die Informationen was sie in den nächsten Stunden erwartet wurden ihr nicht gegeben. Übelkeit, leichte Krämpfe und Schwindel – nichts davon wurde in der Apotheke auch nur erwähnt. Der männliche Part verweigerte ihr seine Hälfte der 21 Euro und schrieb als letzte Nachricht „das haste halt vom rumhuren xD“, bevor sie ihn blockierte.

Im Falle einer Schwangerschaft kann die Person ohne Uterus verschwinden. Die Person mit muss es zum bitteren Ende durchstehen. Das Gefühl von Ausweglosigkeit, können nur die, mit den entsprechenden inneren Organen nachvollziehen.

Bitte Papst Franziskus – halt die Klappe!

All diese Erfahrungen, die ich beschrieben habe, sind nur Ausschnitte. Jede Situation ist unterschiedlich, jede betroffene Person hat eine andere Ausgangssituation. Vergewaltigung als Auslöser der Schwangerschaft, ein Partner, der einen zum Abbruch treibt (oder davon abhalten will) und andere furchtbare Geschehnisse sind ebenso valide Gründe zur Entscheidung wie der Satz ‚ich möchte keine Kinder‘. Es ist niemandes Recht, einem Menschen mit Uterus vorzuschreiben, wie er/sie/nb damit umzugehen hat. Meinungen sind nicht erwünscht. Niemals. Wenn ihr nicht explizit gefragt werdet, was ihr tun würdet, haltet eure Klappe.

Damit meine ich alle Kommentare. Wirklich alle. Egal ob man männlich, weiblich oder nb ist, ob man selbst Kinder hat oder schon selbst in solch einer Situation war. Eine Meinung zu haben ist okay, sie ungefragt einzubringen nicht.

Mit der allgemeinen Diskussion verhält es sich ähnlich. Wie ich schon geschrieben habe, hat jeder Mensch eine Meinung zu diesem Thema. Auch Menschen ohne Uterus und das ist okay. Aber ganz egal, ob man Abtreibung unterstützt oder scheiße findet, was andere Menschen mit ihrem eigenen Körper machen, ist nicht eure Entscheidung. Eine befruchtete Eizelle, die nicht mal ansatzweise alleine lebensfähig ist, ist nicht gleichwertig zu der Person, deren Leben davon für immer beeinflusst sein wird. Es existiert ein Unterschied zwischen „ich denke ___“ und „alle Menschen in dieser Situation sollten ___ machen“.

Das Leben, das schon existiert, steht über dem potenziellen Leben. Die Meinung der aktuell Betroffenen steht über der, aller anderer. Aller. Anderen.

Besonders wichtig ist dies, wenn man mit jemandem diskutiert, der diese Entscheidung bereits getroffen hat. Aber auch außerhalb dieser Parameter muss es Menschen ohne Uterus klar sein, dass sie niemals verstehen werden, wie man sich damit fühlt. Das Wissen darum, dass man irgendwann selbst in dieser Situation sein könnte, ist mehr wert, als „ich kanns mir schon irgendwie vorstellen“. Liebe cis Männer, ihr dürft eine Meinung haben. Aber niemand wird euch jemals dazu zwingen können, ein Leben in diese Welt zu bringen. Euch fehlt ein großer Teil des Verständnisses. Euch fehlt das ‚Fachwissen‘. Das solltet ihr einbeziehen, wenn ihr mitreden wollt.

Wenn ihr eine Meinung äußert, seid euch bewusst, dass sie euch niemals direkt selbst betreffen kann.

Das gilt besonders für hochrangige Politiker*innen und andere Vertreter für große Menschengruppen. Der Papst, ein cis Mann, zu dem weltweit Millionen Menschen aufblicken vergleicht Abtreibung mit einem Auftragsmord und verurteilt somit alle, die selbst darüber entscheiden wollen, was mit ihrem Körper passiert.

Er sagt, dass man richtig darüber nachdenken muss, bevor man eine solche Entscheidung trifft. Und ich sitze hier und frage mich, ob er jemals Kontakt mit einer Person hatte, die abtrieb. Stellen sich Menschen, die seinen Standpunkt vertreten, vor, dass man als Betroffene*r einfach locker flockig in eine Klinik marschiert und eine Abtreibung to go bestellt?

„Ich frage Euch: ist es gerecht, jemanden umzubringen, um ein Problem zu lösen? Das kann man nicht machen, es ist nicht gerecht, einen Menschen umzubringen, auch wenn er klein ist. Es ist, wie einen Auftragsmörder zu mieten, um ein Problem zu lösen.“

Papst Franziskus, Oktober 2018

Aussagen wie diese sind auf mehreren Ebenen brutal. Sie bestätigen die Gewalt, die Menschen in Ländern, die Abtreibungen ermöglichen, erfahren, indem sie sie auf eine Stufe mit Kriminellen stellen. Sie geben den Menschen, die Abtreibung abschaffen wollen und es Betroffenen immer schwerer machen, diese Entscheidung zu treffen, Argumente. Sie bedrängen junge, religiöse Menschen so lange, bis sie sich ergeben und zum Elternteil werden. Gegen ihren Willen.

Sie verurteilen Betroffene entweder zu Mörder*innen oder zum Elternteil. Beides ist eine unerträgliche Vorstellung. Dass sie aus dem Mund eines cis Mannes kommen, der niemals dazu gezwungen werden kann, ein Kind gegen seinen Willen zur Welt zu bringen, zeigen uns einiges auf, was in unserer Welt falsch läuft.

Aber das ist nicht alles, was die Worte des Papst tun. In Ländern Süd-Ost-Asiens und Afrikas, in die wir Europäer mit unserer Religion vor langer Zeit einmarschierten, gibt es bis heute kaum Aufklärung. Menschen mit Uterus, die keine Kinder (mehr) wollen, werden durch Patriarchat und Kirche dazu genötigt, ihre Körper weiterhin als Brutkasten zu behandeln. Selbst Verhütungsmittel werden verschrien und als böse und unchristlich dargestellt.

Und der Papst definiert eine befruchtete Eizelle als „Problem“.

Menschen mit Uterus, die Schwangerschaften vorbeugen wollen müssen entweder teure Chemikalien zu sich nehmen, die ihren Körper mit Hormonen vollpumpen. Oder sie müssen halt Elternteil werden. Pech.

Queerness und Abtreibung

Nun zu etwas, dass oft kritisiert wurde in dieser Debatte. Die Perspektive von queeren Menschen, insbesondere die von trans Männern und trans Frauen. Es wurde häufig angesprochen, dass diese Personengruppe in der Diskussion übersehen wird. Es stimmt, dass viele Artikel zum Thema die Komplikationen von trans Personen bei Abtreibungen und Schwangerschaft nicht ansprechen.

Das Problem ist, dass ich das nachvollziehen kann. Es geht nicht darum, dass es kein wichtiger Teil des Themas ist, aber ich als eine cis Frau habe einfach keine Ahnung davon und möchte es mir nicht anmaßen, darüber zu schreiben. Falls jemand einen guten Artikel zum Thema kennt, der bestenfalls von einer trans Person geschrieben wurde, wäre ich sehr dankbar, wenn diese Person das hier kommentieren könnte.

Stattdessen werde ich eine andere Seite beleuchten. Die Tatsache, dass man als queere Frau beim Schwangerschaftsabbruch sehr heftige Schwierigkeiten bekommen kann.

Da wäre zunächst das Gespräch, egal ob bei der psychologischen Beratung oder mit der Ärztin, man wird immer nach der eigenen sexuellen Aktivität gefragt. Gibt man an, dass man nicht heterosexuell ist, kann einem im Extremfall sogar eine Behandlung entsagt werden. Gehobene Augenbrauen, Kommentare und Meinungen, nach denen man nicht gefragt hat, bekommt man auch ohne diese Frage schon genug.

Bi- und Pansexualität, sowie Polyamorie werden bei diesen Fragen oft verschwiegen. Einfach, weil es angenehmer so zu tun, als wäre man ‚normal‘. Denn die Fragen, die folgen, wenn man ehrlich ist, sind oft so viel schlimmer.

Man ist in dieser Situation schon gestresst genug, auch ohne verletzende Nachfragen von der einen Person, von der man Objektivität erwartet.

Ist man offen, rechnet man oft schon fest mit Slutshaming. Denn klar, wenn man bi ist, ist man ja automatisch eine Schlampe. Oder als polyamore Person: was erwartet man auch, wenn man in einer Beziehung mit mehr als einer Person ist? Wieso sollte man dann abtreiben dürfen? Das Recht dazu haben nur Menschen, die in ein dauerhaft schwankendes Weltbild passen.

Ähnliche Kommentare hört man auch bei Vergewaltigungen. Wenn jemand der Ansicht ist, dass man nur nach sexueller Gewalt abtreiben darf, versagt man Menschen das Recht auf Selbstbestimmung, außer wenn sie davor missbraucht wurden.

Und das ist einfach unmöglich.

Man muss keine Kriterien erfüllen, um über den eigenen Körper zu verfügen. Ganz egal ob diese Kriterien auf die Religion, Sexualität oder der Grund der ungewollten Schwangerschaft zurückführen.

Ein Schwangerschaftsabbruch ist schon die Hölle, wenn er normal abläuft. Wenn man parallel noch Homophobie bekämpfen muss, ist es kaum durchzustehen. Und dann kommt die eigene Community und tritt nochmals zu, indem sie einen ignoriert. Denn nur Heteros können schwanger werden, richtig?

Falsch. Es ist Zeit, dass wir in dieser Diskussion über den Hetero-Rand hinweg schauen.

Eigentlich ist es Zeit, dass diese Kontroverse aufhört, kontrovers zu sein. Es ist das Jahr 2018 und wir diskutieren darüber, ob man als Person mit Uterus entscheiden kann, ob man ein Kind austragen möchte oder nicht. Es ist das 21. Jahrhundert und wir führen Debatten darüber, wie eine betroffene Person zu sein hat und was ihr zugestoßen sein muss, damit wir ihr Rechte über ihren eigenen Körper verleihen.

Das muss aufhören.

 


Links

Infos und Gesetzeslage zum Schwangerschaftsabbruch

Infos und Gesetzeslage zur Pille danach

Eva-Maria Obermanns Blogbeitrag

Ein Erfahrungsbericht

Noch ein Erfahrungsbericht

Ein toller Artikel in der Zeit über die Geschichte des Gesetzes, die Rolle von Männern

Ein Artikel in der Welt über das Gefühl Schwanger zu sein, wenn man es eigentlich nicht will und über die Gedanken vor der Abtreibung

Das, was diese Debatte neu entfachte: Der respektlose Kommentar unseres Gesundheitsministers zum Thema (Spiegelartikel)

Das, was diese Debatte neu neu entfachte: Franziskus Vergleich zwischen Abtreibung und Auftragsmord

 

Hilfestellen

Deutscher Familienverband
Bundesgeschäftsstelle
Luisenstr. 48
10117 Berlin
Tel.: 030/30 88 29 60
http://www.deutscher-familienverband.de

Pro Familia
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V.
Stresemannallee 3
60596 Frankfurt/Main
Tel.: 069/63 90 02
http://www.profamilia.de

Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte
Mielenforster Str. 2
51069 Köln
Tel.: 0221/689 09-0
http://www.kinderaezte-im-netz.de

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Ostmerheimer Str. 220
51109 Köln
Tel.: 0221/89 92-0
http://www.bzga.de

Autor: Michelle Janßen

Michelle Janßen ist eine süddeutsche Bloggerin, Journalistin und Autorin. Sie studiert deutsche Literaturwissenschaft und Geschichte. Auf Büchnerwald bloggt sie medienkritisch über Politik, Geschichte und (online) Medien.

5 Kommentare zu „Schwangerschaftsabbruch – eine unmögliche Diskussion im 21. Jahrhundert“

  1. Vielen, vielen Dank, dass du dich mit dem Thema befasst und anderen eine Stimme gibst, die sich nicht wagen, deine Worte auszusprechen, weil sie Angst vor den Reaktionen haben. Du bringst das Problem um diese Debatte präzise auf den Punkt, Niemand sollte seine eigenen Wertvorstellungen in den Weg einer Person stellen, die für sich eine Entscheidung treffen muss, die bereits ohne die Meinungen von anderen – und insbesondere der Meinungen einer unbekannten, ignoranten Masse – schwer genug ist, weil sie das Leben der Person endgültig verändern wird.

  2. Ich bin im Hauptberuf Apothekerin und bekomme gerade das kalte Grausen bei der Geschichte … offenbar ist da was im Argen. Hmm. Ich überlege gerade, ob und wie ich den werten Kolleg*innen in den Hintern treten kann.

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